Flughafen-CEO Brosi: «Menschen wollen wieder reisen»

Der neue CEO der Flughafen Zürich AG, Lukas Brosi, im Interview: zum Mut für grosse Würfe, zur Geschichte des Flughafens, seiner Rolle für die Wirtschaft und für KMU. Und zur ersten Anpassung am Pistensystem seit 50 Jahren.

Was beschäftigte Sie in Ihrem ersten Jahr als CEO am Flughafen Zürich mehr: Das Jubiläumsfest zum 75-jährigen Bestehen des Flughafens Anfang September oder die Pistenverlängerungen?

Lukas Brosi: Das Jubiläumsfest Anfang September war definitiv der Höhepunkt in unserem Jubiläumsjahr. Die Organisation des Fests mit rund 140 000 Besucherinnen und Besuchern war ein Kraftakt mit grossem Erfolg. Die Pistenverlängerungen waren ein Dauerthema auf politischer Ebene und in den Medien. Wir waren und sind stark damit beschäftigt, das Projekt sachlich zu erklären und seine Vorteile für die Bevölkerung und einen stabilen Flugbetrieb hervorzuheben.

Die erste Ausbauetappe des Flughafens dauerte vom Entscheid bis zur Vollendung gerade einmal drei Jahre. Die Pistenverlängerungen sind schon seit über 20 Jahren im Gespräch. Warum ist es so schwierig geworden, Anpassungen zu realisieren?

Brosi: Das stimmt, die Unterschiede im Zeithorizont von Flughafenbau und von heutigen Infrastrukturprojekten wie den Pistenverlängerungen sind enorm. Vor allem auch, wenn man bedenkt, dass zu Beginn ein grosses Sumpfgebiet trockengelegt und die aviatische Grundinfrastruktur gebaut werden mussten. Heute reden wir lediglich von insgesamt 680 Metern Verlängerung zweier Pisten. Die Verfahren dauern heute deshalb so lange, weil viele Interessensabwägungen gemacht werden müssen und bereits die Zwischenentscheide vor Gericht angefochten werden können. Das gehört zu einem Rechtsstaat. Es stimmt aber auch nachdenklich, wenn für Sicherheitsmassnahmen wie die Pistenverlängerungen so viel Zeit verstreicht, bis es zu einer Realisierung kommen kann. Dies ist übrigens auch bei anderen Infrastrukturen von Verkehr und Energieproduktion zu beobachten.

Sie sprachen an einer KGV-Präsidentenkonferenz im Oktober von der Weitsicht und dem Mut für grosse Würfe bei den baulichen Erweiterungsschritten um den Flughafen in der Vergangenheit. Fehlt heute dieser Mut?

Brosi: Die heutige Infrastruktur des Flughafens ist auf mehrere grosse Ausbauetappen in der Vergangenheit zurückzuführen. Bei Infrastruktur wird für Dekaden gebaut und zum Zeitpunkt der Inbetriebnahme wirken die Bauten oft überdimensioniert, in der Regel sind aber die Kapazitäten nach wenigen Jahren schon gut ausgelastet. Investitionsentscheide für mehrere Jahrzehnte brauchen deshalb Mut und unternehmerische Weitsicht. Heute wird dies stärker durch die langwierigen Verfahren verhindert. Das Resultat ist ein Reformstau.

Der Anflug auf den Flughafen ist sehr kompliziert, unter anderem wegen einer in den 1970ern geschaffenen zusätzlichen «V-Piste» statt einer Parallelpiste. Das heisst, die Anflug- und die Durchstartkorridore, für den Notfall vorgesehen, kreuzen sich in der Verlängerung der Pisten. Und dass der süddeutsche Raum vom Fluglärm stärker betroffen sein würde (was 2003 in einer Luftraumsperre abends und morgens mündete), kümmerte damals niemanden. Denken Sie manchmal nicht: Die haben uns damals eine schöne Erbsünde hinterlassen?

