Gruss- und Postkarten – Kulturgüter in Gefahr?

Grusskartenhersteller sind Frequenznutzer, nicht Frequenzbringer: Auf Impulskäufe angewiesen, brauchen sie Laufkundschaft. Sind mit zunehmendem Onlinehandel Gruss- und Postkarte für Herr und Frau Schweizer obsolet geworden? Mitnichten, sagt die Branche: Besonders während Corona wurde viel von Hand geschrieben.

Bild Simplex/zvg

Hersteller von Grusskarten profitieren nicht von der Digitalisierung.

In einer Zeit, in der viel über authentische Kommunikation (wahlweise mit geforderter «Haltung») debattiert wird, geht bisweilen einer der wichtigsten Sinne vergessen: der Tastsinn. Von Hand Geschriebenes scheint vor dem Hintergrund der digital verschickten Kurznachrichten echter, ehrlicher. Die Aufmerksamkeit ist einem mit einer handfesten Grusskarte garantiert. Und weil die Haptik beim Schreiben auch mit mehr Emotionen verbunden ist als das Tippen, bleiben händisch geschriebene Texte auch besser im Gedächtnis.

Wie auf den vorherigen Seiten geschildert, scheinen die Menschen in ihrem rundum digitalisierten Leben tatsächlich wieder vermehrt analog kreativ sein zu wollen – auch wenn wir mittlerweile sogar unsere Kreativität an die Maschine delegieren und Roboter Liebesbriefe schreiben können.

Auch der Grusskartenmarkt spürt diesen Trend – wenngleich der Absatz von Corona getrübt wurde. Für die Schweizer Grusskartenfirma A. Boss + Co (ABC) aus Schönbühl (BE) war die Pandemie eine Achterbahnfahrt – geprägt von Auf und Ab mit Lockdowns, Besuchseinschränkungen und saisonal-lokalem Grusskarten-Aufschwung. Roland Tschanz, Geschäftsführer des Schweizer Herstellers der ABC-Grusskarten, ist seit rund 10 Jahren im Kartengeschäft. Seine Kollegen hätten ihm damals teilweise davon abgeraten – die Digitalisierung schreite voran, Karten würden immer seltener nachgefragt, hiess es. «Aber trotz WhatsApp, E-Mail und Social Media ist das Kartengeschäft stabil», bestätigt Tschanz die Wettbewerbsfähigkeit der handgeschriebenen Karte.

Während des Lockdowns seien die Produkte des ABC-Kartenverlags in Lebensmittelgeschäften, die Karten verkauften, zwar gut nachgefragt worden. «In Papeterien oder im Fachhandel sanken die Zahlen hingegen.» Eine Karte werde in der Regel auch nicht online bestellt, da es oft ein Impulskauf sei. «Daher profitierten wir nicht von der Digitalisierung», so Tschanz. Trotz allem waren die Einbussen während Coron gering.

Krisenresistente Weihnachten

Ganz anders im deutschen Markt: «Weil die Geschäfte rigoroser geschlossen wurden, litt dieser Markt viel stärker.» Dafür hätten während Weihnachten die starken Besuchseinschränkungen, der Karte eine neue Bedeutung verliehen. Je nach Absatzkanal machen Weihnachten rund 20-25 Prozent des Gesamtumsatzes aus. «Das Weihnachtsgeschäft überdauert alle Krisen und ist sehr stabil.» Auch farblich sei Weihnachten weniger Modetrends unterworfen als etwa Geburtstage.

«Trotz WhatsApp, E-Mail und Social Media ist das Kartengeschäft stabil.»

Roland Tschanz, Geschäftsführer ABC Glückwunschkarten A. Boss + Co AG

Der Kartenmarkt teilt sich in verschiedene Themenbereichen auf. So umfasst der allgemeine – nicht saisonale – Bereich Geburtstags- und Trauerkarten, Hochzeits- und Babykarten. Auch die Blankokarten ohne Text würden «sehr stabil nachgefragt». Am konstantesten halte sich aber der Trauermarkt. «Wenn jemand stirbt, schickt man keine Whats-App.» In der Regel würden Glückwunschkarten – im Gegensatz zur Postkarte – persönlich übergeben.

Wegen Lieferengpässen habe die Firma aus Schönbühl, die schon vor Corona 95 Prozent der Karten lokal bedruckte, auch begonnen die Handmade-Karten in der Schweiz herzustellen. Nur noch kleine Segmente wie Soundkarten würden in Fernost hergestellt. So blieb die Hauptsorge während Corona für den Grusskartenhersteller: Wo kommt das Papier her? «Fast im Wochentakt steigerten die Papierlieferanten die Preise.» Letztes Jahr mussten der hohen Transport-, Strom- und Papierpreise wegen, auch die Kartenpreise etwas angepasst werden. Das bestätigt auch Mario Müller von der Firma Simplex, die im Bürofachhandel tätig ist: «Aktuell sind Lieferengpässe, steigende Energie- und Nebenkosten Gift für den Detailhandel im Nicht-Lebensmittelbereich.» Handkehrum würden gerade in Krisen «mehr persönliche Karten geschrieben». Besonders an Weihnachten 2020 und 2021 seien die Zahlen explodiert.

Postkarten und Briefe

Die Sortiermaschinen der Schweizerischen Post führen keine Statistik zu den traditionellen Postkarten, nur zur Briefpost in globo mit gleichem Versandpreis (beispielsweise Fr. 1.10 für A-Post). Allgemein war 2022 der Briefversand (wie ausnahmsweise der Paketversand nach dem Rekordjahr 2021) rückläufig: 1,75 Milliarden adressierte Briefe entspricht einem Rückgang um 4 Prozent. Die Briefmengen sind in den letzten 10 Jahren um insgesamt rund ein Drittel zurückgegangen.

Immerhin hat die Post mit ihrer App «PostCard Creator», die sie 2014 ins Leben rief, einen Anhaltspunkt zum gesamten Postkartenversand: Mit der App können persönliche Bilder und Grussbotschaften digital zusammengestellt werden, die bei der Empfängerin oder dem Empfänger eine physische Postkarte auslösen. Eine Karte pro Tag kann so gratis innerhalb der Schweiz verschickt werden. Der Peak sei jeweils in den Monaten Juli und August, «wenn viele Menschen in die Sommerferien verreisen und Ferienföteli per Postkarte an Daheimgebliebene und Freunde verschicken», teilt Post-Sprecherin Denise Birchler mit. Im ersten Coronajahr 2020 hätten die Menschen auch deutlich mehr Foto-Postkarten mit der App verschickt: fast 10 Millionen. «Als die Leute sich nicht mehr physisch treffen konnten, explodierte die Anzahl der Postkarten regelrecht. So hat der April 2020, als in der Schweiz der erste Lockdown war, mit fast 1 Million Postkarten alle Monatsrekorde gebrochen», so Birchler. Mittlerweile hat sich die Zahl wieder bei 8 Millionen pro Jahr eingependelt.

Fragt sich: Fördert die Post eher den Niedergang oder die Rettung der traditionellen, analogen Postkarte durch die «hybride» Postkartenvariante? Die Post passe sich schlichtweg neuen Kundenbedürfnissen an, mit persönlichen Bildern Grussbotschaften zu verschicken. «Seitdem Smartphones allgegenwärtig sind, hat sich dieses Bedürfnis weiter verstärkt», teilt der gelbe Riese mit. Den PostCard Creator habe die Post 2014 zunächst als Experiment und «Gadget» für digital Affine entwickelt, nicht als Massnahme zur Förderung des Briefverkehrs.

Mark Gasser

Chefredaktor
Zürcher Wirtschaft

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