Nachhaltigkeit ist mehr als Klimaschutz

Nachhaltigkeit hat Hochkonjunktur und wird für praktisch alles verwendet. Höchste Zeit, den Begriff etwas zu schärfen, damit er nicht zum Unwort verkommt.

Bildquelle WaldSchweiz

Nachhaltigkeit stammt ursprünglich aus der Holzwirtschaft. Das Archivbild zeigt eine Fällaktion im Jahr 1933.

Bald wird der Begriff «Nachhaltigkeit» wohl zum Unwort des Jahres erklärt. Durch die inflationäre Verwendung verliert er immer mehr an Bedeutung, verflüchtigt sich und verhallt wirkungslos. Die kritischen Konsumenten und Konsumentinnen werden immer misstrauischer: Je mehr das Versprechen der Nachhaltigkeit betont wird, desto weniger sind sie überzeugt davon.

Der Kaffee ist nachhaltig, weil er die Kleinbauern in Nicaragua unterstützt. Nachhaltig handelt, wer das Geschirr in der Maschine im Eco-Schongang spült, dazu mit Stoffbeutel einkauft und auf Tragetaschen verzichtet – und natürlich konsequent auf Bio-Produkte setzt. Von den Unternehmen wird erwartet, dass sie einen Nachhaltigkeitsbericht verfassen und darin ihr nachhaltiges Wirtschaften belegen.

Wenn Nachhaltigkeit zum verkaufsfördernden Marketinginstrument wird, ist auch der Missbrauch nicht weit. Verleihen sich Unternehmen ein umweltfreundliches und verantwortungsbewusstes Image, das der Wirklichkeit nicht ganz entspricht, spricht man von Greenwashing. Hier sind die PR-Abteilungen gefordert, bei der Wahrheit zu bleiben und Versprechen einzuhalten.

Bis ins 18. Jahrhundert zurück

Der Begriff Nachhaltigkeit hat eine lange Geschichte, die bis ins 18. Jahrhundert zurückgeht. Damals forderte ein gewisser Oberberghauptmann Hans Carl von Carlowitz von der Holzwirtschaft, dass immer nur so viel Holz geschlagen werden dürfe, wie durch die Wiederaufforstung nachwachsen könne. Dadurch sei eine kontinuierliche, beständige und nachhaltige Nutzung möglich.

Bemerkenswert an Carlowitz und dessen Forderung ist, dass er einen volkswirtschaftlichen Ansatz verfolgte und bereits damals erkannte, dass der Wald nicht allein von der Forstwirtschaft gerettet werden kann, sondern nur von der Volkswirtschaft insgesamt. Damit der Wald nicht planlos abgeholzt wird, müssen auch die Interessen der Gesellschaft wahrgenommen werden, der wirtschaftliche Gesamtnutzen und die Verantwortung für die Bedeutung des Waldes für die kommenden Generationen.

Ökologie und Ökonomie

Das ist auch der Ansatzpunkt der Kampagne «Perspektive Schweiz» der grossen nationalen Wirtschaftsverbände Economiesuisse, Gewerbeverband, Arbeitgeberverband und Bauernverband. Diese basiert darauf, nicht nur isoliert den rein ökologischen Aspekt zu betrachten, sondern diesen mit den gesellschaftlichen Werten und der Wirtschaft zu verbinden. Das Thema Nachhaltigkeit ist im Gewerbe und den KMU längst angekommen und grösstenteils auch als Chance für den geschäftlichen Erfolg erkannt worden. Beispiele dafür sind die Umsetzung der Kreislaufwirtschaft oder die Gebäudebranche, in der mit Hochdruck an der Erfüllung der Umweltziele 2050 gearbeitet wird – und dafür sogar neue Berufe entstehen. Nur: Damit die Wirtschaft entsprechende Inno-vationen umsetzen und die unternehmerische Verantwortung wahrnehmen kann, ist sie auf verlässliche Rahmenbedingungen angewiesen. Wenn Unternehmen mit dieser Sicherheit in Innovationen und modernste Technologien investieren, hat das auch einen positiven Einfluss auf die Technologie. Ökologische und ökonomische Belange müssen also immer wieder neu gegeneinander abgewogen und in ein zielführendes Verhältnis gebracht werden.

«Wirtschaft schon lange grün»

Und wie nachhaltig sind unter diesem Gesichtspunkt das Gewerbe und die KMU in der Schweiz? «Die Zahlen der Energie-Agentur der Wirtschaft zeigen deutlich auf, dass diese schon lange grün sind», sagt Hans-Ulrich Bigler, Direktor des Schweizerischen Gewerbeverbandes. «Und zwar auf allen Ebenen – ökologisch, ökonomisch und im Einklang mit der Gesellschaft.» So hätten die in dieser Agentur organsierten Unternehmen 2021 mit den seit 2013 umgesetzten Massnahmen 721 870 Tonnen CO₂ reduziert und dabei insgesamt 730 Millionen Franken an Energiekosten eingespart. Und die Wirtschaft sorge dafür, dass die Arbeitsplätze und damit auch der Wohlstand in der Schweiz erhalten bleibt.

Bleibt noch die soziale Nachhaltigkeit: Während Ökologie und Ökonomie als Teil der Nachhaltigkeit und die Schnittstelle zur Gesellschaft mehr oder weniger einfach erklärt werden können, wird es mit dem sozialen Bereich schon etwas schwieriger. Was genau ist soziale Nachhaltigkeit? Der Begriff wird zwar oft verwendet – doch eine einheitliche Definition wie sie in den anderen Bereichen möglich ist, gibt es nicht. Themen wie Menschenrechte, Chancengleichheit, «People over Profit», Existenzsicherung aller Gesellschaftsmitglieder und Partizipation an gesellschaftlichen Entscheidungsprozessen sind im Rahmen der Nachhaltigkeit aus ökologischer und ökonomischer Sicht nicht ganz einfach einzuordnen – spielen aber eine wichtige Rolle.

Umsetzen müssen wir alle

Letztendlich aber stellt sich die Frage, in wessen Verantwortung es liegt, die Welt wieder in Ordnung zu bringen. Ludwig Hasler hat es in seiner Kolumne in der letzten Ausgabe dieser Zeitung unbequem treffend formuliert: «Bei all den klimastabilisierenden Massnahmen hängen wir selber dran, wir Endverbraucher, wir mit unserem täglichen Billigschnitzel, unserem Zweitauto, unserem Klamottenberg, unserem dauernden Streamen, unserer Teneriffasehnsucht.» Was immer wir unter Nachhaltigkeit verstehen, umsetzen müssen wir sie – wir alle. Das ist so selbstverständlich, dass es fast zu simpel ist für einen Neujahrsvorsatz.

Gerold Brütsch-Prévôt

Redaktioneller Mitarbeiter Zürcher Wirtschaft

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