Anita Borer: Neue Gewerbepräsidentin und erneut Kantonsrätin

Ob bei der Bewilligung für den Wurststand oder fürs Fondue-Chalet: Die unternehmerische Freiheit ist kein Selbstläufer. Sie entspringt politischen Entscheiden. Diese Botschaft, aber auch viel Pragmatismus beim Suchen von Lösungen fürs Ustermer Gewerbe, will die wiedergewählte Kantonsrätin und neue Gewerbepräsidentin Anita Borer vorleben.

Bild Mark Gasser

«Man muss etwas tun fürs Gewerbe»: Anita Borer in Usters Stadtzentrum.

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«Man muss etwas tun fürs Gewerbe»: Anita Borer in Usters Stadtzentrum.

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«Man muss etwas tun fürs Gewerbe»: Anita Borer in Usters Stadtzentrum.

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«Man muss etwas tun fürs Gewerbe»: Anita Borer in Usters Stadtzentrum.

Ihre Rückkehr in den Kantonsrat sorgte für einiges Aufsehen. Nachdem Anita Borer von 2011 bis 2019 bereits im kantonalen Parlament Einsitz genommen hatte und wegen ihrer beruflichen Pläne nicht mehr angetreten war, kam sie bravourös zurück: Nach neuerlicher Kandidatur wurde sie für den Bezirk wiedergewählt – mit mehr Erfahrung als Selbständige, aber auch als Kommunalpolitikerin. In Uster ist die 37-Jährige bereits langjährige Gemeinderätin (seit 2011), war jüngste Gemeinderatspräsidentin (2021) und hat inzwischen ein eigenes KMU gegründet – und so wurde sie vom 13. Listenplatz bei 16 Kandidierenden auf Platz vier gewählt.

«Ich sprang für jemanden ein, der ausfiel, sah mich als Listenfüllerin und war daher von meiner Wahl überrascht», sagt Anita Borer bei einem Kaffee im Zentrum von Uster. Doch ihre ersten acht Jahre als Kantonsrätin waren wohl nachhaltig. Es gebe Themen, die einen ständig beschäftigen. «Ich blieb ja stets politisch aktiv, auch wenn ich mich aus dem Kantonsrat zurückzog vor vier Jahren», so die Co-Vizepräsidentin der SVP Kanton Zürich.

Ustermer Gewerbepräsidentin

Doch in den vier Jahren hat sich einiges geändert. Unter anderem, weil sie nun als neue Präsidentin des Gewerbeverbands auch das Ustermer Gewerbe vertritt, «so werde ich auch eine etwas neue Perspektive haben». Das Gewerbe sei in der Politik untervertreten, dafür sei Uster bestes Beispiel: Fürs Fondue-Chalet im Winter müsse der Wirt einen umständlichen Baubewilligungsmarathon bewältigen. «Im Umgang mit den Gewerblern fehlt seitens der Verwaltung oftmals das Verständnis und Feingespür. Uster ist in solchen Punkten teilweise sogar strenger als die Stadt Zürich.»

Dass sie auch politisch hörbar sein wird, deutete sie auch in ihrer Wahlansprache als GVU-Gewerbepräsidentin Ende März an – als Nachfolgerin des tatkräftigen Heinz Haag: Sie wolle «dem Ustermer Gewerbe eine starke, wahrnehmbare Stimme geben». Viele Themen hätten direkt oder indirekt mit dem Gewerbe zu tun – nur werde dieses nicht immer gefragt. Ein Beispiel: Die Stadt Uster sperrt im Sommer zwei Wochen lang die Strassen im Zentrum. Dazu möchte sie nun die Meinung des Gewerbes einholen. Sei das über Gewerbeanlässe oder im persönlichen Kontakt. Ein weiteres Beispiel: Im Zuge des Brands im «Uschter 77», einem Komplex mit Ladengeschäften, seien viele Geschäfte in Mitleidenschaft gezogen worden. Borer suchte mit den Ladenbetreibern Lösungen, um die stark Betroffenen zu unterstützen. Konkret haben die Ladenbetreiber ein Crowdfunding eingerichtet, das nun der Gewerbeverband Uster unterstützt, indem er seine Plattformen dafür zur Verfügung stellt. «Um mehr Gewicht zu haben, ist es wichtig, den Mitgliederbestand auszubauen. Aber es ist natürlich eine Wechselbeziehung: Man muss etwas tun fürs Gewerbe – das heisst auch, politisch Einfluss zu nehmen. Dann sieht dieses auch den Mehrwert.» Persönlicher Austausch sei ebenfalls Bedingung für gegenseitige Wertschätzung. «Dann bekommt man auch mit, was die Gewerbler beschäftigt, und kann sie ernst nehmen.» So trägt eine Anfrage an den Stadtrat für vereinfachte Baubewilligungen bei temporären Bauten und Anlagen – zum Beispiel für besagtes Fondue-Chalet, Glace- oder Wurststand – ihre Handschrift.

Regelmässig führt der Gewerbeverband einen Lunch oder Apéro durch, weiter will sie regelmässig im Rahmen von Firmenbesuchen Referenten organisieren. «Um auch fachlich einen Mehrwert zu bieten», meint Borer. Und fügt an: «Wir haben zum Glück einen sehr aktiven, engagierten Vorstand.» Einen kontroversen, aber informativen Auftritt verspricht die Zusage des Polizeikommandanten, beim Gewerbe im Rahmen eines solchen Events vorzusprechen. Eine wichtige Kontaktperson, insbesondere wenn es um die Umsetzung von Verkehrsmassnahmen geht.

