Oldies – oder: Es gibt keinen Bachelor in Erfahrung

Heute drehen Rockmusiker nochmal auf, wenn sie gegen 80 gehen. Ein prima Vorbild für all die Normalsenioren, die ab 65 als Pensionäre herumhängen. Nicht weil sie bis zum Umfallen weitermachen sollen. Sondern weil Arbeit im Alter einen neuen Reiz gewinnen kann: Wir müssen nicht mehr tun, was wir dann tun. Wir müssen nichts Besonderes erreichen, niemanden beeindrucken. Wir machen es quasi lart pour lart. Arbeit als Freiheit.

Warum kommen die Dinosaurier aus der Frühzeit der Rockmusik so erfolgreich zurück auf die Bühne? Bob Dylan. Die Rolling Stones. Suzi Quatro. Neil Young. Nick Mason von Pink Floyd … Seltsam, die sind oft besser als früher. Früher powerten sie drauflos, vollgepumpt mit Drogen, die brauchten sie, um sich auf die Bühne zu wagen. Jetzt ist das Lampenfieber weg, wie eine Kinderkrankheit. Sie sind souverän bei der Sache, auffällig heiter, wohl auch weil Todesahnung mitmischt. Die Posen wirken nicht mehr aufgesetzt, kurz: Die Oldies sind bei sich angekommen.

Taugt das nur in der Unterhaltung? Oder könnten wir das auch in der Wirtschaft nutzen? Eine Fraktion der «Altersweisen», die etwas angesammelt haben, was mit 25 nicht zu haben ist? Man nennt es: Erfahrung.

Von Managern höre ich oft: Die Zeit der Erfahrung ist vorbei. Sie galt etwas in stabilen Zeiten, als man ein Leben lang punkten konnte mit dem, was man unterwegs gelernt hatte. Vorteil Alter: Alte leben halt schon länger. Wer länger lebt, hat mehr erlebt, mehr durchlebt, mehr überlebt. Ist häufiger auf die Nase gefallen, wieder aufgestanden, hat folglich mehr Ahnung, wie das Leben läuft.

Läuft heute nicht anders. Fragt sich nur: Zählt noch, was wir früher erlebten? In stabilen Zeiten konnten Enkel von Grosseltern lernen, wie sie tüchtig durchs Leben kommen. Inzwischen leben wir in dynamischen Zeiten. Da erneuert sich immer mehr immer schneller – und das heisst auch: Es veraltet immer mehr immer schneller. Vor allem unsere Erfahrung. Wir können also, was wir mit 40 lernten, nicht mit 70 andern als Weisheit verkaufen.

Dennoch. Eine Enkelin hat grad das Staatsexamen in Medizin gemacht, hat also das jüngste Wissen der Branche intus. Ist sie jetzt eine prima Ärztin? Na ja, eher eine top ausgebildete Medizinerin. Meine 58-jährige Hausärztin dagegen, die nimmt nicht mehr jede neue Studie furchtbar ernst, doch sie hat Tausende Patienten gesehen, untersucht, therapiert. Ihr Wissen ist praxisgesättigt. Praxis heisst nicht: Studienwissen auf Einzelfälle herunterbrechen. Denn jede Patientin ist einzigartig, reagiert höchst persönlich auf Therapie. Also wirkt die gute Ärztin kreativ in der Lücke zwischen Theorie und Fall. Daraus entsteht Erfahrung.

Gilt für alle Branchen – vom Heizungsmonteur über die Informatikerin bis zum Gartenbauer: Wissen ist gut, Erfahrung ist besser. Erfahrung aber kann man nicht lernen, wir müssen sie machen. Das braucht Zeit. Es mag für alles einen Machelor/Master geben. Nur nicht für Erfahrung.

Ludwig Hasler

Philosoph, Physiker, Autor und Menschenkenner lhasler@duebinet.ch

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