KGV-Partnerlunch: Zünfte, Böögg und Sechseläuten

Die Zünfte in Zürich und das Sechseläuten waren immer wieder politischen Umwälzungen unterworfen. Gespickt von vielen Anekdoten, gab Zunftmeister Christian Bretscher am Partneranlass des KGV Einblick ins Zunftwesen.

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Zunftmeister Christian Bretscher am KGV-Partneranlass.

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KGV-Präsident Werner Scherrer begrüsst die Partner und Sponsoren.

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KGV-Geschäftsführer Thomas Hess (rechts) bedankt sich am Partneranlass bei Zunftmeister Christian Bretscher.

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Apéro und Netzwerken am KGV-Partneranlass.

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Apéro und Netzwerken am KGV-Partneranlass.

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Apéro und Netzwerken am KGV-Partneranlass.

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Apéro und Netzwerken am KGV-Partneranlass.

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Apéro und Netzwerken am KGV-Partneranlass.

KGV-Präsident Werner Scherrer hob zu Beginn des KGV-Partneranlasses vom 12. September hervor, dass die Partner und Sponsoren mit ihrer Unterstützung auch die politische Arbeit des KGV mittrügen – und im Gegenzug wieder zu neuen Kontakten an der KGV-Basis kommen. Scherrer kündigte auch an, dass für gezielte politische Unterstützung ein Förderverein kurz vor der Geburt stehe.

Zünfter und Gastredner Christian Bretscher ist beim KGV kein Unbekannter: Als Arbeitgebervertreter sitzt Bretscher auch in der Tripartiten Kommission des Kantons Zürich; ebenso nimmt der der ehemalige FDP-Kantonsrat als Vertreter der Zürcher Banken im Forum Zürich Einsitz. Aber den KGV-Partnerlunch besuchte er als Teil einer Welt, die vielen verwehrt bleibt: Seit 1996 ist er Mitglied der Zunft zum Kämbel, heute als deren Zunftmeister.

Sein Referatstitel «Zünfte, Böögg und Sechseläuten» versprach nicht zuviel: Einer historischen Einordnung liess er zahlreiche Anekdoten von gescheiterten Bööggverbrennungen, Entführungen und Diskussionen über politische Korrektheit und Zeitgeist folgen.

Zünfte waren eine Art Vorläufer von Branchenverbänden – und hatten klare Regeln: Wie die Lehr- und Wanderjahre ablaufen sollen, wo welche Zunft verkaufen darf, wie man dem Handwerk nachgehen soll, oder wie Berufsleben und Jahresablauf strukturiert sein sollen. «Sie waren eine Art krude Mischung aus Kartell, Arbeits- und Wirtschaftsrechtgeber, Gesamtarbeitsvertrag und Ehrenkodex. Alles aus einer Hand», meinte Bretscher.

Ihre politische Kraft begann mit einem Aufstand gegen die Stadtväter Zürichs: Der Adlige Rudolf Brun zettelte in Zürich 1336 gemeinsam mit Handwerkern und Händlern eine eigentliche Revolution gegen die adlig und ritterlich geprägte Konstaffel an. Fortan ergänzte ein gemischter Rat aus Handelsleuten, Handwerkern – in 12 Zünften zusammengefasst – den bisherigen Rat aus Rittern und Bürgern.

Ab 1525, im Jahr der ersten Erwähnung des Sechseläutens, durfte man nur noch Mitglied in einer Zunft sein – so kam es in der Folge auch zu einer wilden Durchmischung: «So kamen die Zünfte sehr früh weg von ihrem ursprünglichen Handwerk.»

Ausgangspunkt des Sechseläutens im selben Jahr war die Umstellung der Arbeitszeit um eine Stunde. «Wir Zürcher sind wahrscheinlich die einzigen auf der Welt, die feiern, wenn sie eine Stunde länger arbeiten müssen», scherzte Bretscher.»

Napoleon setzte dann vorübergehend dem Zunftwesen ein Ende. Die aufgelösten Zünfte trafen sich noch während seiner Zeit als Vereine oder übergaben ihr Vermögen temporär an an andere Zünfte, um es dann später zurückzuholen. Erst ab 1839 gab es dann einen gemeinsamen Festumzug.

Neuer Daseinszweck

Seit der Einführung des Gemeindegesetzes 1866 trat an die Stelle politischer Macht und Wettbewerbsordnung und Lösung von Streitfällen als Daseinszweck Geselligkeit, Feste und Vorträge. Die Zahl der Zünfte hat sich gut verdoppelt und liegt heute bei 26.

1867 bildete sich eine Stadtzunft für all jene, die noch nicht in einer Handwererzunft vereinigt waren. 1893 erhielten Aussengemeinden durch die Eingemeindungen politisch Anschluss an die Stadt Zürich. Auf Anregung der Stadt wurden fast alle Quartiere mit Quartierzünften ausgestattet – was dann eher heutigen Gewerbevereinen entspräche.

