Rechtliche Neuerungen beim Erben
Am 1. Januar 2023 treten neue Normen im Erbrecht in Kraft. Sie gelten ab diesem Zeitpunkt ohne Übergangsregelung, bieten neue Freiheiten und wirken sich auch auf bereits bestehende Testamente und Erbverträge aus. Was gilt es zu beachten?
31. Oktober 2022 Rolf Ringger
Das Erbrecht bringt 2023 einige Änderungen mit sich.
Die Erbrechtsrevision geht im Wesentlichen auf eine im Jahr 2010 im Ständerat eingereichte Motion zurück. Mit der Revision verfolgte das Parlament das Ziel, unser über hundertjähriges Erbrecht an die gesellschaftlichen Veränderungen anzupassen und zu diesem Zweck, den Erblasserinnen und Erblassern einen grösseren Anteil am Vermögen zu belassen, über den sie testamentarisch oder erbvertraglich frei verfügen können. Kernstück der Revision bilden deshalb die neuen Pflichtteile. Pflichtteilsgeschützt sind dabei nur noch der Ehepartner und die Nachkommen des Erblassers. Der heutige Pflichtteilsschutz der Eltern des Erblassers fällt mit der Revision weg. 1988 war schon der Pflichtteil der Geschwister aufgehoben worden. Neu beträgt der Pflichtteil sowohl für den Ehepartner als auch für die Nachkommen einheitlich die Hälfte des gesetzlichen Erbteils. Daraus folgt, dass der Erblasser neu über die Hälfte seines Vermögens letztwillig frei verfügen kann, um insbesondere nicht gemeinsame Kinder oder den Lebenspartner oder die Lebenspartnerin zu begünstigen. Nach heutiger Regelung beträgt die frei verfügbare Quote nur drei Achtel.
Keine Änderung der gesetzlichen Erbteile
Was durch die Revision jedoch nicht ändert, sind die gesetzlichen Erbteile. Diese schreiben vor, wer wie viel vom Nachlass erhält, falls kein Testament oder Erbvertrag vorliegt. Der Pflichtteil stellt deshalb immer eine Quote des gesetzlichen Erbteils dar. Hinterlässt der Erblasser den Ehepartner und Nachkommen, beträgt der gesetzliche Erbteil des Ehepartners die Hälfte und die andere Hälfte teilen sich die Nachkommen. Fehlen Nachkommen, erhält der überlebende Ehepartner drei Viertel des Nachlasses und ein Viertel fällt an den (nicht mehr pflichtteilsgeschützten) Stamm der Eltern. Fehlt ein Ehepartner, teilen sich die Nachkommen das Nachlassvermögen unter sich nach Köpfen. Bestehende Testamente oder Erbverträge sollten deshalb dann an die neue Ordnung angepasst werden, wenn darin die Erbteile von pflichtteilsgeschützten Erben und/oder von eingesetzten Erben mit einer bestimmten Quote festgehalten sind und diese mit dem neuen Recht nicht mehr konform sind, da der Erblasser neu über einen grösseren Teil seines Nachlasses frei verfügen kann. Der überlebende Ehepartner profitiert zudem nicht nur über sein Erbrecht am Vermögen seines verstorbenen Gatten, sondern auch über das Güterrecht, müssen doch zuerst im Rahmen der güterrechtlichen Auseinandersetzung die Vermögenswerte des ehelichen Vermögens den beiden Ehegatten zugewiesen werden. Aufgrund dieser Zuweisung wird der Nachlass des Verstorbenen definiert, der dann unter die gesetzlichen und allenfalls eingesetzten Erben aufgeteilt wird.
Bei Scheidung
Bekannt ist, dass mit der Scheidung auch das Erbrecht zwischen den Ehegatten entfällt. Daran ändert sich nichts. Neu ist jedoch, dass bereits mit der Einleitung des Scheidungsverfahrens der Pflichtteilsschutz des Ehegatten entfällt und nicht erst mit dem rechtskräftigen Scheidungsurteil. Mit einem entsprechenden Testament kann deshalb die Erbberechtigung des Ehepartners bereits im Scheidungsverfahren aufgehoben werden.
Erbverträge
Neuerungen gibt es auch beim Erbvertrag. Hat jemand einen Erbvertrag abgeschlossen, gilt heute das Prinzip der Verfügungsfreiheit. Dies bedeutet, dass beispielsweise Ehegatten, die einen Erbvertrag abgeschlossen und sich gegenseitig als Erben eingesetzt haben, zu Lebzeiten – ohne anderweitige Vereinbarung – weiterhin über ihr Vermögen frei verfügen und insbesondere auch Schenkungen ausrichten können, sofern sie damit nicht offensichtlich beabsichtigen, ihre Verpflichtungen aus dem Erbvertrag auszuhöhlen.
Neu gilt ab 1. Januar 2023 grundsätzlich ein Verfügungsverbot. Damit können die Erbvertragsparteien zu Lebzeiten keine grösseren Schenkungen mehr vornehmen, sofern dies im Erbvertrag nicht ausdrücklich vorbehalten wurde. Sollten dennoch Schenkungen ausgerichtet werden, können die Erben solche Schenkungen später anfechten. Beim Abschluss eines Erbvertrages ist daher neu ein entsprechender Vorbehalt anzubringen. Diese Neuerung ist jedoch auch auf Erbverträge anwendbar, die vor dem 1. Januar 2023 abgeschlossen wurden, wenn der Erblasser erst nach Inkrafttreten der neuen Regelung verstirbt. Selbst Schenkungen, die vor dem 1. Januar 2023 erfolgt sind, können diesfalls angefochten werden. Haben beispielsweise Eltern mit ihren Kindern einen Erbvertrag abgeschlossen, in welchem die Kinder erst im Nachlass des zeitversterbenden Elternteils als Erben eingesetzt sind, kann nach dem Ableben der Mutter eine Schenkung, die der Vater im Jahr 2021 an eine gemeinnützige Institution gemacht hat, angefochten und der Betrag zurückgefordert werden, wenn der Vater im Jahr 2023 stirbt und im Erbvertrag kein entsprechender Vorbehalt angebracht wurde. Um derartige Fälle zu verhindern, empfiehlt es sich, auch bei bestehenden Erbverträgen klar festzuhalten, ob und gegebenenfalls bis zu welchem Umfang Zuwendungen zu Lebzeiten zulässig sind.
Fazit
Die Neuerungen im Erbrecht bringen gegenüber den heutigen Regelungen zahlreiche Vorteile, aber auch gewisse Nachteile. Da die neuen Regeln auch auf Sachverhalte Anwendung finden, die sich vor dem 1. Januar 2023 zugetragen haben, ist es ratsam, bestehende Testamente und Erbverträge auf ihre Konformität mit dem neuen Erbrecht zu überprüfen und gegebenenfalls Anpassungen vorzunehmen.
Rolf Ringger
ist Partner bei der Anwaltskanzlei BEELEGAL und publiziert Ratgeberbeiträge in der «Zürcher Wirtschaft».
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