Keine Hürde zu hoch für Nachhaltigkeit

Aufgrund von regulatorischen Trends, aber auch wegen gesellschaftlichen Drucks sind Schweizer Banken im Bereich Nachhaltigkeit sehr aktiv und haben eigene Nachhaltigkeitsteams. Grossbanken liefern sich eine veritable Marketingschlacht um das nachhaltigere Geschäftsgebaren. Verlieren kleine Banken nicht den Anschluss?

Bild PD

Nachhaltig auch im Gebäudebereich: Hauptsitz der Zürcher Kantonalbank.

Nachhaltigkeit ist in aller Munde – und meint mehr als nur Klimaschutz. Auch der Finanzsektor wird fleissig grüner, sozialer, inklusiver. Die Grundannahme: Jeder Franken, den wir den Banken zum Sparen, Anlegen oder Vorsorgen anvertrauen, wirkt sich auf die Umwelt, das Klima und die Gesellschaft aus. Kapital für Innovationen bereitzustellen ist daher der erste Hebel des Finanzsystems, um Teil der Lösung zu werden: Green Bonds, Private Equity, Risikokapital, Mikrofinanzen, um ein paar zu nennen. Durch das Finanzsystem kann Kapital dorthin gelenkt werden, wo es mehr Nachhaltigkeit bewirkt.

Der WWF Schweiz hat gemeinsam mit PriceWaterhouseCoopers 2021 die 15 grössten Schweizer Retailbanken erneut unter die Lupe genommen und analysiert, wie nachhaltig die Banken ihr Geld anlegen und Kredite vergeben. Was kaum überrascht: Der WWF beurteilt das Umweltbewusstsein der Banken kritisch, etwa bei der Transparenz gegenüber Kunden, um nachhaltige Anlageentscheide zu treffen.

Positive Entwicklungen zeigten sich in der Kategorie der 7 als «Verfolger» beurteilten Institute, die damit als «überdurchschnittlich» bewertet wurden: zu ihnen gehörten die Zürcher Kantonalbank und die UBS. Sprich: Mit Blick auf die Nachhaltigkeit verhalten sie sich zeitgemäss, gelten aber nicht als richtungsweisende oder visionäre Banken. Immerhin: Der Nachhaltigkeitsgedanke sei in der strategischen Ausrichtung der Banken vermehrt direkt verankert.

SDG und ESG

Doch was ist genau mit Nachhaltigkeit gemeint, und messen alle Banken mit denselben Standards? Und überhaupt: Sind alle Banken imstande, den Nachhaltigkeitszielen Beachtung zu schenken? Zunächst zur Begriffsklärung. Oft hört man im Zusammenhang mit Nachhaltigkeit die beiden Begriffe SDG und ESG. Mit den Sustainable Development Goals SDG sind allgemein ökologische, soziale sowie ökonomische Kriterien gemeint. Bei grösseren Unternehmen sind diese wiederum mit den 17 Zielen und 169 Unterzielen der Vereinten Nationen für eine nachhaltige Entwicklung verbunden. Die SDG sollen bis 2030 global und von allen UNO-Mitgliedstaaten erreicht werden. Teilweise sind die Ziele abstrakter («Keine Armut», «Kein Hunger», «Weniger Ungleichheiten»), teilweise griffiger und direkter umsetzbar («Massnahmen zum Klimaschutz»).

ESG steht für «Environmental», «Social» und «Governance» – also Umwelt, Soziales und Unternehmensführung. In den letzten Jahren ist das Interesse am Thema regelrecht explodiert. Unternehmen müssen transparenter werden – weit über die Finanzkennzahlen hinaus. «ESG» steht gemäss dem Usus in der Finanzwelt stärker für den Produktbereich, wo einzelne Kennzahlen den drei Bereichen E, S und G zugeordnet werden.

Seit September 2018 hat die Schweizerische Bankiervereinigung (SBVg), der Dachverband der Schweizer Banken, «Sustainable Finance» zu einer strategischen Priorität erhoben. Auf Anfrage bestätigt auch die Zürcher Kantonalbank, dass sie ihre Tätigkeiten auch an den 17 Nachhaltigkeitszielen der UNO ausrichte. «Mit dem Beitritt zur Net-Zero Banking Al-liance bekräftigt die Zürcher Kantonalbank erneut die Bedeutung der Nachhaltigkeit als integralen Bestandteil ihrer Geschäftstätigkeit», gibt Mediensprecherin Tanja Müller Auskunft. Dem Ziel, bis 2050 klimaneutral zu werden, hat sich auch der Dachverband, die Schweizerische Bankiervereinigung, 2022 verschrieben.

Seit 2009 hat die ZKB ihren betrieblichen CO2-Ausstoss bereits um rund 70% reduziert. Die verbleibenden Emissionen, die im Betrieb anfallen, wurden bisher zu 100% kompensiert. Die nicht vermeidbaren Restemissionen sollen künftig vollständig der Atmosphäre entzogen werden. Ab 2025 wird sie diese unter anderem in Abbruchbeton einlagern. Dafür geht die Bank eine Kooperation mit dem 2019 gegründeten Berner Jungunternehmen neustark ein, das eine Lösung zur dauerhaften Speicherung von CO2 aus der Luft in recycelten mineralischen Abfällen wie Abbruchbeton entwickelt hat.

SIX Group, welche die Infrastruktur für die Finanzplätze in der Schweiz und in Spanien betreibt, nennt drei Nachhaltigkeitsbereiche: Bei der Finanzmarktinfrastruktur, als ESG-Produktanbieterin und als Good Corporate Citizen. Dazu gehören neben dem Netto-Null-Ziel und Themen in Bezug auf Mitarbeitende auch Punkte wie die Verbreitung von Finanzwissen, ESG-Produkteentwicklung und Nachhaltigkeitsberichterstattung.

