Im Faserpelz durch den Wahlkampfwinter

Der KGV-Herbstkongress traf an seinem Herbstkongress im Zürcher Kaufleuten den Balanceakt zwischen politischer Debatte und entspanntem Netzwerken. Und auch wenn Karikaturist Coffez die gewerbefreundlichen Regierungsräte witzig interpretierte: Die Wichtigkeit, bürgerlich zu wählen, ist nicht überzeichnet. Zudem wurden wieder die Gewerbevereine mit dem grössten Zuwachs geehrt.

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Die sechs Siegervereine des Gewerbe-Cups für das stärkste Wachstum im Jahr 2021.

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Beim Apéro nach dem Herbstkongress.

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KGV-Geschäftsführer Thomas Hess (links) und Präsident Werner Scherrer.

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Dem spitzen Stift von Karikaturist Pascal Coffez entgingen auch die fünf RegierungskandidatInnen nicht.

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Karikaturist Coffez sorgte für Stimmung.


Trotz der aktuellen Unwägbarkeiten hinsichtlich Stromkrise (Versorgungssicherheit und Strompreisexplosion), der vermeintlich überstandenen Pandemie, Infla-tion und Ukrainekrieg, riet KGV-Präsident Werner Scherrer am Herbstkongress des KGV vom 3. November, «nicht depressiv zu werden – schon gar nicht heute Abend.» Denn KMU seien resilient, das habe sich in vergangenen harten Zeiten immer wieder gezeigt. Und weil Wahlkampf bisweilen etwas trockene Veranstaltungen hervorbringen kann, sorgte einerseits das Rahmenprogramm mit Pascal Coffez, Karikaturist der «Zürcher Wirtschaft», für Unterhaltung, Gesprächsstoff – und für ein persönliches Andenken für jene unter den 250 Gästen aus Gewerbe, Politik, und Sponsoring, die sich «trauten»: Auch die fünf Podiumsteilnehmenden und Präsident Scherrer selber wurden von Coffez’ schwungvollem Zeichenstift stimmig eingefangen.

Anderseits trumpfte Moderator Stefan Nägeli auf mit erfrischenden Entweder-Oder-Einstiegsfragen an die fünf RegierungskandidatInnen, die sich entsprechend locker gaben – was das Publikum amüsiert quittierte: So musste sich Finanzdirektor und Regierungspräsident Ernst Stocker (SVP) entscheiden zwischen «Pommes Frites oder Rösti» («Rösti!»), aber auch zwischen Rösti und Vogt, den beiden Bundesratskandidaten. «Ich kann mit beiden leben», so Stocker diplomatisch. Ausgerechnet Mitte-Regierungsrätin Silvia Steiner musste sich dann zwischen Schweizer Illustrierte und Weltwoche entscheiden – «lieber das KGV-Heftli», meinte sie.

Das KMU-Publikum erfuhr so auch, dass Steiner handwerklich begabt ist, dass Natalie Rickli Netflix dem Schweizer Fernsehen vorzieht und dass Carmen Walker Späh (FDP) «an allen Pilzen Freude hat – ob giftig oder nicht». Peter Grünenfelder fährt am Wochenende Rennvelo im Oberland, wechselt seit neustem aber auch gern Windeln, Silvia Steiner ihrerseits kann als Grossmutter «die frühkindlichen Förderkonzepte, die wir in der Bildungsdirektion lancieren möchten, in einem Feldversuch ausprobieren».

