KI im Gewerbe: Chancen und Herausforderungen

Versklavt die Künstliche Intelligenz die Menschen? Oder eröffnet sie neue Perspektiven für Unternehmen und Arbeitende? Eine Bestandesaufnahme.

PD

KI-Experte und Neurowissenschafter Pascal Kaufmann.

Die Künstliche Intelligenz wird die Menschen versklaven oder vernichten – so drastisch sieht es Elon Musk, der so reich ist wie egozentrisch. Die Antwort darauf ist wohl: Warum sollte die so superintelligente KI das Ziel haben, die Menschen auszurotten? In sich und alleingestellt wäre sie ja sinn- und nutzlos, ein mit unendlich vielen Daten gefüttertes kaltes Ungetüm, das sich selbst zerfrisst und irgendwann auflöst.

So sieht es auch Pascal Kaufmann, der als Neurowissenschaftler an zahlreichen Projekten zur Erforschung der Schnittstelle zwischen Gehirn und Maschinen mitgearbeitet hat. Für ihn sind solche Aussagen nichts weiter als marketinggetriebene Effekthascherei vor allem aus den USA. «Die kalten Monster werden die Welt nicht übernehmen», ist er sicher. Er vergleiche es immer mit einem Bagger – auch der sei gross und stärker als ein Mensch, aber die Arbeiter auf der Baustelle sagen ihm, wo er das Loch graben soll. Gefährlich wäre es erst, wenn er einen unkontrollierbaren Eigenantrieb entwickeln würde – aber das sei nicht möglich. So verhalte es sich auch mit der KI, weil sie eben da ein Loch gräbt, wo wir es bestimmen.

Berufswelt durchgeschüttelt

Sehen wir es also optimistisch: Die KI ist dazu da, die Menschen zu befähigen. Aber das wird sicher nicht möglich sein, ohne die Welt auf den Kopf zu stellen und durchzuschütteln. So werden Berufe auf- oder abgewertet, aufgelöst oder neu erfunden. Die rasante Entwicklung von KI erfordert auch eine kontinuierliche Anpassung der Fähigkeiten der Arbeitskräfte, um mit verändernden Anforderungen Schritt zu halten. Wer stehenbleibt ist im künftigen Arbeitsmarkt chancenlos. Andererseits können Unternehmen, die sich auf die Entwicklung und Implementierung von KI-Lösungen spezialisieren, neue Märkte entwickeln und florieren. Gleichzeitig werden aber traditionelle Firmen ihre Geschäftsmodelle anpassen müssen, um wettbewerbsfähig zu bleiben und den Anschluss nicht zu verpassen.

Bild Shutterstock

Künstliche Intelligenz revolutioniert vor allem Büroarbeiten und akademische Tätigkeiten.

Auch Pascal Kaufmann sieht in dieser KI-Revolution Chancen und Bedrohungen für Unternehmen und auch Mitarbeitende. «Der Prozess ist aber immer der gleiche – wer früher in Pferde und Kutschen investiert und das Automobilzeitalter falsch eingeschätzt und verpasst hat, war weg vom Fenster.» Nur passiere dieser Umbruch heute, vorangetrieben durch KI, halt in ein paar Monaten und nicht mehr in zehn oder zwanzig Jahren.

Ärzte verdienen weniger

Vielen Menschen sind wohl die medizinischen Anwendungen am wichtigsten – wie übrigens den kostengeplagten Krankenkassen auch. Neuartige Algorithmen können über Hustengeräusche Lungenerkrankungen erkennen oder Röntgenbilder auswerten. Sie erkennen Krebserkrankungen, Diabetes oder Arterienverkalkung. Eine Ärztin oder ein Arzt ist für diese Diagnosen nicht mehr nötig. In dieser Roboterwelt in den Operationssälen gewinnt der Faktor Mensch immer mehr an Bedeutung. Vom Pflegepersonal ist deshalb wieder vermehrt soziale Kompetenz und Einfühlungsvermögen gefragt. Das heisst: Die Ärzte rutschen in der Lohnskala nach unten, das Pflegepersonal nach oben.

Auch für das Handwerk und das Gewerbe ermöglicht die KI, repetitive Arbeiten zu delegieren und sich mehr um soziale Kontakte zu kümmern – beispielsweise um die Kundenbetreuung, den Verkauf oder um das Marketing generell. In der Holzbranche werden Projekte vorangetrieben, bei denen KI durch einfache Mausklicks die Planungsarbeiten übernimmt, die Variantenvielfalt erhöht und dadurch das Kundenerlebnis optimiert. In einem anderen Bereich wird die digitalisierte Vermessung durch KI unterstützt, wobei automatisierte Lösungsvorschläge integriert werden.

