Mindestlöhne in Zürich und Winterthur noch nicht vom Tisch
Obwohl die Gewerbeverbände und Handelskammer in Winterthur und Zürich vom Verwaltungsgericht recht erhalten haben mit ihren Beschwerden gegen die geplanten Mindestlöhne: Die beiden Städte ziehen das Urteil weiter. Wie das Bundesgericht urteilen wird, ist schwer vorauszusehen, wie Nicole Barandun, Präsidentin des stadtzürcher Gewerbeverband meint.
20. Februar 2025 Mark Gasser
In Winterthur und Zürich wurde der Entscheid des Verwaltungsgerichts gegen einen Mindestlohn weitergezogen.
Am 9. Februar 2025 gab es zweimal eine Abfuhr an der Urne beim Versuch linker Initiativen, in zwei Kantonen, Basel-Landschaft und Solothurn, Mindestlöhne einzuführen. Damit bleibt es bei fünf Kantonen, die einen Mindestlohn kennen: Genf, Jura, Tessin, Neuenburg und Basel-Stadt; dieser liegt zwischen 20 und gut 24 Franken pro Stunde.
Parlamente ziehen Urteil weiter
Unterdessen wollen sich die zwei grössten Zürcher Städte weiterhin nicht vom Plan abbringen lassen, einen kommunalen Mindestlohn einzuführen. Der Zürcher Gemeinderat hatte vor Weihnachten mit 69 gegen 50 Stimmen beschlossen, dass der Stadtrat das Urteil weiterziehen soll. Mitte Januar folgte dann auch das Winterthurer Stadtparlament.
Der Hintergrund: Im Juni 2023 hatten die Stimmberechtigten in den Städten Zürich und Winterthur der Einführung von kommunalen Mindestlöhnen zugestimmt. In Zürich hätte der Mindestlohn 23.90 Franken pro Stunde, in Winterthur 23 Franken betragen sollen. Auf die Beschwerde beim Bezirksrat hin urteilte dieser, der kommunale Mindestlohn sei eine auf Gemeindeebene zulässige sozialpolitische Massnahme.
Das Verwaltungsgericht hob dann aber Ende 2024 den Entscheid auf, indem es die neuerlichen Beschwerden der Gewerbeverbände und der Handelskammer und Arbeitgebervereinigung Winterthur (HAW) gegen die entsprechenden Verordnungen guthiess.
Urteilt das Gericht politisch?
Für Nicole Barandun, Nationalrätin (Die Mitte) und Präsidentin des Gewerbeverbands Stadt Zürich, ist der Entscheid des Bundesgerichts nicht abschätzbar. «Ich würde mich natürlich freuen, wenn das Bundesgericht den Entscheid des Verwaltungsgerichts bestätigen würde. Es gibt durchaus formalrechtliche Gründe, die erwarten lassen, dass die Aussichten nicht schlecht stehen für uns.»
Unter anderem argumentierten die Gegner eines kommunalen Mindestlohns in Winterthur und Zürich, dass weder die Verfassung des Kantons Zürich noch das kantonale Sozialhilfegesetz den Gemeinden Raum gäben, um zur Vermeidung von Armut in privatrechtliche Arbeitsverhältnisse einzugreifen. Somit verstosse die Einführung eines Mindestlohns gegen kantonales Recht.
Das Bundesgericht hat vermehrt die Tendenz gezeigt, politisch zu entscheiden, was ich bedaure.
Nicole Barandun, Präsidentin Gewerbeverband Stadt Zürich
Das müsse auch das Bundesgericht erwägen, meint Barandun. Und doch: «Meine Erfahrung zeigt, dass das Bundesgericht vermehrt die Tendenz gezeigt hat, politisch zu entscheiden, was ich bedaure. Daher ist es schwierig, eine Prognose zu wagen.»
«Immerhin», so stellt sie fest, «sind die Mindestlöhne nicht unumstritten, wie die Abstimmungen vom 9. Februar zeigten.» Und die Ankündung der Initianten, dass sie in weiteren Städten abstimmen lassen wollten, zeige, wie wegweisend der Entscheid des Bundesgerichts sein wird.
Kurz vor dem Verwaltungsgerichtsentscheid waren in Bern und Biel Initiativen für einen kommunalen Mindestlohn von knapp 23.80 Franken zustande gekommen. Doch gemäss «Bund» werde etwa in Biel die materielle Prüfung der Initiative «voraussichtlich» ruhen, bis das Bundesgericht über die Zulässigkeit der Mindestlöhne in Zürich und Winterthur entschieden habe. Mit anderen Worten: Eine allfällige Abstimmung über die Einführung einer Lohnuntergrenze ist bis auf weiteres vertagt. Auch die Stadt Bern will zuerst die Urteile zu den Mindestlöhnen in Zürich und Winterthur abwarten.
Rechtlich nicht durchsetzbar
Die Beschwerdeführer hatten geltend gemacht, dass die angefochtene Mindestlohnverordnung gleich in mehrfacher Hinsicht gegen übergeordnetes Recht verstosse: Mindestlöhne seien primär Aufgabe der Sozialpartner und kommunale Lösungen seien weder zulässig noch sinnvoll.
Zum einen stelle der Mindestlohn gemäss den Beschwerden einen unverhältnismässigen Eingriff in die Wirtschaftsfreiheit dar und verletze das Gebot der Gleichbehandlung direkter Konkurrenten bzw. das Rechtsgleichheitsgebot.
Zum anderen verstosse der Mindestlohn gegen Bundesrecht, da er keine sozialpolitische Massnahme im Sinn der höchstrichterlichen Rechtsprechung darstelle, sowie gegen kantonales Recht, da es sich dabei nicht um eine typisch lokale Angelegenheit handle. Weiter verstosse die Verordnung gegen das Binnenmarktgesetz und die Interkantonale Vereinbarung über das öffentliche Beschaffungswesen. Ferner erwiesen sich die Kontrollbefugnisse als unzulässig.
Das Verwaltungsgericht teilte diese Meinung: Regeln zum Mindestlohn seien nur auf kantonaler Ebene möglich. Eine kommunale Regelung würde zudem zu einem Flickwerk führen, welches nicht nur bezüglich Vorschriften, sondern auch insbesondere bei der Umsetzung zu komplizierten bürokratischen Hürden führen würde.
Mark Gasser
Chefredaktor
Zürcher Wirtschaft
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