Boomende Bürokratie

Werden mit der Paragrafenflut Freiheit und Selbstverantwortung zu Auslaufmodellen? Nationalrat und Unternehmer Gregor Rutz brachte einige Blüten überbordender Bürokratie mit an den KGV-Partneranlass.

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Gregor Rutz bei seinen Ausführungen zur explodierenden Bürokratie.

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Im Zunfthaus zur Meisen am Münsterplatz in Zürich lud der KGV wieder zum alljährlichen Partnerlunch. Und wie vor Jahresfrist kamen rund 30 Vertreterinnen und Vertreter von KGV-Partnern und Sponsoren zum Austausch zusammen. KGV-Präsident Werner Scherrer bedankte sich einleitend bei den Inserenten und Sponsoren, die als Ergänzung zu den KGV-Mitgliedern wichtige Beiträge leisten, um die Arbeit des Verbandes zu ermöglichen.

So trafen beim Zürcher Geschnetzelten die Versicherungsfirma auf die Partnervermittlerin, die Treuhänder auf die Weiterbildungsinstitution. Nach dem Essen sprach ein vertrautes Gesicht in Unternehmerkreisen: Gastredner war Nationalrat Gregor Rutz, mitunter auch Präsident des HEV Zürich, Mitglied der Gewerbegruppe der Bundesversammlung und mit seiner Kommunikationsagentur auch KMU-Unternehmer. Geladen war er vor allen Dingen als «scharfsinniger Beobachter der Politik», wie KGV-Geschäftsführer Thomas Hess einleitend meinte.

Unter scharfer Beobachtung von Rutz sind vor allem extreme Entgleisungen und Extravaganzen, die sich die Verwaltung landauf landab erlaubt und die nicht selten in skurrilen Gesetzesparagrafen und -verordnungen münden. Diese nimmt Rutz mit seiner IG Freiheit alljährlich genauer unter die Lupe und kürt dann das skurrilste Gesetz jeweils mit seinem Schmähpreis, dem «Rostigen Paragrafen». Der Titel sei nichts anderes als ein Indikator dafür, «wo unsere Gesellschaft angekommen ist», so Hess.

Rutz selber versuchte unter dem Motto «Unaufhaltsame Paragrafenflut: Freiheit und Selbstverantwortung als Auslaufmodelle» zunächst eine kurze Standort-
bestimmung. Er meinte, die Berufspolitiker in Bern stünden am Anfang vieler unnötiger Bürokratie. So hoffe er auf die National- und Kantonsratswahlen 2023. «Wir brauchen wieder Gewerbler in Bern – Menschen, die wissen, was es heisst, Geld zu verdienen, Löhne zu zahlen und mit eigenem Geld ein Risiko einzugehen, statt Sitzungsgelder zu maximieren.» Die Zahl der Gesetze wachse mit horrender Geschwindigkeit. Ein Indikator sei allein die Zunahme der Gesetzesseiten: Von 1500 im Jahr 1950 auf rund 7000 bis 8000 jährlich heute.

Gesetze und deren Ursprünge

In der Staatspolitischen Kommission, welcher Rutz angehört, wurde dem Ursprung der Gesetze nachgegangen. «Sehr viele Gesetze kommen von internationaler Ebene – viele davon will die Wirtschaft auch, muss man dazu sagen.» Das sei etwa bei Produkteanforderungen so – EU-weit würden diese oft über einen Kamm geschoren. Ähnlich unverständlich sei das hiesige Datenschutzgesetz: Nach drei Jahren Beratung wurde praktisch die Vorlage des EU-Rechts übernommen. «Es führt zu Mehrkosten und überhaupt nicht zu Verbesserungen.»

Hinzu kämen allerdings auch Verordnungen, welche von «sehr fleissigen Verwaltungen» ausgearbeitet würden – gerade diese tangierten besonders das Gewerbe. Ein Beispiel: Nach einem Seilbahnunfall wurde unionsweit eine «Seilbahnrichtlinie» ausgearbeitet. In Deutschland ist das Sache der Bundesländer – in Bremen und Berlin, wo es topfeben ist, ist eine solche Vorgabe grotesk. «Und wir Schweizer sind ja die Genauesten bei der Umsetzung.» Eine der Vorgaben: Es dürfen keine brennbaren Flüssigkeiten transportiert werden in der Seilbahn. Das Bundesamt für Verkehr wollte folglich Fonduefahrten in der Seilbahn verbieten. Das Amt fand dann doch eine Lösung mit dem Seilbahnverband und erlaubt nun fest eingebaute Caquelons – eine mustergültige Schweizer Lösung.

Aufpassen müsse man auch bei der Eigendynamik der Verwaltung, welche politische Entscheide durch die Hintertür rückgängig machen kann. Jüngst etwa bei der Vernehmlassung des Tabakproduktegesetzes, das einen Passus enthält, wonach Unternehmungen alle Werbeausgaben im Zusammenhang mit Tabakwerbung offenlegen müssen. Das wurde bereits vom Stände- und Nationalrat gestrichen und gehöre zur finanziellen Privatsphäre. «Die Verwaltung nahm das nun wieder hinein in die neue Vorlage.»

Jeder Vorstoss kostet

Rutz stellte ein weiteres lähmendes Element des Staates vor: die sogenannten Vorstosskönige. Jeder Vorstoss, der durch Bundesrat und Parlament beantwortet und/oder behandelt werden muss, generiert im Schnitt Verwaltungskosten von 6100 Franken. «Und Spitzenreiter sind jene Grünen, die fünf bis zehn Vorstösse pro Session einreichen. Sie lösen damit locker ein, zwei Jahresgehälter pro Jahr aus mit Vorstössen.»

In der letzten Sondersession, die eigentlich zum Abbau von Vorstössen gedacht ist, wurden zwar 50 Geschäfte erledigt, aber gleichzeitig wurden 100 neue Vorstösse eingereicht. «Unter Abbau stelle ich mir etwas anderes vor.» Er selber hat einen Vorstoss mit grosser Unterstützung eingereicht, wonach für solche Sondersessionen mit dem Zweck, den Papierberg abzuarbeiten, keine weiteren eingereicht werden dürften.

Wachsende Verwaltung

Um den wuchernden öffentlichen Sektor weiter zu illustrieren, verglich er die Staatsquoten von 1995 und 2022. Damals waren noch 19 Prozent der Stellen bei der Verwaltung angesiedelt, 2022 waren es bereits 30 Prozent. «Bald jeder Dritte arbeitet beim Staat oder bei einem staatsnahen Betrieb, nur noch zwei Drittel in der Privatwirtschaft.» Die Löhne beim Staat seien attraktiv – und der Kündigungsschutz unverständlich hoch. Auch die Zuwanderung versorge insbesondere den Staat mit Arbeitskräften. «Es kommen vor allem Menschen, die dann im öffentlichen Sektor landen – mehr als in der Privatwirtschaft.»

Allein im Kanton Zürich wurden 2022 deren 1100 Stellen geschaffen, 2023 sollen sogar 1370 neue Stellen entstehen. Ein anderer bedenklicher Wert: In der Stadt Zürich sind die Steuereinnahmen gleich hoch wie die Personalausgaben. «Jedes KMU würde bei einer solchen Entwicklung Konkurs gehen.» Sein Credo: «Da wo es Private gibt, muss der Staat kein Angebot schaffen.»

Mark Gasser

Chefredaktor
Zürcher Wirtschaft

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