Auf Du und Du mit den Robotern

«Zwei junge Männer wollen ganz vorne an der europäischen Spitze mitmischen», titelte die «Zürcher Wirtschaft» im August 2021. Die Rede war von den Automatikern Yunus Ruff und Silvan Wiedmer, für die an der Mechatronik Schule Winterthur (MSW) die Arbeit mit Robotern und die Programmierung von Automaten Alltag ist. Doch nun steht 14 Monate später nicht nur die Siegertrophäe bei den EuroSkills auf ihrem Regal, sondern auch jene der WorldSkills: Am Final in Stuttgart schalteten sie alle ihre Konkurrenten in der Fachrichtung Industrie 4.0 aus. Anlässlich ihres Sieges hier nochmals das Portrait über die beiden, erstmals veröffentlicht im August 2021.

Bild WorldSkills/zvg

Zuoberst auf dem Siegerpodest: Die Automatiker Yunus Ruff (links) und Silvan Wiedmer gewannen in Stuttgart Gold bei den WorldSkills in der Fachrichtung Industrie 4.0.

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Zuoberst auf dem Siegerpodest: Die Automatiker Yunus Ruff (im Bild) und Silvan Wiedmer gewannen in Stuttgart Gold bei den WorldSkills in der Fachrichtung Industrie 4.0.

Archivbild 2021 Mark Gasser

An der Mechatronik Schule Winterthur (MSW) bereiteten sie sich für die Wettkämpfe vor.

Archivbild 2021 Mark Gasser

An der Mechatronik Schule Winterthur (MSW) bereiteten sie sich für die Wettkämpfe vor.

Werden bald Roboter auf Baustellen mit Handwerkern aus Fleisch und Blut Hand in Hand zusammenarbeiten? Die Idee ist gar nicht so abwegig. Und die Selbstverständlichkeit, mit welcher Lehrlinge mit Automaten und deren Programmierung für die Bewältigung immer komplexerer Aufgaben umgehen, verstärkt diesen Eindruck. Zwei junge Männer aus Winterthur, Yunus Ruff (21) und Silvan Wiedmer (20), verkörpern die Generation Z – also die Digital Natives 2.0 und Nachwuchskräfte von morgen mit Geburtsjahr ab 2000. Eine Generation, welche eine Welt ohne digitale Informationsflut nicht kennt und für welche die Grenzen zwischen virtueller und realer Welt verschmelzen.

Yunus’ Stärke ist Programmieren und Netzwerk-technik, mir liegt eher die Mechanik.

Silvan Wiedmer, Automatiker/Industrie 2.0

Doch nur Anwender digitaler Medien wie Smartphone, Whats-App, Instagram und Co. zu sein oder an der Zukunft mitzuentwickeln, sind zwei Paar Schuhe. In der Mechatronik Schule Winterthur (MSW) verschmelzen die Fähigkeiten von Automatikern, Elektronikern und Informatikern zu einem neuen Beruf: der Fachrichtung Industrie 4.0. Und die beiden jungen Winterthurer sind im Moment die schweizweit Besten: Sie haben bei den SwissSkills in dieser Fachrichtung 2020 gewonnen und bereiten sich nun in Winterthur vor auf ihren bisher grössten Wettkampf: die EuroSkills in Graz vom 23. bis 25. September (Anm. der Redaktion: Diese konnten sie gewinnen und sich damit für die WorldSkills 2022 in Stuttgart qualifizieren, die sie ebenfalls kürzlich gewonnen haben).

Silvan Wiedmer ist derzeit bei der Mechatronik Schule selber angestellt, wo er beschäftigt ist mit Programmieren, mechanischer Fertigung, mit CAD-Zeichnen oder Verdrahten. «In letzter Zeit arbeite ich häufig an einer IOS-App, welche es uns erlaubt, eine Maschine von überall auf der Welt zu steuern und zu überwachen», verrät er auf seinem SwissSkills-Profile.

Yunus Ruff arbeitet bei der Firma Kyburz in Freienstein ZH. Jeden Tag fährt er mit einem älteren Kyburz-Dreirad-Elektrotöff (das Arbeitsgerät der Pöstler) mit 2ndLife-Batterie zur Arbeit. Und auf Nachhaltigkeit legt er besonderen Wert – auch beruflich: Als Teil des Energiespeicher-Teams entwickelt er nicht nur diverse Produkte aus alten Fahrzeugen der Firma Kyburz. Neben der Entwicklung ist er auch Hauptoperator der firmeneigenen Batterie-Recycling-Anlage und programmiert und entwickelt weitere Energiespeicherprodukte, Apps fürs Smartphone, testet Produkte strategisch oder schreibt Anleitungen für sie und fertigt CAD-Zeichnungen an.

Meister im Vernetzen

Grundsätzlich bezeichnet der Begriff Industrie 4.0 die Digitalisierung der industriellen Produktion und Vernetzung derselben (zwischen Menschen, Maschinen, Produkten, Systemen und Unternehmen). Da gibt es aber auch die pädagogische Definition: «Im Moment ist die Industrie 4.0 eine Fachrichtung der Automation – also noch kein eigener Ausbildungsberuf. Von den Skills her ist es die Kombination zwischen Informatiker und Automatiker», sagt Ruff. Und weil eben auch Verständnis fürs Innenleben der Maschine nötig ist, die man vernetzen soll, erlernen die Auszubildenden im ersten und zweiten Lehrjahr die Grundlagen von Elektronik und Informatik. «Und bei der Automation wird anfänglich der Fokus nicht auf die Programmierung gelegt, sondern eher auf die Hardware», sagt Wiedmer. Erst im dritten und vierten Lehrjahr spezialisieren sich die Lernenden dann auf einzelne Themen innerhalb der Fachrichtung.

