Küche 4.0 – Zukunft oder Spielerei?

Der Kühlschrank bestellt die Zutaten direkt beim Händler, kommuniziert mit dem Kochtopf und zaubert ein fixfertiges Gericht, das anschliessend von einem Roboter dem Gast serviert wird. Willkommen in der Gastronomie der Zukunft – oder etwa doch nicht?

AdobeStock LIGHTFIELD STUDIOS

Küche 4.0 – wie weit wird die Digitalisierung in Zukunft gehen?

In Zeiten von Fachkräftemangel – 4,3 Prozent aller Stellen in der Gastronomie sind unbesetzt – könnte es die Küche 4.0 richten: weniger Köche und Fachpersonal dank vorprogrammierten Abläufen, eine automatische Protokollierung der Hygienedaten, Küchengeräte die miteinander kommunizieren, Energie, die eingespart werden kann. Serviert wird von einem Roboter, der nicht nur ein bis zwei Servicekräfte zu kompensieren vermag, sondern auch kein Trinkgeld fordert und nie krank ist. Klingt praktisch und nach einem Konzept der Zukunft. Das dachte sich auch Reto Keller, Absolvent des MAS in Business Administration an der OST – Ostschweizer Fachhochschule. In seiner Masterarbeit hat er deshalb das Digitalisierungspotenzial für die professionelle Küche unter die Lupe genommen. «Die Küche 4.0 ist eine Adaption der ‹Industrie 4.0›: darunter versteht man Maschinen, aber auch Maschinen und Menschen, die über das ‹Internet of Things (IoT)› miteinander verbunden sind und kommunizieren», erklärt Keller. So könne das wahre Potenzial der Digitalisierung erst dann voll ausgeschöpft werden, wenn sich möglichst viele Geräte miteinander vernetzen und in ein Küchenleitsystem einbinden lassen. Dazu nochmals Reto Keller: «Mit einem solchen System könnte man die Küche mit all ihren Objekten virtuell abbilden – zum Beispiel über eine App auf dem Handy – und sämtliche Funktionen überwachen und steuern.» Die Vorteile lägen auf der Hand: man könnte individueller, flexibler sowie effizienter produzieren, die Einsatzfähigkeit der Mitarbeitenden steigern und Geschäftsmodelle erweitern. Genau das, was die Gastronomie braucht – eigentlich. 

Gastronomen wenig begeistert

Keller hat in der Folge eine Umfrage unter Schweizer Gastronominnen und Gastronomen gestartet und festgestellt: «Kleine Restaurants sehen das Potenzial nicht, grössere Betriebe sind skeptisch, weil sie einen Mehraufwand durch die Technologisierung fürchten.» Daneben spielt auch der Kostenfaktor eine Rolle: In der Gastronomie sind preiswerte Küchengeräte mit langer Lebensdauer gefragt. Für ein Gerät, das zusätzlich über eine Schnittstelle zum Auslesen der Daten verfügt, bezahlt man hingegen schnell das Doppelte. «Für viele stehen die Mehrkosten in keinem guten Verhältnis zum zusätzlichen Nutzen», ergänzt Reto Keller. Und nicht zuletzt hätten auch die Köchinnen und Köche wenig Interesse daran, dass die Digitalisierung in ihr Handwerk «pfusche». Kellers Fazit: Die Digitalisierung ist zwar auch in der Gastronomie ein grosses Thema, über das digitale Kassensystem geht sie derzeit aber kaum hinaus.

Nachhaltigkeit auf dem Teller

Anders sieht es in der Grossküche der Universität Zürich aus. Die Teams der Genossenschaft ZFV-Unternehmungen (ZFV) bereiten täglich bis zu 12 000 Essen zu. Zwar ist auch bei ihnen eine vollvernetzte Küche derzeit kein Thema, in der Digitalisierung sehen sie aber riesiges Potenzial. «Die Digitalisierung ist für uns ein unverzichtbarer Bestandteil unserer Arbeit, etwa bei der Menüplanung mittels einer Warenbewirtschaftungssoftware», sagt ZFV-Segmentsleiter Swen Sponagel. Darin werden die Zutaten für die Rezepturen digital erfasst, was wiederum ermöglicht, dass zahlreiche Informationen wie Allergene und Nährwerte der Menüs automatisiert an die Gäste weitergegeben werden. Auf Grundlage der Rezeptureingabe könne zudem der Menü-Nachhaltigkeits-Index (MNI) berechnet werden, der automatisch jedes Menü auf seine Auswirkung bezüglich Umweltbelastung und Ausgewogenheit beurteilt. 

Noch einen Schritt weiter geht man auf dem Campus Irchel der Universität Zürich. Dort wird die Auswirkung jedes Menüs auf die globale Erwärmung errechnet. Auf einem Live-Ticker können die Gäste den Wert direkt mitverfolgen. Angestrebt wird, gemeinsam das globale Ziel von maximal 1,5 °C zu erreichen (Pariser Abkommen). Auch am Universitätsspital Zürich (USZ) werden bereits heute die Foodwastemengen digital gemessen. Und nicht nur das. Dazu Barbara Beccaro vom USZ: «Die Digitalisierung des ganzen Verpflegungsprozesses, inklusive Abläufe in der Küche, ist bei uns ein grosses Thema und wird stetig ausgebaut.» Bereits heute erfolgen etwa die Bestellprozesse von Lebensmitteln, die Menüwahl oder die Überwachung der Kühl- und Tiefkühltemperaturen digital.

Digitale Küchenkonzepte

Ein weiterer Aspekt digitaler Küchen ist das Potenzial zur Energieeinsparung. Durch die Vernetzung von Küchengeräten können etwa Energiedaten und die individuelle Nutzung dokumentiert und analysiert werden. Daraus lassen sich dann Optimierungspotenziale sowie «Leerlaufphasen» identifizieren und es kann eine energieeffiziente Nutzung errechnet
werden. Thomas Zentsch, Bauplaner aus Gebertingen (SG), stellt denn auch bei Privathaushalten eine zunehmende Bereitschaft fest, in digitale Küchenkonzepte zu investieren. «Man macht sich heute sehr viel mehr Gedanken über die Energieeffizienz und strebt eine autarke Energiegewinnung an», sagt Zentsch. 

Für ihn ist eine digitalisierte Küche erst dann ganzheitlich geplant, wenn sie in ein Gesamtkonzept mit eigenständiger Energiegewinnung und Speicherung integriert ist. Nach diesem Massstab plant er derzeit auch seine eigene Küche. «Ziel ist es, möglichst unabhängig vom Strommarkt zu funktionieren.» So sollen Zentschs Küchengeräte in Zukunft erst dann automatisch gestartet werden, wenn über die Fotovoltaikanlage Strom produziert wird. 

Anna Birkenmeier

Redaktion Zürcher Wirtschaft

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