«Nicht nur Föhn- oder Strubbelfrisuren»

Wie sieht die Geschäftslage bei den Coiffeuren aus? Wie haben sie Corona überstanden? Ist der Berufsnachwuchs gesichert? Welche Qualifikationen braucht es? Wir sprachen an der Berufsmesse mit André Hann, Geschäftsleiter des Berufsverbands coiffureSUISSE Kanton Zürich.

Bild M.G

Coiffeurverbands-Geschäftsführer André Hann an der Berufsmesse.

André Hann, Sie sind Coiffeur. Aber ist es doch ein Frauenberuf?

André Hann: Wir haben zwar leider weniger Männer in der Branche. Aber der Anteil Männer war eigentlich immer recht stabil bei rund 20 Prozent.

Ist Ihr Beruf konjunkturresistent oder gar gestärkt worden in der Erholungsphase nach Corona? Und wie ist das mit den Fachkräften: Haben Sie da ein Problem?

Hann: Wir hatten das Glück, dass wir mit dem Bund sehr früh die ganzen Hygienekonzepte ausarbeiten konnten, um während Corona weiterarbeiten zu können. Deshalb traf Corona unsere Branche nicht so stark. Aber wie Sie richtig vermuten: Gleich nach der Pandemie erlebten wir einen massiven Run auf die Coiffeurgeschäfte, das normalisierte sich erst nach drei, vier Monaten.

Bundesrätin Simonetta Sommaruga nährte die Sehnsucht nach dem Coiffeurbesuch ja auch frisurtechnisch mit ihrem recht ausgefransten Look, den sie eine Zeit lang im Lockdown trug…

Hann: In der Tat. Aber ich war erstaunt, dass Karin Keller-Suter immer «wie aus dem Trückli» daherkam. Alle fragten sich: Wie hat sie das gemacht?

Vielleicht hatte sie einen Roboter zur Hilfe. Werden diese auch bald Haare schneiden?

Hann: Nein. Vor zwanzig Jahren gab es mal einen Versuch mit Haarwaschmaschinen. Das ging relativ kläglich in die Hosen – und war gleichzeitig ein Signal. Wir haben einen Beruf, bei dem der Kontakt mit dem Menschen wichtig ist. Wenn da Maschinen mechanisch die Arbeit erledigen, ist das nicht dasselbe. Es ist wie bei der Medizin: Wenn ich zum Hausarzt gehe, will ich ja mit einer Person sprechen, nicht mit jemandem online.

Ist Coiffeur oder Coiffeuse ein Beruf, der auch für lernschwache Schülerinnen und Schüler mit gleichzeitig stark ausgeprägten Sozialkompetenzen geeignet sein könnte?

Hann: Die Sozialkompetenz ist so oder so immens wichtig. Man muss einfach Menschen mögen. Man muss gern kommunizieren – da geht es oft ums Befinden. Das Befinden hat oft mit der Ausstrahlung zu tun, die Ausstrahlung mit dem Stil, der Frisur, den Kleidern. Ein Feeling für dieses Gesamtpaket muss jemand schon mitbringen. Schulisch können auch etwas Schwächere – etwa mit einer Sek C und dafür einer vierjährigen Lehre – den Beruf erlernen: zwei Jahre als EBA-Ausbildung, weitere zwei Jahre EFZ, während derer man Zeit hat, Stützkurse zu besuchen. Aber bei uns im Kanton Zürich ist die sprachliche Kompetenz mit der ganzen Migrationssituation die Herausforderung. Das hat nichts mit Talent zu tun, das bringen sie mit. Aber man muss gut beraten können. Ein Coiffeurbesuch ist geglückt, wenn die Beratung geglückt ist.

Wenn ich das richtig deute: Sie müssen die Interessenten für die Lehrstellen selektiv auswählen, weil die sprachlichen Kompetenzen oft nicht genügen?

Hann: Nun ja, dafür gibt es ja das EBA mit etwas tieferer schulischer Stufe, und währenddessen besuchen die Jugendlichen Stützkurse, um die Sprachkompetenz aufzubauen und in unserer Kultur anzukommen. Denn ich glaube, wenn ein Mensch in unserer Sprache ankommt, hat er auch die Kultur soweit integriert, dass er sich wohlfühlt. Dann ist der Erfolg im EFZ-Bereich – der zweiten Ausbildungsschiene – aufgegleist.

Coiffeur ist zu einem grossen Teil also Sprachkultur?

Hann: Natürlich ist das fachliche Können das A und O. Aber wenn ich ein grosses fachliches Können habe und den Kunden nicht beraten kann, kann ich die Kompetenz nicht verkaufen: Der Kunde weiss gar nicht, dass ich gut bin.

Junge Leute scheinen sehr bedacht auf ihre Frisur – man blicke etwa auf die Trends an der Fussball-WM und auf die Peer Groups.

Hann: Das stimmt, und aufwendige Frisuren sind aktuell wieder sehr beliebt, nicht nur Föhn- und Strubbelfrisuren. Der Nailbereich bei den jungen Frauen ist auch sehr beliebt. Männer hingegen sind etwas einfacher gestrickt. Ein Mann will eine praktische Frisur, die auch sitzt.

Und was lernen die Jugendlichen bei Ihnen hier an der Berufsmesse?

Hann: Wir lassen die Gäste an unserem Stand die Kernkompetenz ausüben: das Haareschneiden. Wir drücken ihnen eine Schere in die Hand und lassen sie etwas spielen. In erster Linie geht es darum, die Grundlinie zu schneiden. Wichtig ist, dass sie das Werkzeug kennen lernen. Gleich im ersten halben Lehrjahr lernen die Jugendlichen ja Kamm und Schere zu benutzen und Kunden zu bedienen. In den überbetrieblichen Kursen schneiden sie von Anfang an Haare. Im Betrieb jedoch arbeiten sie zuerst am Übungskopf. Dann kommen Modelle – meist Kolleginnen und Kollegen. Im zweiten Lehrjahr können sie – je nach Lehrbetrieb – in der Regel bereits an Kunden Haare schneiden.

Mark Gasser

Chefredaktor
Zürcher Wirtschaft

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