Mensch, Maschine und Arbeit

Der technologische Fortschritt in der Arbeitswelt scheinen beängstigend Fahrt aufzunehmen. Doch haben wir nicht schon oft die «Robokalypse» vorausgesagt? Zwei Referenten vertieften das Thema am Plenaranlass der Gewerbevertreter im Kantonsrat. Die Wahlen 2023 haben diesen mehr Stosskraft verliehen.

Bild: MG

Der fünfköpfige Vorstand der GGKR: Marc Bourgeois, Christian Müller, Jürg Suler, Yvonne Bürgin und Paul Mayer.

Die Gewerbegruppe im Kantonsrat ist die Speerspitze der Gewerbepolitik auf Kantonsebene. Die Bilanz ist aus Sicht des Gewerbes nach den Kantonsratswahlen vom 12. Februar positiv: Die Zahl gewerbefreundlicher Kantonsräte ist um 7 Mitglieder auf 62 angewachsen. Sie sind vereint in der Gewerbegruppe im Kantonsrat (GGKR). Zunächst begrüsste SVP-Kantonsrat Jürg Sulser, KGV-Ausschussmitglied und Präsident der GGKR, viele der 62 Gewerbevertreter sowie einige KGV-Vorstandsmitglieder. Sulser will nicht ausschliessen, dass «nach gründlicher Beobachtung» auch einzelne GLP-Mitglieder dazustossen könnten. Er erinnerte ans 6-Punkte-Programm des KGV als Krite-rium fürs Label «gewerbefreundlich». Sulser selber sowie der fünfköpfige Vorstand – der aus je zwei FDP- und SVP-Mitgliedern sowie einer Vertreterin aus der Mitte besteht – wurden für die nächste Legislaturperiode wiedergewählt.

«Bringt doch die KMU-Anliegen in der Kommissionsarbeit»

Thomas Hess, Geschäftsführer des KMU- und Gewerbeverbands und damit Gastgeber des Plenaranlasses, betonte die Wichtigkeit der Gewerbegruppe für die Anliegen der über 100 000 KMU im Kanton. Er zeigte Verständnis dafür, dass für die Kantonsratsmitglieder jeweils Fraktionsdisziplin bei Abstimmungen höchste Priorität habe. «Uns ist es einfach wichtig: Bringt doch die KMU-Anliegen in der Kommissionsarbeit ein.» Dasselbe gelte für Geschäfte mit KMU-Aspekten innerhalb der Fraktionen. Er nannte vordringlich das Standortförderungs- und Unternehmensentlastungsgesetz, das nach der Vernehmlassung bald in die zuständige Kommission kommt und «etwas griffiger» werden sollte aus KMU-Sicht.
Unter dem Motto «Veränderungen der Arbeitswelt – Chancen und Risiken für KMU» stellte Marc Bourgeois (FDP) die beiden Referenten vor. Seit Corona, als alle von Digitalisierung sprachen, dominiert ein neues Thema die öffentliche Diskussion rund ums Gewerbe: Der Fachkräftemangel. Viele KMU beschäftigt erschwerend auch die Arbeitszeit- und Teilzeitdiskussion, die noch nicht geschaffene Individualbesteuerung oder der – in Zürich und Winterthur drohende – Mindestlohn.

Attraktivität erhöhen


Dr. Alexander Fust, Dozent und Mitglied der Geschäftsleitung KMU HSG, stellte eine Reihe von bewährten, zeitgemässen «Massnahmen zur Erhöhung der Arbeitgeberattraktivität in KMU» vor. Avenir-Suisse-Referent Marco Salvi fragte dann unter dem Titel «Robokalypse» provokativ, ob wir in Zukunft überhaupt Leistungen erbringen werden, wenn wir alles an die Maschine delegieren.
Die Kurve des Fachkräftemangel-Index für den Grossraum Zürich zeigt 2022 nach einer Baisse während und kurz nach Corona steil nach oben. «Früher hat man sehr viel investiert, um Kunden zu gewinnen. Heute investiert man sehr viel, um neue Mitarbeiter zu finden», eröffnete HSG-Dozent Fust. Gleichwohl: Fust beurteilt die Möglichkeiten, Mitarbeiter dank neuer Kanäle rekrutieren zu können, als positiv. Mit dem geeigneten Employer Branding – das auch dank geschickter interner Kommunikation die Fluktuation reduzieren kann – können sich Arbeitgeber erfolgreich als Marke positionieren und die Qualität der Bewerbungen steigern.

