«Niemand ist für Verzicht bereit»

Finanzdirektor Ernst Stocker (66) steigt auf Bitten seiner Partei nochmals in die Hosen und kandidiert 2023 für den Regierungsrat. Im Gespräch erklärt er, warum die geringe Steuersenkung nicht gewerbefeindlich ist und was die globale Mindeststeuer für den Kanton Zürich bedeutet.

Bild Ernst Stocker

«Ich finde nicht, dass man im Kanton Zürich von einem Stadt-Land-Graben sprechen kann.», Ernst Stocker Regierungsrat SVP

Sie erinnern sich vielleicht nicht mehr, aber wir kennen uns schon länger: An einer Wahlkampfveranstaltung von Ihnen und Mario Fehr in Feuerthalen 2015 sprang Herr Fehrs Staatskarosse nicht mehr an. Und Sie haben mit meinen Kabeln beim Überbrücken angepackt. Ziehen Sie jetzt auch für die SVP als «Macher» den Karren aus dem Sumpf? 

Ernst Stocker: Das wird sich weisen. Das Volk hat das letzte Wort. Aber klar: Eigentlich wollte ich nicht mehr antreten. Dann kam die Partei auf mich zu und sagte: «Überleg es dir doch nochmals, du bist ja noch fit.» Die möglichen Kandidaten haben ausdrücklich gesagt, für sie sei es aus familiären und beruflichen Gründen derzeit nicht möglich anzutreten. Ich ging also nochmals über die Bücher und habe auch Aufmunterung in der Öffentlichkeit und auf der Strasse gespürt. Und nach reiflicher Überlegung entschied ich mich, nochmals anzutreten. So steige ich jetzt nochmals in die Hosen. Als Landwirt muss man ausserdem vieles können: Schweissen, Wasserleitungen flicken, elektrische Kabel anschliessen, Platten legen – man muss ein Allrounder sein, ein «Heimwerker», wie man das heute so schön sagt.

Werden Sie aber trotzdem ab und zu Ihrem Sohn auf dem Bauernhof helfen können und den Kartoffelacker besorgen, wie Sie das eigentlich geplant hatten? 

Stocker: Die Kartoffeln und die Tomaten, die ich mit meiner Frau im Garten pflege, sind eher ein Hobby. Eigenes Gemüse gemeinsam mit einem guten Stück Fleisch auf den Grill zu werfen, bedeutet für mich einfach hohe Kultur und Lebensqualität. 

Bei einer weiteren Amtszeit: Kommt das Privatleben nicht zu kurz?

Stocker: Nein, es ist eine optimale Mischung. Wenn wir jetzt kleine Kinder hätten, wäre es nicht so einfach. Aber ich wohne nicht weit von Zürich. Am Wochenende bin ich, wenn es die Agenda zulässt, weiterhin auf dem Hof tätig. 

Sie sprechen sich ja auch viel mit Ihrer Frau ab. Wer hat bei Ihnen das Sagen über die Finanzen? 

Stocker: Es ist bei uns etwas speziell. Meine Frau füllt die Steuererklärung aus, auch wenn ich den Überblick gleichermassen habe – und sie macht es auch immer zu meiner Zufriedenheit. 

Wenn Sie zurückblicken auf die zwei Jahre Corona und die finanziellen Massnahmen des Kantons Zürich: Welches Fazit ziehen Sie da? Was würden Sie optimieren? 

Stocker: Man muss vielleicht etwas differenzieren: In einer ersten Phase hat der Bund Bürgschaften gesprochen, während die Banken das Geld vergeben haben. Diese haben natürlich eingespielte Kreditabteilungen, welche die Zahlen der Firmen kennen und hauptsächlich die Kredite zur Verfügung stellten. Ergänzend dazu hatten wir im Kanton Zürich ein eigenes Programm  und sprachen Garantien für Kredite, die von den Platzbanken vergeben wurden. Das ging sehr schnell, und diese Mittel flossen hauptsächlich in Startups. Anders war es beim Härtefallprogramm. Erstens mussten wir die ganze Organisation, die Infrastruktur und einen durchgängig digitalen Prozess aufbauen, um die erwartete Flut an Gesuchen bewältigen zu können. Ausserdem mussten wir das Parlament einbeziehen. Zwar hatten wir die Kredite in drei Wochen bewilligt bekommen, doch im Kanton Zürich gibt es eine dreimonatige Referendumsfrist, die abgewartet werden musste. Daher wurden wir beim Härtefallprogramm anfänglich als zögerlich wahrgenommen – was wir aber nie waren. 

50 Prozent betrug in der ersten Härtefallrunde die Umsatzgrenze… War diese Grenze nicht zu hoch und der Kurs der Regierung im Nachhinein zu konservativ, wie dies der KGV monierte? 

