Stadtplanung: Mehr Leadership und Mut

Die zweite Plenarveranstaltung der nach den Wahlen 2023 neu konstituierten Gewerbegruppe im Kantonsrat war gespickt mit guten Ratschlägen, um die Verstädterung an die Hand zu nehmen – möglichst funktional, pragmatisch und bürgernah. Auch ein kleines Einmaleins für Energie produzierende Unternehmen war dabei.

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Architekt Balz Halter stellte seine Vision und sein Manifest «für guten Städtebau» vor.

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Paul von Euw sieht das Glas bezüglich Energiewende für KMU als halb voll.

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Jürg Sulser (SVP), Gewerbeobmann im Kantonsrat, und Architekt Balz Halter.

Gewerbeobmann Jürg Sulser (SVP) begrüsste rund 40 Mitglieder und Gäste zur ersten Plenarveranstaltung 2024 der Gewerbegrup-pe im Kantonsrat (GGKR). Der Schwerpunkt der Plenarveranstaltung lag auf dem Thema «Infrastruktur für das Gewerbe – Herausforderungen und Perspektiven». Städte sind wie organische Lebewesen, die wachsen und sich entwickeln – aber wer gibt eigentlich Takt und Ton bei diesem urbanen Tango vor? Ein Blick hinter die Kulissen des Stadtplanungsprozesses zeigt, dass die Choreografie komplexer ist als gedacht. Mit der provokanten Frage von FDP-Kantonsrat und IT-Unternehmer Marc Bourgeois: «Ist das aktuelle Planungsrecht noch das richtige Instrument?» war das Thema lanciert und der Teppich gelegt für Balz Halter. Gemeinsam mit anderen Architekten hat er «Urbanistica», das «Manifest für die Stadtplanung», verfasst, das sich unter anderem als Plädoyer für mehr Koordination und Leadership bei der Stadtplanung und gegen das hässliche Wuchern der Agglomerationen versteht.

Doch von vorne. Wer plant eigentlich eine neue Stadt? Werden zuerst Strassen, darum herum die BZO geschaffen, um dann die Stadt von selbst quasi «organisch» heranwachsen zu lassen, indem sie baulich den Weg des geringsten Widerstands nimmt? Oder ist es eher ein kooperatives Verfahren, bei dem einzelne Zonen definiert werden? Man ahnt es: Für Architekt Halter entstehen Städte zu wenig koordiniert, scheibchenweise, mit zu wenig Autorität und Fachkenntnis.

Die Notwendigkeit einer besseren Koordination wurde von der unter Mitwirkung von Halter entstandenen «Vereinigung für guten Städtebau» erkannt, die sich historisch, architektonisch und raumplanerisch dem Thema widmet. Deren Manifest «Urbanistica» soll die Diskussion über Stadtplanung vorantreiben und die Bevölkerung in diese Diskussion einzubeziehen. Bereits 1400 Personen aus allen politischen Lagern haben das Manifest unterschrieben. «So, wie wir unser eigenes Haus einrichten, sollten wir uns auch überlegen, wie wir unser Land einrichten wollen, und dies nicht den Fachleuten überlassen.» Mit anderen Worten: Die 10-Millionen-Schweiz ist nur mit gutem Städtebau lebenswert.

Manifest für guten Städtebau

So präsentiert das Manifest acht Hauptpunkte zur Verbesserung der Stadtplanung, darunter die Schaffung von funktionellen Räumen, die Förderung von Stadtplanern und die Anpassung von Planungsinstrumenten an nachhaltige Bedürfnisse. Einige zentrale Gedanken: Zersiedelung, die Wohnungsknappheit und steigende Immobilienpreise sind primär eine Folge verfehlter Raumplanung. Bei einer Nettozuwanderung von 40 000 Personen pro Jahr entsteht besonderer Druck auf Wirtschaftszentren durch Binnenmigration – aber gerade in peripheren Lagen bestehen Baulandreserven, in Städten immer weniger. Die Folgen: Ein Siedlungsbrei, Verkehrsüberlastung, steigende Wohnkosten und Wohnungsnot, was soziale Spannungen nach sich ziehen wird.

Guter Städtebau führt zu geringerer Mobilität, effizienterer Bodennutzung, attraktiven öffentlichen Räumen, verbessertem Stadtklima und sozialer Durchmischung. Gute Versorgung in nächster Nähe, im Fachjargon die «10-Minuten-Umgebung», bedinge nicht nur die Schaffung von Quartieren mit hoher Dichte, sondern auch relevantes und qualitatives Verdichten an geeigneten Lagen: Gewerbe und Dienstleistungen müssten hier etwa möglich sein. «Polyzentrisch denken» heisst für Halter, Subzentren mit Bildung, Medizin, Unternehmen in der Agglomeration und Frei- und Naturräume zu schaffen, die den Druck von der Kernstadt nehmen.

Weiter ist Stadtplanung eine zentrale Aufgabe der öffentlichen Hand: «Heute stelle ich hingegen eine Planungsverweigerung auf allen Stufen fest.» Von einer politischen Ebene werde auf die nächste verwiesen, «und die Gemeinden wollen eine echte Verdichtung oder Stadtplanung nicht angehen». So stellt er kosmetische Verdichtungen in BZO fest, die einen «Inselurbanismus» ohne erkennbare Strukturen schufen. Eine verpasste Chance sieht er im Falle von Züri West – das Stadtgefüge fehle, ein richtiges Quartier entstehe so nicht. Planungsverbände und -regionen seien gute Gefässe, um eine gemeinsame Planung anzugehen. Dieser Weitblick sei mit entsprechendem Verständnis der Gemeinden möglich – ohne Fusionen. Weiter benötigten wir wieder ausgewiesene Städtebauer, Stadtplaner, Stadtbaumeister. «Es braucht Partizipation, aber auch und vor allem Leadership.» Der Städtebau, meinte Halter etwas nostalgisch, werde nicht mehr von Persönlichkeiten wie den einstigen Stadtbaumeistern Bürkli, Gull oder Herter geprägt. Heute verstehe sich die Stadtbaumeisterin eher als «Moderatorin», nicht als jemand, der sich für eine Stadtvision stark macht. Führen bedeute auch, die öffentliche Diskussion zu moderieren. Oft seien indes Partizipationsprozesse ein Feigenblatt, um Projekte gleich zu versenken.

