Quizfrage: Warum drängt China weg vom Bargeld?

Es passiert immer öfter, dass ich wie ein Alien vom fremden Planeten behandelt werde: Nein, Alter, wir nehmen kein Bargeld. Im Café. Sorry, no cash. Am Hofladen. Sogar Strassenmusiker halten ihr Kartenlesegerät hin. Auf Vortragstour wollen die Leute meine Bücher – mit Twint, ja?

Twint? Nein, hab ich nicht. Obwohl mir anderswo digitale Neuerungen nicht zügig genug vorankommen. Die Gesundheitsbranche verplempert digitale Krankenakten, mit vorgestrigen Datenschutz-Bedenken, «privat» heisst schliesslich nicht schon «geheim». Auch unsere Mobilität läuft so analog wie vor 50 Jahren, bloss überall nun verstopft; dabei bräuchten wir mit digitaler Steuerung keinen Kilometer neue Autobahn, wir müssten nur den ewigen Schlendrian Mensch aus dem Verkehr ziehen, genauer: weg vom Steuer, weg vom Gaspedal. Getraut sich natürlich keiner.
Umso ungenierter holt man mich Barzahler aus dem Verkehr. Zwar ist eine Volksinitiative unterwegs, die will den Staat verpflichten, auf immer reichlich CH-Bargeld bereitzustellen. Könnte politisch aufgehen. Praktisch aber steht es so: Wenn immer weniger Leute bar bezahlen, wenn es sich für Händler nicht mehr lohnt, Bargeld anzunehmen, weil die Kosten im Vergleich zu den Umsätzen zu hoch wären, dann muss es gar nicht formell abgeschafft werden, dann läuft es sich einfach tot, kommt aus Versehen abhanden. Es geht ihm dann wie dem Quartierladen; alle finden es reizend, dass es ihn noch gibt, und shoppen doch online. Ist halt bequemer.

Freiheit gegen Bequemlichkeit

Und im digitalen Zeitalter fast schon normal. Wir tauschen ein Stück bewährter Freiheit gegen Bequemlichkeit ein. Wir schaffen funktionierende analoge Dinge ab – und lassen sie uns danach in digitaler Form wieder verkaufen. Inklusive Gebühren, Datenklau, Überwachung. Klar, digitales Bezahlen erspart uns manche Lästigkeit: kein Wechselgeld, keine Panzerknacker, keine teure Produktion von Münzen und Scheinen, kein Aufwand fürs Inkasso in Firmen. Fürs analoge Bezahlen spricht auch einiges: braucht keinen Strom, schützt vor Hackerangriffen – und vor fahrlässiger Verschuldung, weil das Handy leichter gezückt ist als die 200-Franken-Note. Und was Überfälle/Taschendiebe angeht: Auf digitalen Kanälen laufen wesentlich perfidere Betrügereien, täglich.
Für mich geht es um persönliche Souveränität. Welchen Preis bezahle ich für die Bequemlichkeit, wenn immer mehr Dinge, mit denen ich hantiere, sich auf Speicherchips oder in Clouds verstecken? Wer greift dann auf meine Daten zu? Also auf mich? Für Banken und Tech-Konzerne ist Bargeld ein Ärgernis, klar, es beschränkt ihren Zugriff. Ist Bargeld einmal weg, haben sie den Durchblick – auf uns als restlos berechenbare gläserne Wesen. Alle Gewohnheiten, Vorlieben und Wünsche, für die wir Geld brauchen, lägen offen – auch für Behörden. Unsere Zahlungsdaten wären mit Infos anderer Aktivitäten verknüpft – und könnten benutzt werden, mit oder gegen uns. Quizfrage zum Schluss: Warum wohl setzt China auf den «digitalen Yuan»? Russland auf den «digitalen Rubel»?

Ludwig Hasler

Philosoph, Physiker, Autor und Menschenkenner lhasler@duebinet.ch

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