Rad-WM 2024: Versöhnliche Töne der Stadt Zürich

Die Rad-WM 2024 war wegen der Totalsperrungen vielen betroffenen Gewerblern und Anwohnern bislang ein Dorn im Auge. Nun vollzieht die Stadt Zürich, die bisher alle Rekurse abgewiesen hat, eine Kehrtwende.

Absperrungen ad absurdum: So sah Karikaturist Pascal Coffez den Aktivismus der Stadt im Hinblick auf die Rad-WM.

Ein «Velofäscht für alle» versprechen die Organisatoren der Strassen-Rad-Weltmeisterschaften in Zürich im September 2024 auf ihrer Webseite, gefolgt von der rhetorischen Frage: Kann Zürich feiern? «Ja, und wie! Für Zürifäscht, Street Parade, Knabenschiessen und zahlreiche weitere Gross-events strömen die Menschen zu Zehn-, ja gar zu Hunderttausenden und mehr in die Stadt. Da versteht es sich von selbst, dass zu einer Rad-Weltmeisterschaft auch ein grosses Velofäscht gehören wird. (…) 2024 wird in der Zwinglistadt im ganz grossen Stil gefeiert.»

Fragt man allerdings das umliegende Gewerbe rund ums Seebecken sowie Witikon, umliegende Spitäler und Anwohner, so ist der Fall nicht so klar. Rund 70 Gesuche um Neubeurteilung gingen bei der Stadt Zürich ein wegen zu starker Einschränkungen während der neun WM-Tage vom 21. bis 29. September 2024 (wir berichteten). Die meisten wurden abgelehnt. Bereits im Juli deutete die Stadt zwar Entgegenkommen an. Dennoch gingen fast 60 Rekurse ein.

Epizentrum Sechseläutenplatz

Das Hauptproblem für viele: Alle 53 Zieleinfahrten sind beim Zürcher Bellevue geplant. Das scheinen die Organisatoren geradezu als notwendig zu empfinden: Die Rad- und Para-Cycling-WM 2024 Zürich werde so «die Beliebtheit des Fahrrads als nachhaltiges Sport- und Fortbewegungsmittel steigern und Zürich als attraktive Radsport- und Veloregion bekannt machen».

Doch unverhofft kam nun weiter Bewegung in die Diskussion. Filippo Leutenegger (FDP), Vorsteher Schul- und Sportdepartement, beraumte eine Aussprache mit den wichtigsten Rekursparteien und dem OK ein. Seitens der Verbände und des betroffenen Gewerbes waren Nicole Barandun, Präsidentin des Gewerbeverbands der Stadt Zürich (GVZ), und Severin Pflüger, alt Gemeinderat FDP, der als Anwalt viele Rekurrenten vertritt, anwesend.

Eine der Forderungen – dass nicht alle Rennen am Bellevue enden – sei nicht verhandelbar gewesen. «Das ist eine bittere Pille», so Barandun, die aber insgesamt positiv bilanziert: «Unsere zentrale Forderung war, dass niemand eingeschlossen werden darf, dass also die Zu- und Wegfahrt gewährleistet werden muss. Und diese will die Stadt nun erfüllen.»

Konkret: Es sollen Querungen sowie Zu- und Wegfahrten in den betroffenen Gebieten – mit einigen Verzögerungen und abgestuft je nach Stadium des Rennens – sichergestellt werden. Gemeinsam mit dem OK arbeitete insbesondere die Dienstabteilung Verkehr für alle betroffenen Gebiete Planvorschläge aus, in denen festgehalten wird, wo vor, während und nach den Rennen Querungen möglich sind. Zu Wartezeiten werde es kommen, aber diese sollen nun relativ kurz sein. «So kurz, dass sich das Kispi auch mit dem Vorschlag einverstanden geben konnte.»

Rote, grüne und orange Phasen

Bisher war auf der gesamten Strecke während neun Tagen von 5 bis 19 Uhr ein absolutes Fahrverbot für alle vorgesehen. Neu soll es drei Phasen (grün, orange, rot) geben, die individuell je nach Rennsituation gelten und möglichst eng mit dem Zeitplan abgestimmt werden: In der grünen Phase sind alle Rennstreckenabschnitte normal befahrbar; die orange Phase tritt ca. eine Stunde vor Rennbeginn ein und sobald nach der Durchfahrt des «Besenwagens» der Abbau erfolgt ist. Die Rennstrecke kann während dieser Phase von Fussgängern und Velos frei gequert, jedoch nicht in Fahrtrichtung befahren werden. An ca. 20 Stellen gibt es Querungen, die vom Verkehr frei genutzt werden können. Einzelne ÖV-Verbindungen verkehren auf der Rennstrecke auch in Fahrtrichtung. Rote Phase: Das Rennen läuft. Querungen sind nur an den ca. 20 Stellen und unter geschulter Aufsicht möglich.

Nicole Barandun und Severin Pflüger sind zufrieden mit den Zugeständnissen durch die Stadt und die Organisatoren. «Die Gewerbler, die besondere Bedürfnisse haben, die nicht abgedeckt sind, dürfen darauf zählen, dass sie vom Stadtrat eine Neubeurteilung erhalten», so Pflüger. Eine Apotheke befürchtete etwa einen Engpass bei der Medikamentenversorgung. «Mit diesen Phasen sind wir sicher, dass diese rechtzeitig geliefert erfolgen kann». Ein anderer Gewerbler darf ausnahmsweise in Fahrtrichtung der Rennbahn mit Sattelschlepper beliefert werden. Vor wenigen Tagen wurde der Vergleich nun unterschrieben mit den Einsprechenden, die mit den Änderungen einverstanden sind. Darunter sind nebst vielen Gewerblern auch Spitäler wie das Bethanien oder die Klinik Pyramide, die zum Teil Sonderregelungen erhielten wie ein Zeitfenster für den Gegenverkehr. Neu ist auch, dass Witikon Nord und Süd nicht gänzlich voneinander abgeschottet sind.

Die Stadt Zürich vollzog also eine Kehrtwende im Umgang mit dem Gewerbe, nicht zuletzt, weil sich Stadtrat Leutenegger und sein «guter Draht zur Dienstabteilung Verkehr», wie Pflüger meint, des Dossiers angenommen habe. Und: «Ganz offensichtlich hat unter dem Eindruck unserer Rekursschrift ein Umdenken stattgefunden.»

Der Wermutstropfen für Nicole Barandun: Nach wie vor werde der Raum ums Bellevue eine Festhütte sein: «Bei so einem Anlass über mehr als eine Woche hinweg darf man wirklich infrage stellen, ob es das in Zürich verträgt.» Der Vergleich mit der Street Parade hinke – diese dauere einen Tag.

Mark Gasser

Chefredaktor
Zürcher Wirtschaft

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