Halter liess offen, wie dieser gordische Knoten zu lösen wäre. Er selber gab nach 10-jährigem Versuch, eine Standortförderorganisation «Limmatstadt» im Limmattal aufzubauen, das Mandat auf. Die Region Limmattal, darunter auch die Gemeinden, sei nicht offen gewesen fürs strategische Narrativ «für eine gesamtregionale partnerschaftliche Organisation». Das hätte bedingt, dass die beiden Planungsverbände Aargau und Zürich zusammenrückten und regional dächten.
Halter forderte weiter mehr Wettbewerb in der Planungsphase. Die oft engagierten Raumplanungsbüros seien nicht die besten Stadtplaner. Schweizer Top-Architekten machten daher als Städtebauer selten in der Schweiz Karriere. Auch gebe es zu viel Handhabung für Rekurse in den Baubewilligungsverfahren und zu viele Anforderungen bereits auf Stufe Baueingabe.
Politisch forderte Halter eine Flexibilisierung des Planungs- und Baugesetzes (PBG) bezüglich Zonen und Bauvorschriften (Nutzungen, Ausnutzung, Höhen, Abstände, Immissionen, Abgrabungen etc.). Visionen würden mit schlankeren Prozessen dank Umsetzung im Rahmen der BZO mit höherer Wahrscheinlichkeit realisiert werden als zermürbende und aufwendige Sondernutzungsplanungen, die Ausnahmen sein sollten. Während Parlamente und Verwaltungen Gesetze und Verordnungen am Laufmeter schufen, sei auch der Branchenverband SIA mitschuldig an der Regulierungsdichte. Diese gelte es zu reduzieren.

Finanziert werden soll die Stadtplanung über Steuern, Abgaben und Förderprogramme auf Stufe Bund, etwa über Agglomerationsprogramme. «Man investiert meist in Beton, sollte aber zumindest einen Teil des Geldes für Stadtplanung und funktionale Räume verwenden. Etwa für die Fragestellung: Planen wir nicht besser zuerst die Siedlung, und dann die Verkehrsinfrastruktur?»

KMU als Stromproduzenten

Anschliessend kam Kantonsrat Paul von Euw (SVP), gelernter Elektromonteur, Gesc häftsführer der PV Energie, ein KMU für Energieberatung und -planung, sowie Verwaltungsrat des Wärmeverbunds Bauma AG, zu Wort. «Die Lösung» fürs drohende Energieloch habe er zwar nicht. Jedoch immerhin einen kleinen Beitrag, zumal Industrie und Gewerbe einen Drittel des Gesamtromverbrauchs der Schweiz verursachten. Er präsentierte Visionen für KMU «als Energiegestalter» oder «-gewinner» statt nur Konsumenten: also in der Rolle von Produzenten.

Die Ausgangslage: Bei aktuell rund 57 Terawattstunden Stromverbrauch jährlich werden wir bis 2050 gemäss Schätzungen zwischen 50 und 55 TWh zusätzlich benötigen – hauptsächlich durch Umstellung auf E-Mobilität (+25 TWh), Wärmepumpen und Zuwanderung (je +10,4 TWh). Gemäss den «Energieperspektiven 2050+» des Bundes – wonach der Einsparbedarf beim Szenario Netto-Null ausgerechnet wird – werden dem Dienstleistungssektor knapp 40 % Einsparpotenzial (bzw. weniger Energieverbrauch) zugemutet, der Industrie 31 %. Trotz Energieeinsparungen 2019 gegenüber 2000 pro Vollzeitäquivalent von bereits 26 % (Dienstleistung) beziehungsweise um 10 % (Industrie) sieht der Bund noch viel Sparpotenzial, etwa bei der Beleuchtung, der Verbesserung von Isolation und Raumwärmeregulierung oder der Raumkühlung, etwa durch intelligente Beschattungssysteme. Die grössten ökonomischen Chancen sieht von Euw daher in der Gebäudetechnik- und allgemein in der Baubranche. «Die werden Büez haben ohne Ende, insbesondere durch die Effizienzsteigerung.»

Ausserdem hat ein KMU die Möglichkeit, Stromproduzentin und -verkäuferin zu werden. Salonfähig werden vermehrt auch Beteiligungen an Energieerzeugungsanlagen und Verteilnetzen. Schöner Nebeneffekt: Investitionen in Energieeffizienz bzw. Produktion seien gut vermarktbar. Und Fördertöpfe für energetische Optimierungen seien im Überfluss vorhanden, meinte von Euw sinngemäss. Allein für Winterthur fand er 83 verschiedene Förderprogramme. «Wenn ich irgendetwas optimieren will, finde ich sicher ein Förderprogramm dafür.»

Fazit: Auf Besitzer von Gewerbe- und Wohnliegenschaften kommen voraussichtlich umfassende Verpflichtungen zur Stromgewinnung vor. Die Botschaft: KMU sollten dies als Chance sehen, sich als Stromproduzenten und als Investoren in PV-Anlagen, Fernwärmeverbünde oder Windanlagen zu engagieren.

Mark Gasser

Chefredaktor
Zürcher Wirtschaft

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