Automatisierung und Digitalisierung haben sehr stark die Durchlaufzeiten reduziert, aber auch Produkte und unsere Entscheidungen beeinflusst. Auch in der MSW, wo die Berufslehren Polymechanik, Elektronik und Automation gelehrt werden, sind Roboter alltäglich. So führt bei einem Rundgang Simon Geering aus dem vierten Lehrjahr vor, wie ein solcher Ausbildungsroboter mit «Zeichenarm» programmierbare Formen in die Sandbox zeichnet. «Was die Japaner im Garten jahrelang erlernen, können wir hier sofort perfekt hinzaubern», sagt Yunus Ruff. Ein Zen-Garten, dem Schein nach in alter Tradition von Natur und Einfachheit geprägt, ganz mit der Maschine gemustert? Maschinell optimierte Meditationsoasen? Werden die japanischen Gärtner nun arbeitslos und mit ihnen Heerscharen von Handwerkern? Yunus Ruff lacht und winkt ab. «Roboter für komplexe Arbeiten zu programmieren, wäre in den allermeisten Fällen zu teuer und die Maschinen zu unzuverlässig.» Denn gerade im Detail steckt der Teufel: Software und Sensorik sind kostspielig und anfällig – fehlerhafte Inputs in der Produktionsstrasse können zu teuren Verzögerungen oder gar Verletzungen führen. In Ruffs Worten: «Bei einer Maschine geht es oft um Leben und Tod.» Früh müssen sich daher die jungen Automatiker mit Fachrichtung Industrie 4.0 mit zentralen Fragen befassen wie: Was ist wirklich wichtig und lässt sich nachhaltig und erschwinglich automatisieren?

Ein Bot für Gipfeli und Skizzen

Dass die Mensch-Maschine-Interaktion hier schon zum täglichen Brot gehört, illustriert ein weiteres praxisnahes Beispiel: Die «Gipfeli- Maschine», ein Roboter, der die Teigröllchen selber aufbacken und zubereiten kann. Man spürt: Der industrielle Charme, den die riesige Halle auch ohne die vielen Maschinen und Greifarme ausstrahlt, trifft hier auf eine gesunde Mischung Verspieltheit, Erfindergeist und technisches Flair. An einer anderen Arbeitsstation zeichnet ein älterer Roboterarm millimetergenau auf einem Blatt Papier ein Haus mit Dach blitzschnell nach.

Die Zukunft indes gehört den lernfähigen Robotern. Diese findet man bereits in Elektrofahrzeugen oder in der Medizinaltechnik. Indem Roboter autonomer und kognitiver werden, erleichtern sie für uns die Arbeit und machen sie intuitiver. Damit entfällt aber die Fachperson vor Ort: Wenn der Bohrer am Förderband nur noch eines statt zwei Löcher bohren soll, ist das an einem zentralen Steuercomputer innert Sekunden programmiert. Anpassungen am Produkt geschehen auf Kundenwunsch und mit sehr geringem Time to Market. Und zunehmend wird in der intelligenten Fertigung (Smart Manufacturing) die Produktionsleistung durch die permanente Datenanalyse verbessert.

Bei einer Maschine geht es oft um Leben und Tod.

Yunus Ruff, Automatiker/Industrie 4.0

Die Produktion von Geräten und Elektronik wird vermehrt nach Fernost verlagert. Das Selbstvertrauen der jungen Entwickler ist dennoch gross: «Der Arbeitsplatz Schweiz ist in Sachen Entwicklung den Chinesen noch voraus», sagt Yunus Ruff. Aber der Kreativität sind Grenzen gesetzt – auch marktbedingt: Eine Hürde für Entwickler ist derzeit der Chip-Handel. Die mit seltenen Metallen versehenen Halbleiter weisen in Zeiten von Just-in-Time-Production grosse Lieferverzögerungen auf.

Freiwillige Grenzen setzen sich die beiden jungen Automatiker bei ihrer Vorbereitung auf die Euro-Skills in Graz: Fürs Training haben sie eine CP Lab (CP steht für Cyber Physical) zur Verfügung, um die sie mit Klebeband ein wettkampfgetreues Feld abgesteckt haben. Die Applikationen lassen sich modulartig ergänzen, und die Stationen können aneinandergereiht werden zu einer ganzen Produktionslinie. An den EuroSkills müssen aber alle mit derselben Station Spezialaufgaben lösen. «Die Zeit ist knapp an den EuroSkills. Je nach unseren Stärken teilen wir die Aufgaben untereinander auf», sagt Silvan Wiedmer. Ihm liege die Mechanik, Yunus Ruff sei eher der Mann fürs Programmieren und die Netzwerktechnik.

Mark Gasser

Chefredaktor
Zürcher Wirtschaft

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