«Die erste Säule steht vor dem Ruin»

Die Renteninitiative der Jungfreisinnigen fordert die sichere und nachhaltige Finanzierung der AHV. Dafür soll das Rentenalter bis 2032 für beide Geschlechter auf 66 Jahre erhöht und anschliessend an die Lebenserwartung geknüpft werden. Die AHV-21-Reform greift zu kurz, findet das Initiativkomitee. Matthias Müller, Präsident der Jungfreisinnigen Schweiz, stellt sich im Interview den Fragen zur Vorlage.

Bild FDP

«Die Finanzierung der Renten ist in Gefahr»: Matthias Müller.

Swen Gaberthüel

Matthias Müller, weshalb haben Sie die Renteninitiative lanciert?

Müller: Die Renteninitiative hat zum Ziel, dass auch die nachkommenden Generationen eine anständige Rente erhalten. Fakt ist: Die erste Säule steht vor dem finanziellen Ruin. Ab 2030 schreibt die AHV bereits rote Zahlen. Dies ist auf den demografischen Wandel, also die zunehmende Alterung der Bevölkerung, zurückzuführen. Die Babyboomer-Generation wird demnächst in den Ruhestand gehen, während die Anzahl der AHV-Beitragszahler deutlich abnimmt. Diese Rechnung geht nicht mehr auf. Von 6 Steuerzahlern pro Rentner im Jahr 1948 – bei der Einführung der AHV – sind wir heute auf 3,2 Steuerzahler gesunken und laufen Gefahr, bis 2050 auf 2,1 zu sinken. Die Finanzierung der Renten ist in Gefahr! Wir wollen, dass auch die jüngeren Generationen im Ruhestand Anspruch auf angemessene Renten haben.

Was fordert die Initiative konkret?

Müller: Die Initiative fordert grundsätzlich die Entpolitisierung des Rentenalters. Zuerst würde das Referenzalter bis 2033 für beide Geschlechter auf 66 Jahre angehoben werden. Anschliessend würde das Rentenalter entsprechend der Entwicklung der Lebenserwartung angehoben – bzw. gesenkt – werden. Das macht Sinn, da das eigentliche Problem der Rentenfinanzierung ein demografisches ist. Zudem ist es ein Mechanismus, den viele unserer Nachbarländer bereits eingeführt haben und die AHV würde damit dauerhaft entlastet werden.

Ist es nicht aussichtslos, ein höheres Rentenalter unmittelbar nach der Annahme der AHV-21-Reform vorzuschlagen, mit der das Rentenalter für Frauen bereits angehoben wurde?

Müller: Die AHV-21-Reform wurde angenommen, und zwar zu Recht. Sie sorgt bis 2030 für eine vorübergehende finanzielle Entlastung der ersten Säule. Ab 2030 wird sich die Finanzierungsfrage jedoch erneut stellen. Die Erhöhung des Rentenalters erscheint, wenn man die Zahlen genau betrachtet, logisch. Bei der Einführung der AHV im Jahr 1948 lebten Männer im Schnitt etwa 12 Jahre, wenn sie in Rente gingen. Heute leben sie etwa 20 Jahre, nachdem sie in Rente gegangen sind. Das ist erfreulich, bedeutet aber auch, dass während all dieser zusätzlichen Jahre, eine Rente gezahlt werden muss.

Es gibt eine regelrechte Zahlenschlacht um die Finanzierung der AHV. Wie sieht es konkret aus?

Müller: Der Befund ist eindeutig. Laut dem Bundesamt für Sozialversicherungen und dem Bundesamt für Statistik wird das kumulierte Verteilungsdefizit der AHV ohne Reform bis 2050 rund 120 Milliarden Franken betragen. Dies entspricht dem Bau von zehn Gotthardtunneln. Wir können uns nicht verschulden und die Last dieser Schulden den künftigen Generationen aufbürden. Das ist unverantwortlich!

Gibt es keine anderen Lösungen als eine Erhöhung des Rentenalters?

Müller: Man könnte eine Steuererhöhung über die Mehrwertsteuer in Betracht ziehen, aber das ist meiner Meinung nach sehr unpassend. Die Bevölkerung leidet bereits unter unzähligen Erhöhungen und verliert an Kaufkraft. Ausserdem müsste die Mehrwertsteuer um mindestens 2,2 Prozentpunkte erhöht werden, um diese Schulden zu begleichen. Eine Erhöhung der Mehrwertsteuer um mehr als 10 % ist unhaltbar.

Einige bezeichnen Ihre Initiative unsozial, insbesondere bei körperlich stark beanspruchenden Berufen wie im Baugewerbe. Was sagen Sie dazu?

Müller: Die Initiative ermöglicht weiterhin die nötige Flexibilität für körperlich anstrengende Berufe. Das Rentenalter für diese Branchen wird oft durch Gesamtarbeitsverträge geregelt. Die Festlegung des Rentenalters würde weiterhin zwischen den betroffenen Akteuren vereinbart werden. Auch allgemein ist unsere Initiative alles andere als unsozial, da sie darauf abzielt, die erste Säule zu retten, die das Existenzminimum insbesondere der Ärmsten sichern soll. Die Sicherung ihrer Finanzierung ist von essenzieller Bedeutung.

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