Stocker: Das hatte der Kantonsrat zunächst so entschieden. Aber das ganze Programm war ein laufender Prozess, bei dem stetig korrigiert wurde. Wir machten anfänglich mit dem Parlament aus, dass wir grundsätzlich immer die Bundesvorgaben zu Corona übernehmen. Das Parlament forderte im Gegenzug, dass es bei Abweichungen der Bundesvorgaben aktiviert wird, um einen Beschluss zu fassen. Klar: Es gab grosszügigere Kantone, zum Beispiel Zug. Aber es gab auch weniger grosszügige, beispielsweise im Gastronomiebereich. Und übrigens: An der GV des KGV kam eine Frau zu mir und bedankte sich für unsere Unterstützung. 

Nun stehen wir bereits mitten in der nächsten Krise: dem Angriff Russlands auf die Ukraine. Sie kritisierten an der SVP-Delegiertenversammlung, dass die SVP wegen einzelner Exponenten als «Putin-Versteher-Partei» dastehe, was den Kandidierenden bei den Gemeindewahlen schadete. Würden Sie da tatsächlich von einer Kausalität sprechen? Das eine betrifft die Lokal-, das andere die Geopolitik.

Stocker: Ich habe meine Meinung gesagt. Die Botschaft ist angekommen. Ich hatte selten so viele Reaktionen und muss dazu nichts mehr sagen. Aber ich glaube, es ist die Stärke einer Partei, wenn man das sagen darf. Wir leben in einer freiheitlichen Gesellschaft, man darf auch mal unterschiedlicher Meinung sein. 

Aber auch bei der Corona-Politik war die SVP nicht immer einer Meinung. Hat ihr das bei vergangenen Wahlen geschadet? 

Stocker: Ich weiss es nicht. Aber ich stelle fest: Ich bin seit 25 Jahren in Exekutiven, habe x Wahlkämpfe bestritten. Und das Wichtigste ist: Jeder Kandidat, jede Kandidatin braucht Stimmen von anderen Parteien. Sonst wird man nicht gewählt. 

Statt dem «Bürgerlichen Bündnis» (BüBü) und dem gemeinsamen Ticket von 2019 wurde für 2023 nur ein «lockeres Bündnis» mit der FDP und Der Mitte angekündigt. Ein Handicap? 

Stocker: Ich gehe davon aus, dass wir in irgendeiner Form einen Zusammenschluss finden werden. Die Linken und die Grünen machen das perfekt: Die stimmen ohne grosse Bündnisse füreinander. Das entscheidet jede Stimmbürgerin am Küchentisch. Noch ist die Wahl weit weg, aber zentral wird sicher die Stimmbeteiligung sein. Diese ist im Verhältnis zu den Sachvorlagen traditionell enorm tief. Alles über 30 Prozent ist gut. 

Und beim Mobilisieren vor Wahlen war die SVP ja immer gut. 

Stocker: Bis jetzt schon. Auch wir erlitten zuletzt jedoch Verluste. Man wird sehen, ob die Situation anders ist. Bei den Gemeindewahlen war sie jedenfalls nicht so glänzend. 

Werden Sie selber, falls gewählt, eine ganze Amtszeit durchhalten oder für eine Nachfolgerin/einen Nachfolger den Stuhl räumen? 

Stocker: Grundsätzlich stellt man sich für eine gesamte Amtszeit zur Verfügung. Was dazwischen geschieht, kann niemand voraussagen. Von daher bin ich flexibel. 

Sehen Sie in den Verlusten der SVP-Sitze in Parlamenten gegenüber der hohen Dichte an SVP-Gemeinderäten in kleineren Gemeinden auch einen Ausdruck des wachsenden Stadt-Land-Grabens? 

Stocker: Was den Kanton Zürich angeht, finde ich nicht, dass man von einem Stadt-Land-Graben sprechen kann. Wir sind im Vergleich zu Kantonen wie Aargau oder Schwyz einfach viel urbaner. Und nehmen Sie zum Beispiel Kloten: Das ist eine Stadt, die für die SVP gut lief. Ausserdem: In Dietikon wurde der SVP-Stadtpräsident wiedergewählt, in Opfikon wurde ein SVP-Stapi neu gewählt. Ich glaube, Exekutivwahlen sind auch Persönlichkeitswahlen. 

Auch aus Ihren eigenen Reihen kam die Kritik, dass die Senkung des kantonalen Gewinnersteuersatzes 2021 um ein kümmerliches Prozent zu wenig sei. Sie sprachen anderseits von einem nötigen «erhöhten Spielraum für die Planung der nächsten vier Jahre». Wozu braucht es diesen?