Kritik an Schulexperimenten

Ihre Aktivitäten und Vorstösse während ihrer ersten acht Kantonsratsjahre waren dominiert von der (aus ihrer Sicht verfehlten) Bildungspolitik: Oft kritisierte Anita Borer den Lehrplan 21 und damit verbundene neue Trends wie das «Schreiben nach Gehör» ohne Korrektur – eine neue Lerntechnik gemäss Lehrplan 21. Weitere Anfragen oder Vorstösse zur Volksschule umfassten: die semesterweise Einführung eines Zeugnisses (2012), die Wirksamkeit der Fremdsprachenausbildung von Primarlehrkräften (2016), die Zunahme von Sonderschülern (2017), die Umsetzung bzw. geforderte Sistierung des Lehrplans 21 (2014/2015) oder die Überprüfung der Kosten für Sonderpädagogik an der Volksschule (Postulat, 2015). Die politische Neutralität von Lehrmitteln und der Volksschule allgemein forderte sie in einer dringlichen Anfrage und in einer Interpellation 2018. Da fragt man sich: Wird in der Schule Gehirnwäsche vollzogen?

Anita Borer wägt ihre Worte stets ab, wählt auf die Frage hin nicht ganz so derbe Rhetorik. Sie selber begann nach der Matura berufsbegleitend zu ihrem Job bei der ZKB eine Lehrerausbildung an der PHZH. «So realisierte ich damals, was administrativ und punkto Belastung der Lehrkräfte schieflief.» Später wechselte sie an die Wirtschaftsschule HWZ (Unternehmenskommunikation), war zudem im Gemeinderat mit dem Schulwesen betraut. Die Schulthemen werden sie fortan im Kantonsrat zwar weniger beschäftigen. «Aber ich sehe auch in Uster, wie das aktuelle Schulsystem immer teurer, die Schulbildung dadurch jedoch nicht besser wird.» Gerade beim integrativen Unterricht seien die «Grenzen des Ertragbaren» überschritten worden. Die grobe Linie folge der Entwicklung in der Politik in den letzten Jahren: «Je mehr die Politik die Bürger bevormundet und im Alltag oder im Berufsleben einschränkt, desto mehr verhindert man die Weiterentwicklung.» Eine gewisse Leistungsorientierung sei so gesehen sehr wichtig: Im Endeffekt müsse man Schülerinnen und Schüler auf den Arbeitsalltag vorbereiten.

Was sie weiter stört – in Schule wie Politik –, ist der grassierende Moralismus: «Sehr schnell wird in Gut oder Böse eingeteilt. Dadurch wird es immer schwieriger, Leute zu finden, die sich trauen, ihre Meinung zu äussern.»

Den ganz grossen Coup 2011 verpasst

Anita Borers politische Karriere hat gewisse Parallelen mit anderen weiblichen Shootingstars der SVP, allen voran Natalie Rickli. Lange sah es so aus, als werde Borers politischer Karriereweg steil und linear: Gemeinderätin, Kantonsrätin, Nationalrätin – alles, so schien es, im selben Jahr. Der ganz grosse Coup für die damals als «Senkrechtstarterin» betitelte Jungpolitikerin blieb dann doch aus: 2011 hob sie die SVP auf Platz 2 der Nationalratsliste hinter Christoph Blocher. Doch im Gegensatz zu Rickli stolperte Borer kurz nach ihrer Wahl ins Kantonsparlament. «Es kam alles auf einmal und wohl etwas zu früh – aber es war für mich eine spannende Erfahrung.» Auch im Jahr 2023 ist sie wieder auf der Nationalratsliste, allerdings nur auf Platz 17 – bei zehn SVP-Sitzen. So bleibt sie bescheiden: Dass sonst niemand aus Uster, der drittgrössten Stadt im Kanton, auf der Liste vertreten war, sei mit ein Grund für ihre Zusage.

Neu gibt es nun Anita Borer mit also Gewerbeerfahrung: Ihre Kommunikations- und Beratungsfirma «fürschi GmbH», die sie mit einem früheren Arbeitskollegen des ehemaligen Familienunternehmens FO-Fotorotar gegründet hat, suggeriert Bewegung, Mobilität, Agilität. «Der Name ist Programm», so Borer. «Wir machen mit unseren Kunden vorwärts.» Für angehende Manager von Arztpraxen erteilt sie beispielsweise Unterricht im Modul Kommunikation. Wie schafft sie es aber, ihre neuen Tätigkeiten als Gewerbepräsidentin und im Kantonsrat – wo sie inskünftig der Geschäftsleitung, keiner Sachkommission angehören wird – mit ihrer Geschäftstätigkeit zu verbinden? «Ich finde es zunächst sehr wichtig, dass man den Job gern macht. So ist dies auch bei der Politik und dem Gewerbeverbandspräsidium. Sonst ginge es nicht, so viele Abende unterwegs zu sein.» Zweitens müsse man sehr gut organisiert sein. Auch da kennt sie nur eine Richtung: «fürschi».

Flexibel und agil müsse man auch im politischen und Geschäftsalltag sein – heute mehr denn je. «Man darf nicht stehen bleiben, insbesondere im Bereich Marketing und Kommunikation verändert sich die Materie sehr schnell.»

Mark Gasser

Chefredaktor
Zürcher Wirtschaft

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