Verschiedene Generationen integrieren


Fust zeigte in der Folge den Mix zur Umsetzung und Überprüfung erfolgreicher Massnahmen zur Mitarbeiterrekrutierung und -bindung auf. Ganz nach dem Motto «Mitarbeitende zu halten ist günstiger, als neue zu rekrutieren», betonte er auch die Wichtigkeit, verschiedene Generationen zu integrieren, ihnen Verantwortung zu übergeben und Wertschätzung zu zeigen. Durch ihre familiäre Kleinheit sei das bei KMU auch oft gewährleistet. Die KMU HSG bietet da auch Weiterbildungen an für KMU-Führungspersonen. Die Mediennutzung der jungen Generationen (vor allem Instagram, Netflix, Tiktok und Spotify) sei auch bei der Kommunikation nach aussen einzubeziehen. Gleichsam müsse der Kanal mit den eigenen Werten vereinbar sein. Er riet, als Versuchsballon junge, digitalaffine Angestellte mit einem kleinen Budget «machen zu lassen». Auf der «Candidate Journey», so Fust sinngemäss, müsse man «die Stellenanzeige anders denken». Da könne man sich etwa durch Testimonials bestehender Mitarbeiter in Videos, durch E-Recruiting oder sprachliche Finesse von der Konkurrenz abheben.

Stichwort Berufsbildung


Auf die Frage eines Gewerbevertreters, wo er denn fern der gängigen Jobportale am besten nach einem Vorarbeiter, Polier oder Kundenmaurer suchen solle, nannte Fust das Netzwerk der Mitarbeiter oder das eigene Netzwerk. Jede Branche sei letztlich selber verantwortlich für den Berufsnachwuchs, meinte abschliessend Marc Bourgeois – Stichwort Berufsbildung. «Und es wird nicht einfacher, wenn der Mindestlohn kommt oder mit Blick auf den Homeofficetrend.» Und was er in seinem Unternehmen beobachte: Wenn in Dienstleistungsberufen vermehrt zu Hause gearbeitet werde, könnten keine Lehrlinge mehr ausgebildet werden. Der zweite Referent, Dr. Marco Salvi, Forschungsleiter «Chancen-Gesellschaft» bei Avenir Suisse, beschäftigte sich mit zwei widersprüchlichen Narrativen: einerseits mit dem Fachkräftemangel, andererseits mit dem Argument, «dass uns die Arbeit ausgehen wird». Geht es nach diesen Skeptikern, werde bald ein Grundeinkommen durch die maschinengemachte «Robokalypse» unumgänglich sein. Von Ersterem sei bereits in den 1980er-Jahren gesprochen worden, von Letzterem schon Jahrzehnte davor. «Die Schweizer Wirtschaft arbeitet zu gut. Sie hat zu viele Aufträge und braucht zu viel Personal. Das ist eigentlich eher ein Qualitätsausweis als ein Problem», relativierte Salvi. Die Vakanzdauer – die Frist, während der Stellen ausgeschrieben sind – ist im Baugewerbe mit 60 Tagen am längsten, in der Verwaltung mit nur knapp 30 Tagen am kürzesten. Sein Kommentar: «Die Verwaltung hat keine Probleme, Leute zu finden», wurde mit einem Raunen quittiert.
Während die arbeitende Bevölkerung im Schnitt älter wurde, erhöhte sich der Anteil der erwerbstätigen Frauen. Auch wenn es noch Potenzial gebe: Die Frauen der Generation Z seien über eine längere Zeitdauer zu einem höheren Grad berufstätig als die anderer Generationen.

Droht die «Robokalypse»


Bereits 1978 titelte der «Spiegel»: «Fortschritt macht arbeitslos». Diese «Robokalypse» ist auch gegenwärtig als von Ängsten geprägte Diskussion wahrzunehmen: Verlieren wir angesichts des technologischen Fortschritts unsere Jobs, müssen wir die Sozialwerke, das Wirtschaftssystem umkrempeln? Aber Salvi relativierte das Bild der Maschine, welche die Weltherrschaft übernimmt: Die Angst um Arbeitsplätze durch technologischen Fortschritt sei nicht neu – und unbegründet. Weltweit gebe es auch keinen Zusammenhang zwischen Innovationsgrad und Arbeitslosigkeit – im Gegenteil. Weitere Gründe für Salvis technologischen Optimismus: «Der Wandel hat uns nicht ärmer gemacht, sondern im Gegenteil reicher.» Weiter sieht er die künstliche Intelligenz als Ergänzung, nicht Ersatz, um Bedürfnisse des Menschen zu befriedigen, die heute nicht gedeckt werden können – etwa im Gesundheitswesen oder in der Bildung als unermüdliche, geduldige, sachkundige Tutoren. Wichtig sei Fortschritt, nicht Arbeit an sich: «Wenn wir keine Arbeit hätten und nur Zeit für Politik, Kultur und Sport – wäre das wirklich eine viel schlechtere Welt? Ich bin mir nicht so sicher.»

Mark Gasser

Chefredaktor
Zürcher Wirtschaft

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