Brosi: Die unmittelbare Folge der Luftraumsperrung durch Deutschland sind die Südanflüge am Morgen und die Ostanflüge am Abend. Das politische Ziel war es, den Fluglärm möglichst auf die verschiedenen Himmelsrichtungen zu verteilen. Die wahrscheinlich ewig streitbare Frage ist, ob es eine gerechte Verteilung gibt. Bei parallelen Pisten wären die An- und Abflugrichtungen klarer vorgegeben, aber weniger auf die Regionen verteilt. Aus aviatischer Sicht wäre es sinnvoll. Aber ich bin mir nicht sicher, ob wir heute so weniger Diskussionen über Fluglärm hätten.

«Aus aviatischer Sicht wären parallele Pisten sinnvoll. Aber ich bin mir nicht sicher, ob wir heute so weniger Diskussionen über Fluglärm hätten»

Lukas Brosi, CEO Flughafen Zürich AG

Die Idee einer Parallelpiste wurde 2007 definitiv raumplanerisch beerdigt. Wurde damit auch die Möglichkeit einer Kapazitätssteigerung verbaut?

Brosi: Ja, mit dem Ende der Diskussion um den Bau einer Parallelpiste war auch klar, dass die Kapazitäten für Flugbewegungen am Flughafen Zürich nicht mehr gross erhöht werden könnten. Kleinere Effizienzsteigerungen sind möglich. Diese erreicht man aber nicht mit verlängerten Pisten.

Werden 320 000 Flugbewegungen erreicht, müssen gemäss Flughafengesetz Regierung, Parlament und via Referendum das Volk darüber entscheiden, ob der Staat auf eine Bewegungsbeschränkung hinwirken soll. Wann wird diese Grenze je erreicht sein?

Brosi: Wir können es heute nicht sagen, wann und ob diese Marke erreicht wird. Die Kurve liegt, um genau zu sein, seit über 20 Jahren mehr oder weniger flach. Die steigenden Passagierzahlen wurden durch grössere Flugzeuge und eine deutlich bessere Sitzplatzauslastung aufgefangen. Ich möchte aber nicht illusorisch sein: Wenn die Nachfrage nach Luftverkehr zusammen mit dem Bevölkerungs- und Wirtschaftswachstum weiter ansteigt, wird es mittel- bis langfristig wohl auch einige zusätzliche Flugbewegungen geben. Die Kapazität dazu haben wir schon heute.

Wie sehen Sie die Entwicklung bezüglich Flugbewegungen, Passagierzahlen, Fracht und Umsatz am Flughafen Zürich für die nächsten 10 Jahre?

Brosi: Wir haben keine punktgenauen Prognosen, rechnen aber mit einer Entwicklung entlang von Bevölkerungs- und Wirtschaftswachstum. Der Umsatz der Flughafen Zürich AG hängt nicht alleine vom Flugverkehrsvolumen ab. Mitentscheidend sind auch die Mieterträge am Flughafen oder unsere Flughafen-Beteiligungen im Ausland.

Gerade während der Coronakrise hatte die Luftfahrt eine sehr hohe Bedeutung für die Versorgung, sagten Sie an der KGV-Präsidentenkonferenz. Können Sie dazu Zahlen nennen?

Brosi: Viele lebensnotwendige Güter erreichen unser Land per Luftfracht. Die Zahlen zeigen auch, dass das Luftfrachtvolumen während der Pandemie deutlich weniger stark eingebrochen ist als die Passagierzahlen. Dies, obwohl viel weniger Flüge durchgeführt wurden, die Fracht mitnehmen konnten. So gingen im Hauptkrisenjahr 2020 die Passagierzahlen um über 73% zurück, bei der Luftfracht waren es nur knapp 36%.

Haben KMU für den Flughafen eine hohe Bedeutung – und umgekehrt?

Brosi: Die Bedeutung ist sehr gross. Von den rund 300 Unternehmen, die unmittelbar am Flughafen tätig sind, sind ein Grossteil KMU. Hinzu kommen viele Zulieferer und Dienstleistende. Der Flughafen kann nicht ohne die KMU in der Region. Umgekehrt profitieren viele kleine und mittlere Unternehmen vom Wirtschaftsmotor Flughafen.

Der Flughafen investiert sehr viel Geld in die Infrastruktur – und in die Region. Wie profitieren KMU von diesen Investitionen?