Stocker: Dank dem neuen Spielraum haben wir zum einen eine Steuerfussreduktion um zwei Prozentpunkte für alle in die Finanzplanung aufgenommen, zum anderen den zweiten Schritt der Steuervorlage 17. Das heisst, dass der Gewinnsteuersatz von 7 auf 6 Prozent gesenkt werden soll, woran die Erhöhung der Dividendenbesteuerung von 50 auf 60 Prozent gekoppelt wäre. Aber das Parlament oder das Volk werden das letzte Wort haben. 

Die Überschüsse wecken Begehrlichkeiten – auch bei den Linken, den Grünen und den Grünliberalen, welche Entlastungsmassnahmen für tiefe Einkommen oder die Finanzierung der Klimawende, Solaranlagen auf Kantonsgebäuden sowie Förderbeiträge für private Anlagen und Sanierungen fordern. Wer darf sich freuen? 

Stocker: Von den gut 750 Millionen Franken Überschuss wurde bereits vieles investiert: Rund 600 Millionen wurden im vergangenen Jahr «verbaut». Gleichzeitig bauten wir mit dem Überschuss Schulden ab, statt neue Schulden aufzunehmen. Durch Investitionen in die Infrastruktur ist das Eigenkapital gestiegen. Bei uns steht jetzt zum Beispiel der Neubau des Universitätsgebäudes Forum UZH für 600 Millionen Franken an. Wir versuchen ständig, den Investitionsstau abzubauen. Er wird aber kaum kleiner – denn es ist niemand bereit, auf etwas zu verzichten.

Blicken wir in die Zukunft – und auf die globale Finanzpolitik: Die OECD-Steuerreform sieht einen weltweiten Mindeststeuersatz von 15 Prozent zunächst für umsatzstarke Unternehmen vor. Tangiert dies die Zürcher Wirtschaft überhaupt? Schliesslich liegt die Grenze heute darüber. 

Stocker: Dass Zürich selber unter die OECD-Mindeststeuergrenze fällt, glauben wir nicht. Eine Ausnahme sind vielleicht Firmen mit Abzügen im Forschungs- und Entwicklungsbereich. Aber hauptsächlich wird es die Kantone treffen, die heute schon tiefe Steuern haben. Ich glaube, dass die Steuerreform wohl oder übel umgesetzt werden muss. Der Grund für die OECD-Reform ist ja, dass grosse Staaten Tiefsteuerländern Steuersubstrat entziehen wollen. Unser oberstes Ziel muss sein, die Firmen und deren Geld hier zu behalten. Sonst hätten wir ein Problem, auch beim Finanzausgleich. 

So oder so: Es scheint, dass der Handlungsspielraum für die Finanzdirektion enger wird. 

Stocker: Sicher ist die globale Mindeststeuer auch ein Eingriff in die Steuerautonomie der Kantone. Aber wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass Grossfirmen mit über 750 Millionen Umsatz so besteuert werden wollen, dass sie die OECD-Regeln einhalten – sie wollen Rechtssicherheit und keine Streitigkeiten mit ausländischen Steuerbehörden. 

Henrique Schneider, Vizedirektor des sgv, forderte in dieser Zeitung, dass genau jetzt gut bezahlte kantonale Verwaltungsangestellte Schlupflöcher prüfen und den Bund dann auffordern sollten, diese einzubauen. Welche Schlupflöcher wünschten Sie? 

Stocker: Keine. Ich glaube, die Firmen wollen das gar nicht. Und die vorgesehenen Massnahmen der OECD sind relativ eng. Wenn zudem Subventionen ausgeschüttet werden, wie dies einige forderten, müssten alle davon profitieren – nicht nur grosse Firmen. Economiesuisse forderte ja auch, AHV-Beiträge für ausländische Forscher herabzusetzen. Bringen Sie das mal durch eine Volksabstimmung! Das können Sie vergessen. Das verstehen die Durchschnittsbürger nicht. 

Sie haben zu Hause ja Ihren eigenen «Umbau zur grünen Wirtschaft» vollzogen und 2019 eine Photovoltaikanlage einbauen lassen – mit der EKZ als Totalunternehmerin. Nun sitzen Sie gemeinsam mit Martin Neukom auch im EKZ-Verwaltungsrat. Hätten Sie da nicht dem privaten Sektor den Auftrag geben können? 

Stocker: Das hat gut geklappt – damals, als man noch Solarpanels auf dem Markt erhielt. Montiert wurden sie von einem Privatunternehmen. Anderseits: Die Elektriker haben gerade alle sehr viel zu tun. Ein Heizungsmonteur sagte mir gestern, sein Betrieb habe zu wenige Fachkräfte, aber gleichzeitig erhalte er auch zu wenig Material. Die Weltwirtschaft ist sehr fragil. Und Lieferengpässe sind gerade für Klimamassnahmen eher ein Hemmschuh.  

Mark Gasser

Chefredaktor
Zürcher Wirtschaft

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