Stromversorgung: Spiel mit dem Feuer

Wir erinnern uns: EKZ-Mann Stefan Meyre beschrieb bereits Ende März kurz nach Kriegsausbruch in der Ukraine die Importstrategie der Schweiz als «riskant» und forderte an der KGV-Präsidentenkonferenz die rasche Planung von «Notstromgruppen», sprich: Gaskombikraftwerken.

Bild Mark Gasser

Die Grosshandelspreise für Strom sind in den letzten Monaten explodiert (siehe Grafik). Die Endkunden-Stromtarife steigen 2023 deutlich an.

«Der Mann ist zuständig dafür, dass wir Strom haben», meinte KGV-Präsident Werner Scherrer kurz. Er meinte damit Stefan Meyre, Leiter Geschäftsbereich Energie bei EKZ, als Gastreferenten an der KGV-Präsidentenkonferenz im Casinotheater in Winterthur vom 23. März. Einen Referenten also mit energiepolitisch aktuellem Bezug, der sich mit der Frage auseinandersetzte: «Ist die Energieversorgung für die KMU im Kanton Zürich in Zukunft noch sicher?»

Stefan Meyre redete nicht um den heissen Brei und gab gleich zu Beginn zu Protokoll: «Niemand hatte die Verdoppelung der Strompreise kommen sehen. Die Beschaffung wird bis 2023 sogar das Dreifache gegenüber 2020 betragen» (siehe Bild). Und seit wenigen Tagen spricht Energieministerin Sommaruga von einem Rettungsschirm für die Stromwirtschaft.

Und er stellte gleich klar: Die Schweiz ist strommässig keine Insel. Die europäischen Staaten sind einander in technischer Hinsicht ausgeliefert. Innert Zehntelsekunden müssen Angebot und Nachfrage ausgeglichen sein: Die Stabilität auf dem europäischen Verbundnetz bedingt eine ständige Spannung von 50 Hertz. Im Inland ist die Versorgungssicherheit das Produkt von Verantwortlichkeiten auf unterschiedlichen Ebenen: Und zwar zwischen den in- und ausländischen Produzenten, dem Übertragungsnetz (Hochspannung), den überregionalen und regionalen Verteilnetzen (Swissgrid und Axpo) sowie lokalen Verteilnetzen (EKZ und weitere Versorger).

Was die Stabilität desselben anbelange, gab er sich zuversichtlich: Er prognostizierte zwar für die nächsten Jahre mehr kleinere Stromausfälle. Und die Anzahl «Korrektureingriffe» von Swissgrid zur Stabilisierung nähmen jährlich zu. «Ich sehe aber keine grossen Blackouts auf uns zukommen. Man muss nicht auf Panik machen.»

Gefährliche Sorglosigkeit

Wenn aber von «Netzgenpässen» bis 2035 die Rede ist, so sind das aus Meyres Optik grosse Investitionen alternativlos. Die Stromlücke erstreckt sich dannzumal gemäss Prognos-Zahlen sogar (mit Ausnahme der Sommermonate) übers ganze Jahr.

Die Importstrategie, welche die Schweiz fahre, sei riskant, eine «Notstromgruppe» in Form eines Zubaus von Gaskombikraftwerken sowie einer Erhöhung der Wasserkraftreserve wären zur Deckung der Spitzenlasten aus seiner Sicht unumgänglich. «Jedes grössere Spital hat ein Notstromaggregat», so Meyre. Seit Beginn der Ukrainekrise seien das Bewusstsein und die Akzeptanz für Gasspeicherkraftwerke immerhin gewachsen. 

Zu den dringenden Massnahmen für eine sichere Stromversorgung zählt Meyre die zeitnahe Einholung von Bewilligungen, um Netzengpässe zu beseitigen, und den bilateralen Abschluss technischer Verträge mit den umliegenden nationalen Netzgesellschaften. So hat Swissgrid Ende 2021 einen privatrechtlichen Vertrag mit dem Übertragungsnetzbetreiber an der Südgrenze «Italy North» abgeschlossen – ein wichtiger Mosaikstein für die Netzsicherheit.

Die Politik habe es verpasst, die Weichen zu stellen, um in naher Zukunft die Frequenzstabilität zu gewährleisten und eine Zunahme an Netzengpässen – deren neun wären besonders dringend – zu vermeiden. Den grössten Engpass verortet Meyre im Wallis: «Aber wir kommen mit unseren Anliegen bei den Leuten nicht an. Der Leitungsbau ist politisch schwierig – wir müssten mit dem Ausbau durchstarten.» Wie andere Stromversorger, hat auch EKZ vermehrt Akzeptanzprobleme bei der «Basis» für Trafos und Unterwerke.

Die Antwort auf die Frage, wie der Mehrbedarf an Strom in Zukunft gedeckt werden soll, fasste Meyre unter dem Stichwort «drei D» zusammen: Dezentralisierung, Dekarbonisierung und Digitalisierung. Für die Zukunft prognostiziert er gar – etwas überspitzt – «auf jedem Haus eine Photovoltaikanlage», und Ölheizungen würden vermehrt durch Strom ersetzt. Insgesamt werde elektrische Energie wichtiger werden, wodurch auch das EKZ-Verteilnetz stärker belastet werde und höhere Leistungsspitzen verkraftet werden müssten. Die Netzlast vor allem in den kälteren Monaten werde deutlich steigen. Mit einem Praxisbeispiel der Streng Plastik aus Niederhasli, die rund 90 Prozent der rund 1400 MWh im Eigenverbrauch nutzen kann, illustrierte Meyre, wie neben dem Netzausbau und dem Zu- und Ausbau der Notversorgung auch die Integration tausender PV Anlagen zur Stabilität und Versorgungssicherheit beitragen können. Grosse Solaranlagen produzierten überdies günstigen Strom für Industrie und Gewerbe.

Mark Gasser

Chefredaktor
Zürcher Wirtschaft

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