Spielregeln des neuen Vergaberechts

Wer sich für Aufträge der öffentlichen Hand bewirbt, hat einen erheblichen Aufwand zu betreiben. Wenn der Zuschlag an eine andere Unternehmung geht, will man mindestens verstehen können, wieso dies so ist. Dabei hilft es, sich das Nachfolgende zum neuen Vergaberecht in Erinnerung zu rufen. Autorin Katharina Seiler Germanier hat für den KGV ein 18-seitiges Factsheet mit den wichtigsten Punkten erarbeitet.

Bild zvg

Von Katharina Seiler Germanier*

Das Vergaberecht wurde geschaffen, um den Wettbewerb zu fördern. Die Gelder der öffentlichen Hand sollen ab bestimmten Auftragssummen unter Beachtung der Grundsätze der Transparenz und der Gleichbehandlung der Anbieterinnen und Anbieter eingesetzt und ein wirksamer und fairer Wettbewerb unter den Unternehmungen gefördert werden. Dies bringt mit sich, dass die Vergabestellen bei Auswahl der Lieferanten Regeln befolgen und den Auftrag ausschreiben müssen, statt ihn etwa wieder der Firma zu erteilen, mit der sie schon lange zusammenarbeiten.

Die Regeln basieren auf dem General Procurement Agreement (GPA), dem die Schweiz im Rahmen der WTA beigetreten ist. Geregelt werden die Verfahren für die Schweiz u.a. in Bestimmungen, die für die Beschaffungen des Bundes gelten und solche, die für die Beschaffungen anderer öffentlicher Körperschaften wie Kantone und Gemeinden, aber auch Zweckverbände gelten (Interkantonale Vereinbarung über das öffentliche Beschaffungswesen, IVöB, und Submissionsverordnungen).

IVöB: Wichtige Änderungen

Am 1. Oktober 2023 ist im Kanton Zürich die neue IVöB (auch IVöB 2019 genannt) in Kraft getreten. Die neue IVöB gleicht die kantonalen Vergaberegeln an diejenige des Bundes an und schreibt vieles fest, was die Rechtsprechung bei der Anwendung der bisherigen Regeln entwickelt hat. Nachfolgend sollen wichtige Änderungen und Spielräume bei der Anwendung des Vergaberechts mit Fokus auf die KMU dargestellt werden.

Die Grundeinteilung der Verfahrensarten in freihändiges Verfahren, Einladungs- und öffentliches bzw. selektives Verfahren ebenso wie diejenige der Auftragsarten in Liefer-, Dienstleistungs- und Bauhaupt- und Baunebenaufträge bleibt erhalten. Neu müssen auch für Lieferaufträge (wie für die anderen Auftragsarten) ab einem Wert von 150 000 Franken Einladungsverfahren durchgeführt werden (bisher 100 000 Franken).

Für jüngere Firmen wichtig ist: Im Eignungsprofil darf nicht mehr verlangt werden, dass die Firmen Erfahrung mit öffentlichen Aufträgen haben. Weiter muss die Gewichtung der Zuschlagskriterien neu in Prozentzahlen bekannt gegeben werden. Dabei muss der Preis nicht das am höchsten gewichtete Kriterium sein, denn der Zuschlag muss neu an das vorteilhafteste Angebot gehen, nicht mehr an das wirtschaftlich günstigste. Zudem darf die Vergabestelle im Kanton Zürich das Kriterium «unterschiedliches Preisniveau in den Ländern, in welchen eine Leistung erbracht wird» berücksichtigen (Preisniveauklausel). Allerdings muss die Vergabestelle dafür über offizielle Daten für den Preisvergleich und dessen Einrechnung verfügen. Nicht zuletzt sollen Firmen, die Lernende ausbilden, bei der Bewertung mit 5 bis 10 Prozent belohnt werden.

Bei der Beurteilung muss bei ungewöhnlich niedrigen Angebotspreisen nachgefragt werden, ob die Anbieterin die Teilnahmebedingungen einhalten kann und die Anforderungen des Auftrags verstanden wurden. Angebote unter dem Gestehungspreis sind aber weiterhin zulässig. Ausserdem können Angebote so bereinigt werden, dass sie vergleichbar werden (z.B. betreffend technische Details). Dies darf aber nicht zu Preisverhandlungen führen. Die Begründung des Zuschlags muss u. a. den Namen des berücksichtigten Anbieters, den Gesamtpreis sowie die massgebenden Merkmale und Vorteile des berücksichtigten Angebots beinhalten.