Es trifft die Akademiker

Im Handwerksbereich bewirkt die fortschreitende künstliche Intelligenz weitere tiefgreifende Veränderungen. Etwa auf der Baustelle, wo traditionelle handwerkliche Fähigkeiten bisher eine zentrale Rolle spielten. Roboter sind heute in der Lage, mit ihrer Sensorik und präzisen Algorithmen Mauerwerk, Fliesenarbeiten oder sogar Schreinerarbeiten auszuführen.

Die kalten Monster werden die Welt nicht übernehmen

Pascal Kaufmann, Neurowissenschafter

Allerdings müssen sich die Fachleute auf dem Bau und auch gut ausgebildete Handwerker noch keine Sorgen darüber machen, dass sie demnächst gegen Roboter ausgetauscht werden. Noch vor kurzem sind die Fachleute davon ausgegangen, dass es vor allem die Blue Collars als erstes treffen werde, die durch die fortschreitende Digitalisierung überflüssig werden würden. Heute ist aber klar, dass es tragischerweise gerade die gut ausgebildeten Personen im Dienstleistungsbereich und die Akademiker treffen wird, die viel in ihre Ausbildung in ihr Studium investiert haben. Der Gärtner, der fachgerecht einen Baum zurückschneidet, oder die Coiffeuse, die individuell Frisuren kreiert, wird kaum ersetzt werden können. Das Wissen aber, dass an den Hochschulen und anderen Ausbildungsstätten vermittelt wird, ist der KI längst unterlegen und wird in dieser lehrbuchmässigen Art und Weise bald nicht mehr gefragt sein. Treffen wird es auch kreative Berufe.

Die Zukunft ist bereits da

KI-basierte automatisierte Dialogsysteme auf Websites können bereits selbständig Fragen beantworten. Immer mehr sind sie auch in der Lage, geschriebene und gesprochene Sprache zu verstehen und darauf zu reagieren. Eine KI-basierte Analyse überwacht in Versicherungsunternehmen Schadensmeldungen, ob sie korrekt sind oder ein Betrug vorliegt. Der Analysealgorithmus erkennt die Muster, die auf Betrugsversuche hinweisen. Und Personalvermittler automatisieren die Auswahl von Kandidatinnen und Kandidaten mit KI-gesteuerten Matchingprozessen. Dafür kann aus Texten und Stimmaufnahmen sogar ein Persönlichkeitsprofil erstellt werden, das die Fähigkeiten und psychische Konstitution der Bewerber und Bewerberinnen mit Hilfe von Mustererkennungen einschätzt.

Revolution in Transportbranche

Autonome Fahrzeuge werden schrittweise nicht nur die Taxifahrer, sondern auch die Lastwagenfahrer überflüssig machen und das Transportgewerbe umkrempeln. Gleichzeitig wächst der Druck auf die Arbeitskräfte, sich den neuen technologischen Anforderungen anzupassen. Die Mitarbeitende müssen sich mit den komplexen Algorithmen und dem reibungslosen Funktionieren autonomer Fahrzeuge vertraut machen. Bei diesem gewaltigen Umbruch könnten viele Arbeitnehmende mit einer ungenügenden Ausbildung den Anschluss verlieren.

Spielt uns KI an die Wand?

Bleibt zum Schluss die Frage an den Fachmann, die uns umtreibt und bange in die Zukunft blicken lässt. Wird der Moment der sogenannten Singularity irgendwann eintreten, dass sich lernfähige Maschinen so schnell selbst verbessern, dass die Menschen die Entwicklung nicht mehr nachvollziehen können? Im Schach haben ja die Computer, die in der Sekunde hundert Millionen Züge berechnen können, die menschlichen Weltmeister schon lange deklassiert. Müssen wir mit diesem Gap auch in unserem Berufsleben rechnen? Pascal Kaufmann winkt ab: «Diese Situation haben wir ja auch heute bereits. Wer versteht wirklich, wie ein Flugzeug funktioniert oder ein Kernkraftwerk?» Diese Singularity sei überhaupt kein Thema und die Folge einer Überhöhung der KI und deren Beschreibung beziehungsweise Vermenschlichung. KI habe keinen eigenen Antrieb und könne nicht selbstständig handeln oder verstehen. Der Vergleich mit dem menschlichen Hirn sei also abwegig. «Statt uns über die Fragen den Kopf zu zerbrechen, sollten wir einfach die Chance packen, die uns KI bietet. Dadurch wird die Zukunft unglaublich spannend!», ist Kaufmann überzeugt.

Gerold Brütsch-Prévôt

Redaktioneller Mitarbeiter Zürcher Wirtschaft

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