Brosi: Wir investieren im Durchschnitt pro Arbeitstag eine Million Franken in unsere Infrastruktur am Flughafen Zürich. Davon profitieren viele Auftragsnehmende in der Region, vor allem KMU. Es ist unsere lokale Verantwortung, einen Beitrag zur Wertschöpfung und zur wirtschaftlichen Entwicklung in der Region zu leisten. Dies haben wir als eines von fünf wesentlichen Nachhaltigkeitsthemen so festgehalten.

Rund 3000 von über 30 000 Stellen im Ökosystem Flughafen gingen während Corona verloren. Gab es da eine Kehrtwende?

Brosi: Ja, wir schreiben seit dem Geschäftsjahr 2022 wieder Gewinne. Der Arbeitsmarkt hat nur temporär gelitten. Wir haben heute das gegenteilige Problem: Es mangelt teilweise an genügend Arbeitskräften, um die offenen Stellen am Flughafen besetzen zu können.

Zürich wurde immer wieder als Super-Hub – also ein neuralgischer Dreh- und Angelpunkt für Logistik, aber auch Privatverkehr – angepriesen. Aktuell wird die neue Gepäcksortieranlage für 400 Millionen Franken in Betrieb genommen – nach sechs Jahren Bauzeit. Ist sie Zeugnis dieses Strebens, der grösste Hub in Europa zu werden?

Brosi: Definitiv nein. Das wird falsch verstanden: Die Gepäcksortieranlage löst die bisherige ab, die das Ende ihres Lebenszyklus erreicht hat. Vor allem die Technik war veraltet und Ersatzteile immer schwieriger verfügbar. Wir haben überhaupt kein Streben und auch kein Ziel, zum europäischen Mega-Hub zu werden. Es geht viel eher darum, ein qualitativer Flughafen mit möglichst guten Direktverbindungen und mit attraktiven Umsteigezeiten zu bleiben. Vergleicht man unser Verkehrsvolumen mit anderen Drehkreuzen in Europa, haben wir über die vergangenen Jahre gegenüber anderen eingebüsst. Wir waren mal unter den Top 10 in Europa, sind es heute aber nicht mehr und werden es auch kaum mehr sein.

Die Flughafen Zürich AG nahm während Corona 900 Millionen Franken zusätzliche Schulden am privaten Kapitalmarkt auf. Im vergangenen Jahr waren aber wieder 500 Mio. Franken an Investitionen geplant, davon waren 300 Mio. fürs internationale Geschäft, allen voran der sich im Bau befindende internationale Flughafen Noida bei Delhi (Indien), vorgesehen.

Brosi: Die Erholung war wichtig, damit wir die Verschuldung wieder abbauen und die nötigen Investitionen tätigen können. Die Investition in Noida ist derzeit entsprechend hoch, weil wir dort einen komplett neuen Flughafen bauen.

Stellen Sie seit Corona Veränderungen im Reiseverhalten fest?

Brosi: Es gibt einige Veränderungen im Reiseverhalten. Abgenommen haben beispielsweise die Kurztrips innerhalb von Europa zu Geschäftszwecken. Aber auf der Langstrecke ist die Nachfrage nach Geschäftsreisen nach wie vor hoch. Menschen wollen wieder reisen, ob geschäftlich oder privat. Die Leute wollen sich sehen und austauschen, gerade über weitere Distanzen, Zeitzonen und Kulturkreise hinweg. Dies gilt für Geschäfts- wie auch für Privatreisen. Und gerade in diesem Jahr war der Freizeitverkehr ausserordentlich stark und hat den Rückgang der Geschäftsreisen wettgemacht. Die Einbussen bei den Geschäftsreisen werden durch andere Passagiersegmente kompensiert.

Die Flughafen Zürich AG will ihre Treibhausgas-Emissionen bis 2040 auf netto Null senken. Wie erreicht sie das?

Brosi: Für uns ist Netto Null bis 2040 nicht einfach eine Ambition, sondern eine Mission, für die wir einen konkreten Absenkpfad verbunden mit hohen Investitionsausgaben erarbeitet haben. Es braucht viele Massnahmen. Den grössten Hebel haben wir bei unseren Gebäuden. Diese müssen einerseits möglichst energieeffizient sein und andererseits ohne fossile Energien funktionieren können. Wir setzen hier auf Geothermie, Photovoltaik und letztlich auch auf erneuerbare Brennstoffe.

Mark Gasser

Chefredaktor
Zürcher Wirtschaft

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