Ist der Zuschlag erteilt, gilt neu eine Anfechtungsfrist von 20 Tagen (nicht mehr 10 Tage). Wichtig ist, dass die anfechtende Unternehmung verlangt, dass die Beschwerde aufschiebende Wirkung erhält. Nur dann darf die Vergabestelle noch keinen Vertrag mit der Zuschlagsempfängerin abschliessen und nur dann hat die Beschwerdeführerin bei Gewinn Chancen auf eine Auftragserteilung.

Spielräume der Vergabestellen

Die Vergabestellen haben vor allem bei der freihändigen Vergabe (bei allen Aufträgen bis zu einem Wert von 150000 Franken, im Bauhauptgewerbe sogar bis zu einem Wert von 300000 Franken) einen grossen Spielraum. Zwar muss die öffentliche Hand, die bekanntlich Steuergelder ausgibt, dem Prinzip der Wirtschaftlichkeit folgen und dafür sorgen, dass sie nicht zu viel für eine Leistung ausgibt. Dafür muss sie auch vor Rechnungsprüfungskommissionen geradestehen. Wie im Einladungsverfahren (Auftragswerte bis 250 000 bzw. 500 000 Franken) kann sie zwei oder drei lokale Unternehmungen einladen. Im Einladungsverfahren müssen Offertunterlagen vorbereitet werden, worin u. a. die Eignungs- und Zuschlagskriterien festgelegt werden. Das freihändige Verfahren ist dagegen vollständig formlos und sogar ohne Vergleichsofferten durchführbar.

Zudem dürfen die Vergabestellen ausnahmsweise auch Aufträge mit höheren Auftragssummen freihändig vergeben. Dies ist vorab möglich, wenn aufgrund von technischen oder künstlerischen Besonderheiten des Auftrags oder zum Schutz des geistigen Eigentums nur ein Anbieter in Frage kommt, wenn unvorhersehbare Ereignisse die Beschaffung sehr dringlich machen und wenn der Wechsel des Anbieters aus wirtschaftlichen oder technischen Gründen nicht möglich ist, erhebliche Schwierigkeiten bereiten oder substanzielle Mehrkosten mit sich bringen würde.

Ausserdem haben die Vergabestellen einen grossen Ermessensspielraum bei der Formulierung der Eignungs- und der Zuschlagskriterien. Wenn der Preis nicht allzu stark gewichtet wird, können Kriterien wie Qualität, Servicebereitschaft, Kundendienst, Innovation, Nachhaltigkeit, Plausibilität des Angebots etc. berücksichtigt werden. Nur bei standardisierten Produkten muss der Preis über 50 Prozent bewertet werden, ansonsten kann seine Bewertung bis auf 20 Prozent (bei komplexen Aufträgen) oder 30 Prozent gesenkt werden. Das sorgt dafür, dass der Auftrag nicht dem billigsten Anbieter erteilt werden muss.

Zusammenfassung

Das Thema «öffentliche Beschaffung» ist ein weites Feld. Wichtig ist: Je höher die Auftragssummen, desto strenger sind die Vergabeverfahren. Aber auch in Fällen mit grossen Auftragssummen haben die Vergabestellen die Möglichkeit, die Zuschlagskriterien so zu setzen, dass der Zuschlag nicht automatisch an das niedrigste Angebot erteilt werden muss. Ausserdem müssen die Vergabestellen bei ungewöhnlich niedrigen Angeboten und anderen Unklarheiten in einem Angebot nachfragen und allenfalls die Angebote bereinigen bzw. vergleichbar machen. Nicht zuletzt müssen sie den Zuschlag nachvollziehbar begründen, sodass eine schlechter bewertete Firma eher einschätzen kann, ob der Zuschlag zu Recht erfolgt ist.

*Katharina Seiler Germanier ist lic. iur. Senior Beraterin bei Federas Beratung AG

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