Psychische Gesundheit: Herausforderung für KMU und Gewerbe

Psychische Erkrankungen belasten KMU und das Gewerbe zunehmend. Auch Kleinbetriebe müssen sich um präventive Massnahmen kümmern und ein unterstützendes Arbeitsumfeld schaffen.

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Psychische Krankheiten sind nicht auf den ersten Blick erkennbar.

«Der Arbeitgeber muss alle Massnahmen treffen, die nötig sind, um den Gesundheitsschutz zu wahren und zu verbessern und die physische und psychische Gesundheit der Arbeitnehmer zu gewährleisten», steht im Arbeitsgesetz. Die Verantwortung des Arbeitgebers bezieht sich auf alle arbeitsbezogenen Faktoren, die Auswirkungen auf die Gesundheit haben könnten. Während der körperliche Schutz mit Sicherheitsmassnahmen, Prävention und klaren Regeln umgesetzt werden kann, ist der Schutz vor psychischen Krankheiten, weil oft nicht offensichtlich erkennbar, nicht ganz einfach.

Alarmierende Zahlen

Die Zahlen sind alarmierend: Gemäss einer Studie des Krankenversicherers SWICA bezeichnen sich 14 Prozent der Schweizer und 22 Prozent der Schweizerinnen als mittel bis schwer psychisch belastet. Bei den jungen Frauen sind es fast ein Drittel. Seelische Erkrankungen sind der Grund für 54 Prozent der Neu-IV-Renten. Auch die vom Bundesamt für Statistik in Auftrag gegebene Schweizer Gesundheitsbefragung bestätigt diesen Trend.

Ganz generell nehmen seit Corona die krankheitsbedingten Abwesenheiten am Arbeitsplatz zu. Ein Grund dafür könnte gemäss Fachleuten eben auch die Zunahme von psychischen Krankheiten sein – diese sorgen mittlerweile für rund doppelt so lange Abwesenheiten wie Unfälle.

Kleinbetrieben fehlt Kapazität

Die Arbeitgeber sollten stärker sensibilisiert werden, nicht erst spät oder zu spät zu reagieren, wenn eine Situation eskaliert ist – sondern präventiv eine Frühintervention zu verankern. Klingt gut und vernünftig. Doch kann von einem Gewerbebetrieb mit drei oder vier Mitarbeitenden ein Gesundheitsmanagement erwartet werden? Während sich in Grossbetrieben das Engagement für die Gesundheit ihrer Mitarbeitenden erhöht, fehlen in Kleinbetrieben meist auch die Voraussetzungen und die Kapazität – dabei hätten sie ja sogar den Vorteil, dass sie allein von der Grösse und von den flacheren Hierarchien her, näher bei den Mitarbeitenden wären.

Nichts tun ist der falsche Weg

«Die Frage ist eher, ob man es sich leisten kann, nichts zu tun», sagt Dr. Alice Inauen, Dozentin und stellvertretende Studiengangsleiterin des Bachelor of Science in Gesundheitsförderung und Prävention an der ZHAW in der Winterthur. Gerade auch, weil es in Kleinbetrieben besonders stark ins Gewicht falle, wenn jemand für längere Zeit krankheitshalber abwesend sei. «Ob es in einem Kleinbetrieb mit ein paar Mitarbeitenden ein systematisches betriebliches Gesundheitsmanagement (BGM) braucht, ist die andere Frage», ergänzt sie. Wichtig sei, darauf zu achten, wie im Betrieb kommuniziert werde – klar und wertschätzend. Und dass die Mitarbeitenden genügend Autonomie und Mitsprachmöglichkeiten hätten, sich weiterentwickeln könnten und bei Problemen am Arbeitsplatz unterstützt würden. Eine offene Kultur sei aber wichtig, in der sich die Mitarbeitenden auch trauten, beispielsweise Missstände anzusprechen, also auch die psychologische Sicherheit. Das alles werde häufig schon gemacht, ohne dass es in ein BGM eingebunden sei.

Gutes Betriebsklima sorgt vor

Bei der Schreinerei Schneebeli AG in Ottenbach ist Urs Wyss, Produktionsleiter und Mitglied der Geschäftsleitung, für das Gesundheitsmanagement zuständig. Ihm ist es vor allem wichtig, nah bei den Mitarbeitenden zu sein und eine offene Beziehung zu pflegen. «Gerade psychische Erkrankungen sind nicht ohne weiteres zu erkennen und vor allem ist es sehr herausfordernd, damit umzugehen», sagt er. Jede Lösung sei individuell und nicht planbar, ein laufender Prozess. «Die Mitarbeitenden müssen aber wissen, dass sie jederzeit auf mich zukommen können und dass es keine Tabuthemen gibt», ergänzt Wyss. Gesundheitsmanagement bedeutet für ihn aber nicht nur, sich um Krankheiten zu kümmern, sondern auch darum, wie diese verhindert werden können – durch ein gutes Betriebsklima beispielsweise. «Dafür braucht es Goodwill und Flexibilität», sagt Wyss. Offen zu sein für neue, individuelle Arbeitsmodelle wie Teilzeitarbeit oder die Möglichkeit, einmal kurzfristig einen freien Tag einzuziehen und diesen ein anderes Mal zu kompensieren – ohne natürlich die Produktion und die Liefertermine zu gefährden. Dafür sei eine gute und kundenorientierte Zusammenarbeit nötig.

Psyche nicht tabuisieren

Isoliert können die Arbeitgeber allein psychische Krankheiten nur teilweise verhindern und begleiten. Sie können Massnahmen ergreifen gegen Mobbing, ungerechtfertigte Kritik, Ausgrenzung, Missbrauch von Machtpositionen, Kränkungen und fehlende Anerkennung. Für ein übergeordnetes, überdachendes Gesundheitsmanagement sind aber alle Beteiligten gefragt. Versicherungen, die die Unternehmen unterstützen, damit erkannte Krankheiten nicht negativ verlaufen, und eine schnelle Rückkehr in das Arbeitsleben ermöglichen. Auch Ärztinnen und Ärzte tragen zu den Absenzen bei. Und über allem steht die Einsicht, dass es neben den körperlichen eben auch psychische Krankheiten gibt, die angesprochen und nicht weiter tabuisiert werden dürfen.

Gerold Brütsch-Prévôt

Redaktioneller Mitarbeiter Zürcher Wirtschaft

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