Frauenpower aus dem Bezirk Dielsdorf

Die Frauenförderungsinitiative des BGV Dielsdorf bricht mit einigen Traditionen: Der neue Verein BGV Frauenpower ist ein mutiges Experiment, um der «Sicht der Frauen» eine Plattform zu bieten. Initiant und BGV-Präsident Michael Ricklin und Präsidentin Claudine Fehr finden, es tue gut, wenn gewisse Konventionen aufgebrochen werden. Das bisherige Echo gibt ihnen recht.

Bild Evelyn Harlacher

Der BGV Frauenpower versteht sich als Ergänzung zum BGV Dielsdorf.

Lokale Austritte, Konkurse, Geschäftsaufgaben, Wegzüge: die Mitgliederzahlen in Vereinen und Verbänden schon vor Corona haben in der Krise landauf, landab stetig abgenommen. Als wäre das nicht schon genug, so war das lokale Milizwesen während Corona erst recht einer Zerreissprobe ausgesetzt. Und für Neumitglieder als Gewerbeverein attraktiv zu bleiben, ist nicht einfach. In Zeiten des kollektiven Individualismus müsse man mehr bieten, heisst es oft. Das ist auch in Gewerbevereinen kaum anders: Der «Bratwurst- und Bier»-Anlass hat einen schweren Stand.
Einer, der diese Tendenz nicht als Problem, sondern als Herausforderung sieht, ist der 44-jährige Unternehmer Michael Ricklin aus Dielsdorf. Seit rund einem Jahr ist er auch Präsident des Bezirksgewerbeverbandes (BGV) Dielsdorf. «Das Hauptargument für neu Eintretende im Gewerbeverein ist klar: Die Mitglieder suchen ein Netzwerk, dank dem sie im Gegenzug für ihren Mitgliederbeitrag wirtschaftlich weiterkommen können», bringt Ricklin die Ausgangslage auf den Punkt.

Mutig Neues ausprobieren
Und seither gilt da sein Credo: Mut zum Risiko. Ein Beispiel: Ricklin sieht in den weiblichen Mitgliedern viel Potenzial. Er nahm sich vor, von nun an die Frauen im Bezirk, insbesondere die gewerbetreibenden Frauen, besser zu vernetzen. Und dazu brauchte es ein neues, zeitgemässes Gefäss und natürlich inspirierte Frauen.


Aber was ist daran mutig? Nun ja, man könnte es zum Beispiel als kühn bezeichnen, mit der eher bürgerlich geprägten Veranstaltungstradition beim BGV ausgerechnet mit einer Referentin zu brechen, welche mit ihrem streitbaren Verein Netzcourage beziehungsweise ihrem unzimperlichen Auftreten in den sozialen Medien die Debatte um Gender und Diskriminierung befeuert: Johanna Spiess-Hegglin besuchte den neu gegründeten Verein BGV Frauenpower im November. Und solche neue Formen der Verschwesterung unter dem Dach des BGV Dielsdorf bleiben unter den bisherigen Mitgliedern nicht ungehört. Die kritischen Reaktionen liessen nicht auf sich warten: «Der Anlass kam nicht bei allen gut an. Die Einladung von Jolanda Spiess-Hegglin empfanden einige im BGV ganz klar als Provokation. Aber wir zogen es durch, weil wir fanden, dass das ein wichtiges Thema ist», sagt Michael Ricklin. «Im Geschäftsleben würde man das unternehmerisches Risiko nennen.» Immerhin wollten auch einige Kritiker die Referentin live miterleben.
Doch von vorne: Um zur Seele des BGV Frauenpower vorzudringen und auf die Frage, warum sie sich nicht als Konkurrenz zum bereits bestehenden Gewerbeverein der Furttaler Frauen versteht und als Ergänzung des BGV, hält Grafikerin Claudine Fehr aus Steinmaur die Antworten bereit. Sie hat den BGV Frauenpower gegründet und präsidiert diesen nun. «Wir wollen eine Bereicherung sein und Frauen mit Themen erreichen, die sie auch wirtschaftlich und emotional betreffen. Der klassische Gewerbeverein ist stets sehr männerlastig. So nehmen wir uns vor, den Fokus etwas anders zu legen, andere Themen aufzugreifen», sagt Fehr. Gleichzeitig sehen sich die BGV-Frauen nicht in einer Parallelwelt zum BGV, sondern eher als Brücke. Denn wirtschaftlich teile man dieselben Interessen. «Aber unser Ansatz zur Vernetzung ist ein anderer als bei Männern. Die zwei bisherigen Anlässe hatten eine andere Tiefe», erklärt Fehr. Vor allem der erste Anlass des BGV Frauenpower vom 23. September 2021, ein Stadtrundgang in Zürich zum Thema Hexenverfolgung, fand Zuspruch.

«Unser Ansatz zur Vernetzung ist ein anderer als bei Männern.»