Gefragt nach den persönlichen Energiesparmassnahmen, räumte Natalie Rickli ein, dass ihr ein Faserpelz im auf 19 Grad geheizten Regierungszimmer durch den Winter helfe. Die Spitäler hätten grossmehrheitlich Notstromaggregate und seien kaum bedroht von einem Strommangel. Aktuell versorgten sie sich tonnenweise mit Öl, «um im Notfall bereit zu sein.» Auch bei den Heimen werde sich aber die Stromkrise auf die Gesundheitsbranche auswirken. «Deshalb glaube ich, wir müssen national darauf einwirken, die Stromtarife tief zu halten. Und wir müssen etwas abkehren vom ideologischen Zeitplan mit der Energiestrategie 2050 und nicht vorschnell aus der Atomkraft aussteigen.» Carmen Walker Späh outete sich ebenfalls als «Gfrörli» und mahne heute – anders als in ihrer Kindheit – andere zum Lichterlöschen. Eine Ausnahme mache sie einzig bei ihrem Haarföhn.

Auch Ernst Stocker wärmt sich mit dem Helly Hansen, aber auch er ist sich sicher, dass sich die Preise einpendeln und der Strom nicht zu knapp werden wird. «Wenn jemand das Stromproblem lösen kann, dann wir Schweizer: Wir haben 90 Prozent eigenen, CO2-freien Strom.» Als Verwaltungsratsmitglied der EKZ sieht er, dass vor allem im Ausland investiert wurde in die Energieproduktion. «Diese Anlagen müssen vermehrt bei uns gebaut werden.»

Für Peter Grünenfelder, der auf Stosslüften und kalt Duschen setzt, ist die Versorgungsunsicherheit ein Staatsversagen: Die «Energiewende» habe uns in eine Auslandabhängigkeit getrieben. Technologieverbote und Regulierungen müssten hinterfragt werden Silvia Steiner sieht die Energiekrise auch als Chance: Sie mache bewusst, wie wertvoll Energie sei. Und der Umgang mit Ressourcen und Nachhaltigkeit sei auch an den Schulen im Kanton stets Thema.

Gewerbe und Verwaltung

Nicht nur beim Lieblingskanton (fast bei allen Graubünden) oder bei der Kleiderwahl fürs Regierungszimmer gab es Gemeinsamkeiten: Alle beteuerten sie, das KMU-Gewerbe unterstützen zu wollen. Doch treibt nicht manchmal die Verwaltung die Regierungsräte vor sich her? Rickli konterte: Sie fordere ihre Verwaltung, indem sie jeweils Anträge und Berichte «in sehr hoher Qualität» und mit jeweils verschiedenen Varianten verlange. Die Verwaltungsprozesse dauerten aber oft lange – von der Antragsbereinigung über Diskussionen innerhalb der Regierung, Kantonsratsentscheide hin zur möglichen Volksabstimmung.

Dann kam Moderator Nägeli auf verschiedene Verwaltungsbereiche zu sprechen. Die Anhebung der Krankenkassenprämien habe viele Gründe, meinte etwa Gesundheitsdirektorin Rickli: Immer mehr Leistungen würden gedeckt, die Notfallstationen würden zunehmend verstopft (was nach Corona akut zugenommen habe), und die Menschen würden immer älter. «Das heisst, dass wir im Alter auch mehrere Krankheiten haben – und für diese wieder neue Medikamente, neue Technologien, Forschung die immer besser wird. So wird es gegen das Lebensende unter Umständen sehr teuer.»

Tempo 30, Nachtfahrverbote, Demonstrationen, Verkehrsversuche: Carmen Walker Späh besorgt die selbstgerechte Haltung der Städte – als ob der Wohlstand selbst erarbeitet und die Standortattraktivität und die hervorragenden Bildungsinstitutionen selbstverständlich seien. «Der Umgang mit den Finanzen und diese Einstellung machen mir Sorgen.» Am Schluss seien es eben die Wirtschaft und die KMU, «die den Franken verdienen, den andere ausgeben.» Mit Zwang und Regulierungen alles zu verlangsamen, inklusive den öffentlichen Verkehr (Tempo 30), widerspreche dem Rhythmus der Stadt, die pulsieren müsse, wo gearbeitet werde und wo das Leben stattfindet.