Seit Anfang des 20. Jahrhunderts sind die Themenumzüge rar geworden. Stattdessen begannen die Zünfte, sich selbst darzustellen, sei es mit ihrem Handwerk oder mit Geschichten aus ihren Quartieren. «Aus dieser Zeit stammt auch unser Beduinen-Kostüm», so Bretscher. Diese arabischen Gewänder haben aber nichts mit Handel in exotischen Ländern zu tun. Vielmehr war das Zunfthaus «zum Kämbel» ein Kamel im Wappen, was auch die Nähe zu arabischen Ländern erklärt. «Begonnen hat es mit unseren Reitern, die schon Anfang des Jahrhunderts aus Verehrung für die wilden Beduinenreiter und angelehnt an das Wappen unseres Zunfthauses arabische Kostüme trugen.» Dieser Form der «Erfindung von Tradition» hätten auch andere Zünfte gefrönt: Eine Mischung aus historischen Fakten, Überlieferungen und schöpferischer, historisierender Fantasie.

Bewegte Geschichte des Böögg

Auf Bewohner des Kratzquartiers geht der Brauch des mit Feuerwerkskörpern gefüllten «Böögg», der verbrannt wird, zurück. An deren Stelle – zumal das Elendsviertel später gänzlich abgerissen wurde – trat das 1871 gegründete Sechseläuten-Central-Comite, das bis heute Bestand hat.

Die Böögg-Verbrennung war nicht immer reibungslos und wurde oft, genährt von politischen Motiven, torpediert. Bretscher gab Einblick in einige «ungewöhnliche Todesfälle» des Böögg, aber auch einige (geplante) ungewöhnliche symbolische Todesmotive. Ende des 19. Jahrhunderts wurden statt des Winters zum Teil auch andere unliebsame Ereignisse symbolisch dem Feuer übergeben: 1872 der Krieg, dargestellt als schwer bewaffneter Böögg, 1879 das Defizit der Stadt Zürich in Form eines Mannes mit Schuldsack, 1890 die Grippe in Gestalt des Todes mit einer Bazillengiesskanne. 1900, 1901 und 1993 wollte der Böögg nicht brennen und fiel von der Stange. 1921 hat ein Kommunist den damaligen Böögg-Baumeister angestiftet, den Böögg frühzeitig anzuzünden. Bis um sechs Uhr abends war aber ein neuer Böögg bereit – folgerichtig mit einer roten Fahne in der Hand.

In den Kriegsjahren 1941 bis 44 war die Sechseläutenwiese wegen der Anbauschlacht ein Kartoffelacker. 1941 gab es daher kein Sechseläuten, 1942 durfte man dem Böögg erstmals ausserhalb des Ackers zusehen, und 1943 und 44 gab der Böögg ein Gastspiel auf dem Hafendamm Enge.

Ziemlich turbulent wurde es dann in der neueren Zeit: 1981 versuchte die Jugendbewegung, den Umzug zu stürmen. Dank grossem Polizeiaufgebots blieb es bei der Drohung. 2006 wurde der Böögg entführt: Eine Gruppe, die sich «Revolutionäre Bewegung 1. Mai – Strasse frei» nennt, stahl den Schneemann aus dem Atelier des damaligen Bööggbauers. Am 1. Mai tauchte er dann beim Kanzleischulhaus auf. Die Böller waren ausgebaut und später für einen Anschlag verwendet worden.

Frauen und weiterer Zuwachs

Ab 1490 gehörten zur noblen Constaffel neben Adligen, Rittern, Rentnern und Kaufleuten auch berufstätige Männer und Frauen – vom Scharfrichter bis zum horizontalen Gewerbe. Zünfte nahmen früher generell auch berufstätige Frauen auf. Irgendwann habe sich das bei allen Zünften geändert, so Bretscher.

Erst seit ganz kurzem versuchen sich nun zwei Zünfte wieder für Frauen zu öffnen: Die Höngger und ausgerechnet die konservative Meise-Zunft nehmen erstmals weibliche «Gesellen» auf. 1989 haben deshalb ein paar Frauen die Gesellschaft zu Fraumünster gegründet. Nach allerlei Hin und Her wurde die Gesellschaft zu Fraumünster 2011 das erste Mal zum Sechseläuten-Umzug eingeladen.

Das «Verkommnis» und überhaupt der Umgang mit Gruppen, die sich für das Sechseläuten interessieren, geben jedoch immer wieder Anlass zu hitzigen Diskussionen. Ende des vorletzten Jahrhunderts fand das Sechseläuten-Central-Comité nämlich, dass es nach der Eingemeindung auch eine Integration der Quartiere ins Sechseläuten brauche. Es wurde deshalb auf verschiedene Weise zur Gründung von Quartierzünften aufgerufen. So entstanden etwa zwischen 1897 und 1900 die Zünfte Drei Könige, Fluntern, Hottingen, Wiedikon und Wollishofen. Als letzte neue Zünfte sind 1975 Schwamendingen und 1980 Witikon zum Zentralkomitee der Zünfte Zürichs (ZZZ) gestossen.

Mark Gasser

Chefredaktor
Zürcher Wirtschaft

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