Claudine Fehr, Präsidentin BGV Frauenpower

Vernetzung unter Frauen
Doch wie soll die angesprochene Vernetzung und Integration in den Bezirksgewerbeverband erfolgen? Sie ist sozusagen in der DNA des BGV Frauenpower eingebaut: Alle 700 dem BGV Dielsdorf an-geschlossenen Unternehmen aus fünf Gewerbevereinen dürfen eine Frau aus ihren Reihen nominieren. Doch auch Frauen aus kleinen KMU, die Nichtmitglied sind beim BGV, ist der Beitritt offen. «Im Bezirk oder in Gewerbevereinen gibt es kein Gefäss, in dem sich Frauen untereinander wirklich vernetzen. Aber da ich das als Präsident und Mann ja nicht selber umsetzen kann, brauchte ich jemanden, der kreativ ist und Mut hat. Claudine hat für mich perfekt gepasst», sagt Michael Ricklin.

Thematische Offenheit
Mit Blick auf die ersten beiden Anlässe könnte man vielleicht meinen, dass der BGV Frauenpower eine feministische Kampfansage an männerdominierte Gewerbevereine ist. Doch davon distanziert sich Claudine Fehr. Vielmehr zeigte bislang die thematische Offenheit, dass ein gesundes Mass an Innovationsgeist dem Vereinsleben gut tut – gerade für ein neues Gefäss wie die BGV Frauenpower.
Heisst das, es werden jetzt bald Yoga- oder Poledance-Kurse unter dem Banner des BGV angeboten? Ausgeschlossen ist nichts, aber es ist gerade nicht der Vereinszweck, Vorhandenes zu kopieren und dadurch Klischees zu bedienen. Ricklin sieht es pragmatisch, nicht programmatisch: «Frauen haben oft eine ganz andere Sicht auf die Dinge. Und es ist eine andere Dynamik da, wenn Frauen untereinander sind», stellt er fest. Frauen fänden häufig einen anderen Weg, Probleme über Kommunikation zu lösen. So begrüsst er auch die Konstellation im BGV-Ausschuss, wo derzeit vier der sechs Mitglieder Frauen sind. Auch die Website des BGV Frauenpower, in knalligen Rosa- und Gelbtönen gehalten, kündigt von frischem Wind. «Wir gehen mit der Zeit, die Welt verändert sich», meint Fehr. Gleichzeitig wolle sie mit ihren Vorstandskolleginnen Evelyn Harlacher und Aleksandra Forni ältere Genera-tionen bewegen, ihrer Organisation eine Chance zu geben. Daher mag sie auch das selbstgerechte Attribut «innovativ» nicht im Zusammenhang mit dem BGV Frauenpower. Es gebe auch viele ältere Frauen, die innovativ seien. Vielmehr liege der Mut dem Projekt zugrunde, «etwas anders zu machen».
Mut ist auch ein wichtiges Stichwort in der Biografie vieler berufstätiger Frauen, findet Fehr. Denn oft fehle es Frauen am starken Selbstvertrauen, beruflich dasselbe einzufordern wie Männer. Frauen müssten sich zudem oft zuerst beweisen, um als kompetent oder professionell zu gelten. Da schliesst sich der Kreis: «Wir sind bewusst mutig bei den Anlässen, um auch wahrgenommen zu werden.»
Während der Corona-Krise gab es viele von Frauen geführte Kleinstunternehmen, die kaum wahrgenommen wurden: das Nagelstudio, die Coiffeuse, das Yogastudio. «Sie waren oft allein – ohne Anschluss an einen Gewerbeverein», so Ricklin. «Ich habe mich selber auch schwergetan, in den Gewerbeverein einzusteigen», ergänzt Fehr. «So kann unser BGV Frauenpower als Zwischenstufe fungieren, dank der man die Vorteile sieht, als Unternehmerin gut vernetzt zu sein.»

Eigenes Profil
Fazit nach dem ersten Jahr der Frauenförderungsinitiative des BGV: Sie hat sich ein Profil geschaffen – und sich bewährt. «Unter unseren Frauen ist ein vielseitiges Knowhow da. Dieses benötigen wir in Vereinen», sagt Michael Ricklin. Dass er nun heute so unbeschwert im BGV arbeiten kann, habe er aber auch seinem Vorgänger Jürg Sulser zu verdanken: «Er hat mir einen Verband übergeben, der finanziell gut dasteht. Dieses Fundament ermöglicht es, Ideen umzusetzen wie die BGV Frauenpower oder andere wie die Internetseite, die Lehrlingsarbeit im Bezirk.» Ricklin hat noch mehr Ideen, wenn es um die Vernetzung von Bezirksverbänden, die Rekrutierung von Neumitgliedern oder die Stärkung des Wir-Gefühls geht. Doch nur dank Rückendeckung von seinem Ausschuss könne er auch bei all seinen Mandaten, zu denen der (auch mit seiner Initiative entstandene) Wirtschafts- und Gewerberat und die Standortförderung Zürcher Unterland gehörten, den Überblick behalten. «Wenn man eine Vision hat und Leute im Verband, die diese mittragen, daran glauben und mehr als den Minimalaufwand leisten, dann ist das perfekt», sagt Ricklin.

Mark Gasser

Chefredaktor
Zürcher Wirtschaft

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