Peter Grünenfelder, heute Direktor von Avenir Suisse, verantwortete einst 12 Jahre lang als Staatsschreiber im Kanton Aargauer alle Sparpakete. Angesichts der drohenden OECD-Steuerreform bemühten sich andere Kantone nicht nur um die Jungen, sondern auch darum, die Vermögenden im Kanton zu behalten – mit wesentlich schlankeren Verwaltungskörpern. «Der am schnellsten wachsende Arbeitgeber ist im Kanton der öffentliche Sektor – derweil sprechen wir überall von Fachkräftemangel. Dies mit Löhnen, die um einen Drittel höher sind als in der Privatwirtschaft.»

Ernst Stocker verglich den Zürcher Haushalt mit einem 18-Milliarden-Budget als Dampfer, «nicht ein Motorböötli wie unsere Nachbarkantone.» Dass die Verwaltung wieder um 1400 Stellen gewachsen, erklärte Stocker unter anderem mit der Personalaufstockung im Bildungsbereich von allein 500 neuen Stellen. «Der Kanton Zürich ist bis 2050 der jüngste Deutschschweizer Kanton zusammen mit Genf.» Hinzu kämen Zentrumskosten wie jene für den ZVV. Freilich hätten Gerichte, die Digitalisierung und einige anderen Verwaltungsbereiche zugelegt – im Gegensatz zur Kernverwaltung.

Silvia Steiner relativierte das Schlagwort Lehrermangel – eine angespannte Situation sieht sie vor allem da, wo das starke Schülerwachstum die rund 100 Lehrpersonen zusätzlich pro Jahr erforderten. Die 530 befristeten zusätzlichen Lehrerstellen seien von Coaching, Grund- und Einführungskursen begleitet. Einige Post-Corona-Faktoren wie Nachholbedarf von Reise- oder Auslandjahren hätten zum Engpass geführt. «Wir bilden keine Lehrkräfte auf Halde aus», erklärte sie.

Wahlkampagne 2023

Den Kantonsratswahlkampf 2023 für gewerbefreundliche Kandidierende stellte Geschäftsführer Thomas Hess vor. Die Zusammenarbeit mit FDP, SVP und «Die Mitte» sei konstruktiv und vertrauensvoll. Das linksgrüne Lager habe aber seit 2019 den Takt angegeben – auch «dank» der GLP: Bei den 20 aus Gewerbesicht wichtigsten Kantonsratsgeschäften deckte sich das GLP-Abstimmungsverhalten nur zu 40 Prozent mit jener des KGV. Daran stört sich auch das Forum Zürich, das kurz nach dem Kongress lautstark ihren Unmut über die GLP kundtat.
Die Dachkampagne, deren Inhalte modulartig von den einzelnen Bezirksgewerbeverbänden und Kandidierenden für ihre Onlinekampagnen adaptiert werden können, kommt als witzig um-
gesetzte Wahlanleitung daher: Streichen, Panaschieren, Kumulieren werden hier nahegelegt.

Gewerbe-Cupsieger

Hess dankte den Haupt- und Co-Sponsoren und stellte zum Schluss die sechs Gewerbevereine im Kanton Zürich mit dem grössten relativen sowie dem grössten absoluten Wachstum im Rahmen des «Gewerbe-Cup» vor. Gerade das Wachstum während Corona sei nicht selbstverständlich. Die Gewinner-Checks über 2000 Franken erhielten die beiden Gewerbevereine Albisrieden und Turbenthal. Die weiteren Plätze holten sich die Gewerbevereine Oberglatt sowie Obfelden (2. Und 3. Platz relatives Wachstum) sowie Illnau-Effretikon und Uitikon-Waldegg (2./3. absolutes Wachstum). Sie gaben Einblick in ihre Rezepte, um Neumitglieder anzuwerben: «Im direkten Austausch» wie etwa beim Gewerbeverein Albisrieden oder über eine Online-Kampagne, wie es Illnau-Effretikon zeigte.

Mark Gasser

Chefredaktor
Zürcher Wirtschaft

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