Wie bürokratisch und aufwendig die internen Untersuchungen sind, vermag der 56-seitige Nachhaltigkeitsbericht von SIX, aus dem wiederum die 17 wichtigsten Handlungsfelder hervorgehen, nur anzudeuten. 2021 sei ein Nachhaltigkeitsteam gegründet worden, das die Entwicklung der Themen in einer Matrixstruktur über die ganze Gruppe steuert.

Gebäude-Energieverbrauch

Etwas griffiger wird es in Sachen Nachhaltigkeit bei Klimamassnahmen im Gebäudebereich. Zum Massnahmenportfolio der ZKB in den Bereichen Wärme- und Stromenergie sowie Mobilität und Papier gehören gezielte Investitionen in energieeffiziente Gebäudetechnik bei allen Neu- und Umbauten, Flächenverdichtungen zu Energieverbrauchsminderungen, die Erneuerung der IT-Infrastruktur zugunsten der Energieeffizienzsteigerung sowie der Bezug von Ökostrom.

SIX wie auch die Zürcher Kantonalbank haben sich im Rahmen des Energie-Modells Zürich dazu verpflichtet, die Energieeffizienz um mindestens 1,5 % pro Jahr zu steigern. Das Modell bezieht sich hauptsächlich auf den Energieverbrauch der Gebäude und wird von der Energieagentur der Wirtschaft (EnAW) koordiniert.

Zu viel Bürokratie für KMU?

Es ist branchenübergreifend das Dilemma aller KMU: Sie können sich keine Nachhaltigkeitsteams fürs Monitoring von ESG-Massnahmen oder -Reports leisten. Erschwerend kommt hinzu, dass Kundenberater im Beratungsgespräch immer komplexere Anforderungen schultern müssen, etwa bei Fragen zur Wirkung eines Produkts oder zur Einhaltung komplexer regulatorischer Vorgaben.
Um ESG-Reports finanzierbar zu machen, gibt es aber Alternativen zur Schaffung eines Nachhaltigkeitsteams. Eine solche bietet etwa das Tool esg2go («ESG to go»). Entstanden als Initiative des Center for Corporate Responsibility and Sustainability (CCRS) an der Hochschule für Wirtschaft in Fribourg, verspricht es ein (weitgehend online erfassbares) Nachhaltigkeitsrating und -reporting, das so einfach ist, «als wenn man sich einen Kaffee über die Gasse kauft», schreiben die Initianten. Die Paketlösungen reichen vom reinen Rating-Abo (ab 300 Franken pro Jahr) bis hin zum «Professional»- Paket mit Rating, Reporting und Beratung (750 Franken). Treiber des 2021 vorgestellten Prototyps des Nachhaltigkeitsratingtools für KMU war unter anderem die Annahme, dass die «Unternehmensverantwortung» aus dem Ruder läuft. CCRS-Direktor Philipp Aerni nannte den «Elefant in the Room» in der «NZZ am Sonntag» vom 21. Mai 2022: In der Schweiz pflegten Firmen neu eine «Bürokratie des Guten» statt zu investieren – was dann paradoxerweise mit den Nachhaltigkeitszielen der UNO kollidiere. Dieser Trend sei in der Schweiz besonders nach Annahme des indirekten Gegenvorschlags der Unternehmensverantwortungsinitiative analog zur EU und der Verschärfung der Gesetze zu Unternehmensverantwortung zu erkennen.

Luzi Rageth, Verwaltungsratsmitglied der Adjumed Services AG für medizinische Qualitätssicherung, der esg2go angegliedert ist, erklärt die Kriterien für ein esg2go-Reporting: Damit ein KMU seine Nachhaltigkeit über esg2go messen könne, müsse es mindestens zwei Mitarbeiter haben und seit zwei Jahren existieren. «Fürs erste Ausfüllen des esg2go-Ratings rechnen wir für ein normales KMU mit 50 Mitarbeitern und einem Standort mit einem Tag», erklärt Rageth. Ab dem zweiten Mal halbiere sich dieser Aufwand. Das Tool, das von der UBS, der Zürich Versicherung und der Raiffeisen unterstützt wird, sei aber auch für grössere Firmen oder fürs Lieferanten-Monitoring von Grosskunden geeignet. Diver-se Kantonalbanken unterstützen esg2go, indem sie es ihren Kunden empfehlen oder schenken.

Geldverkehr: Keine Messgrösse

Mit der voranschreitenden Digitalisierung beim Zahlungsverkehr stellt sich die Frage: Wird beim digitalen Geldverkehr mit QR-Rechnungen, Twint, eBill und Co. und den ganzen damit verbundenen Datenmengen gegenüber dem physischen (Logistik, Druck, Versand etc.) Energie eingespart? Darauf haben die Banken keine konkreten Antworten: «Die Grundsätze der Nachhaltigkeit integrieren wir über unsere gesamte Geschäftstätigkeit und entsprechend auch im Bereich des Zahlungsverkehrs. Auf die einzelnen Fragen können wir nicht im Detail eingehen, da wir diese Daten nicht standardmässig erheben», heisst es bei der Zürcher Kantonalbank. Ähnlich vage und mit Verweis auf «sicherheitstechnische Gründe» bleibt die Bank zur Frage nach Standort bzw. Energieverbrauch der eigenen Datencenter. Auch SIX habe dazu «momentan keine aktuellen Studien o.ä.».

Mark Gasser

Chefredaktor
Zürcher Wirtschaft

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