Gesamtarbeitsverträge – ein Ärgernis?

Kontrollen sind heute an der Tagesordnung. Nicht nur Steuerämter oder AHV-Kassen prüfen die Einhaltung der Gesetze. Auch paritätisch zusammengesetzte Kommissionen kontrollieren, ob Arbeitgebende den Bestimmungen von GAV’s nachkommen. Solche Vereinbarungen weisen stets zahlreiche Fallstricke auf.

Rolf Ringger

ist Partner bei der Anwaltskanzlei BEELEGAL und publiziert Ratgeberbeiträge in der «Zürcher Wirtschaft».

Gesamtarbeitsverträge (GAV) sind, kurz gesagt, Verträge, die zwischen Gewerkschaften und Branchenverbänden oder einzelnen Unternehmen abgeschlossen werden und die in Ergänzung zum schweizerischen Obligationenrecht Bestimmungen über Abschluss, Inhalt und Beendigung von Arbeitsverhältnissen enthalten. Statistischen Erhebungen zufolge sollen in der Schweiz rund 600 GAV existieren. Für die Unternehmen liegen die Tücken solcher Verträge insbesondere bei der Frage der Anwendung auf ein konkretes Arbeitsverhältnis und – nicht zu unterschätzen – bei der Kontrolle über dessen Einhaltung.

Anwendungsbereich
Grundsätzlich sind die Bestimmungen eines GAV nur auf Arbeitsverhältnisse anwendbar, bei denen mindestens der Arbeitgeber Mitglied einer jener Organisationen ist, die den GAV abgeschlossen haben. Dies erhellt, dass es der Arbeitgeber grundsätzlich in der Hand hat, sich durch eine Mitgliedschaft bei einem Branchen- oder Berufsverband einem GAV zu unterstellen oder aber sich durch Austritt aus einem solchen Verband der Unterstellung und damit der Anwendung dieser Bestimmungen auf die Arbeitsverhältnisse in seinem Betrieb zu entziehen.

Allgemeinverbindlicherklärung
Ein solches «Entziehen» ist aber dort nicht mehr möglich, wo der GAV auf Antrag der daran beteiligten Parteien (Gewerkschaft, Branchenverband) durch die zuständige Behörde allgemeinverbindlich erklärt worden ist. In einem solchen Fall beschränkt sich die Wirkung des GAV nicht mehr nur auf jene Arbeitgeber, die sich dem GAV freiwillig unterzogen haben, sondern auf alle Arbeitgeber bzw. alle Arbeitsverhältnisse in dieser Branche. Ein allgemeinverbindlich erklärter GAV wirkt somit in seinem Anwendungsbereich wie ein Gesetz und der betroffene Arbeitgeber kann sich der Anwendung weder durch Verbandsaustritt entziehen, noch sich auf seine Unkenntnis über dessen Existenz oder dessen Anwendung auf seinen Betrieb berufen. Und auch der Arbeitnehmer kann nicht gültig darauf verzichten. Das Schwergewicht der Allgemeinverbindlichkeit liegt im gewerblichen Bereich. Von grosser Bedeutung sind namentlich (aber nicht nur) die Verträge im Bauhauptgewerbe, Maler- und Gipsergewerbe, Schreinergewerbe, Gastgewerbe, Coiffeurgewerbe etc. Eine laufend nachgeführte Liste mit den allgemeinverbindlich erklärten GAV wird vom seco geführt und kann dort eingesehen werden (www.seco.admin.ch).

Mischbetriebe

Oft ist nicht einfach zu erkennen, ob und wenn ja: welchem GAV ein Betrieb untersteht. Dies insbesondere dann nicht, wenn der Betrieb in mehreren Bereichen tätig ist, von denen nicht alle einem GAV unterstehen. Eine Gartenbaufirma erstellt z.B. auch grössere Stützmauern, Teer- und Asphaltbeläge etc., die als baugewerbliche Verrichtungen anzusehen sind und unter den GAV des Bauhauptgewerbes fallen, währenddem dieser GAV auf typische Gärtnerarbeiten nicht anwendbar ist. In solchen Fällen spricht man von Mischbetrieben, deren Unterstellung nach den folgenden Regeln erfolgt: Bestehen für die verschiedenen Tätigkeitsbereiche eigenständige Betriebsteile (echte Mischbetriebe), so wird für jeden Betriebsteil selbständig geprüft, ob und gegebenenfalls welchem GAV er untersteht. Ist dies nicht der Fall (unechte Mischbetriebe), gilt in der Regel der Grundsatz der Tarifeinheit. Massgebend für die Unterstellung ist die Haupttätigkeit, d.h. jene Tätigkeit, die dem Betrieb als Ganzem das Gepräge gibt. Untersteht diese Tätigkeit einem GAV, dann ist dieser auf das gesamte Unternehmen anzuwenden, also auch auf einzelne branchenfremde Arbeitnehmer wie auch auf ganze branchenfremde Abteilungen.

Oft ist nicht zu erkennen, ob und wenn ja, welchem GAV ein Betrieb untersteht


Rolf Ringger, Rechtsanwalt

Kontrollen und Sanktionen
Im Bereich des Arbeitsrechts sind Normverstösse nicht selten. Gehen diese zulasten des Arbeitnehmers, so hat dies – ausserhalb der Anwendung eines GAV – für den Arbeitgeber solange keine nachteiligen Folgen, als der Arbeitnehmer aus Unkenntnis oder anderen Gründen ihm vorenthaltene Geldwerte nicht geltend macht («Wo kein Kläger, da kein Richter»). Nicht so beim GAV: Dort werden von den Parteien regelmässig paritätisch besetzte Organe bestellt, welche die Einhaltung der im GAV enthaltenen Arbeitsbedingungen mittels Betriebs- oder Lohnbuchkontrollen überprüfen. Die unterstellten Betriebe müssen sich solche Kontrollen gefallen lassen; sie haben eine Pflicht zur Mitwirkung. Auf diese Weise werden die Regelverstösse aufgedeckt und die Arbeitgeber angehalten, die den Arbeitnehmern dadurch vorenthaltenen Geldwerte nachzuzahlen. Überdies drohen den fehlbaren Arbeitgebern Sanktionen (so Konventionalstrafen bis zu mehreren zehntausend Franken), und sie haben in solchen Fällen auch die Kontrollkosten zu tragen, die – je nach Umfang der Prüfung – mehrere tausend Franken betragen können. Nachzahlung und Sanktion erreichen oft schnell einmal mehrere zehntausend Franken oder gar noch mehr, wenn zum Nachteil der Arbeitnehmer während einer Kontrollperiode von einem oder zwei Jahren Arbeitszeitbedingungen oder Minimallöhne nicht eingehalten wurden, oder wenn nicht genügend Ferien gewährt, Feiertage nicht entschädigt oder Überstunden nicht oder nicht mit dem erforderlichen Zuschlag abgegolten wurden, oder wenn der 13. Monatslohn nicht bezahlt wurde.


Es empfiehlt sich aus all diesen Gründen, dem GAV-Bereich seine ganze Aufmerksamkeit zu schenken und solche Verträge ernst zu nehmen.

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