«Franken, die verloren gehen, weil man im Stau steht»

Für viele Autofahrer ist es ein Ärgernis, für Gewerbler geht es ums «Eingemachte» – die Rede ist vom Stau am Bellevue. Der von der Stadt Zürich geplante Spurabbau an der Bellerivestrasse würde vor allem auch das Gewerbe hart treffen.

Bild Mark Gasser

Eine der zwei Spuren im Seefeld soll dem nicht motorisierten Verkehr weichen.

Schon heute sind die beiden Spuren der Bellerivestrasse zu Stosszeiten verstopft und man steht locker eine halbe Stunde im Stau. Die Folgen für Gewerbler, etwa für Handwerker, sind massiv: «Die Kunden sind genervt, wir können unsere Aufträge nicht in der geplanten Zeit ausführen und haben dadurch finanzielle Einbussen. Es sind Franken, die verloren gehen, weil man im Stau steht!», sagt ein Malermeister, der namentlich nicht erwähnt werden möchte. Der geplante Spurabbau der Bellerivestrasse wird die Situation deutlich verschärfen, das scheint sicher. Auch wenn die Verantwortlichen der Stadt Zürich sagen, dass, laut Simulationen, lediglich mit einer Verzögerung von 1 bis 2 Minuten gerechnet werden muss.
Doch, worum geht es genau? Die Stadt Zürich plant von August 2023 bis April 2024 einen Verkehrsversuch, bei dem temporär zwei von vier Spuren abgebaut werden sollen. Mit dem Versuch will die Stadt Erkenntnisse für eine langfristige bauliche Umgestaltung der Bellerivestrasse gewinnen. Dabei ist die Idee nicht neu: 2021 wollte der damalige Zürcher Stadtrat Richard Wolff bereits den Verkehrsversuch starten, stolperte allerdings über seine eigenen, falschen Behauptungen. Damals sagte er, dass ein Spurabbau zu keinerlei Verkehrsproblemen führen würde und es dazu sogar Studien gäbe. Wie sich dann aber herausstellte, sagten die Studien das Gegenteil aus: Einen Spurabbau ohne Stau und Schleichverkehr gibt es nicht. Wolff krebste zurück und übergab sein Dossier an Stadtratskollegin Karin Rykart (Sicherheitsdepartement), die sich nun für den zweiten Versuch verantwortlich zeichnet. «Dass es dazu überhaupt Studien braucht, ist ein Witz. Die Leidtragenden sind letztlich nicht nur die Autofahrer, sondern auch die Quartierbewohner und das Gewerbe. Wer bezahlt den Mehr-aufwand von Handwerkern, die mehrere Stunden im Stau stehen?», fragt SVP-Präsident, Kantonsrat und Landwirt Domenik Ledergerber. Er ist denn auch überzeugt, dass der Verkehrsversuch politisch motiviert ist. «Die Stadt und der Gemeinderat von Zürich zeichnen sich seit Jahren durch eine autofeindliche Haltung aus.»

Sanierung der Bellerivestrasse


Schon bei Wolff wurde damals die Vermutung laut, dass es weniger um einen Versuch im Hinblick auf eine Sanierung der Bellerivestrasse ging, sondern vielmehr eine langfristige Kapazitätsreduktion für den Autoverkehr angestrebt wurde. Somit ist zu erwarten, dass der Stadtrat die Spur definitiv abbauen will, und zwar zugunsten eines Veloweges.
Weshalb möchte also die Stadt Zürich, trotz Studien und absehbaren Konsequenzen, den Verkehrsversuch durchführen? Und das, ganze neun Monate lang? Fakt ist: Die Bellerivestrasse ist baulich in einem schlechten Zustand, sowohl der Strassenbelag wie auch die Abwasserkanalisation und die Werkleitungen müssen ab 2030 saniert werden. Zugleich entspricht die Strasse nicht den geltenden Normen, die Fahrspuren sind heute zu schmal. Allerdings stellt sich da auch die Frage, weshalb der Versuch ganze neun Monate dauern muss. «Wenn es schon ein solcher Versuch sein muss, dann reicht ein Monat aus, um die Folgen abzuschätzen», ist Ledergerber überzeugt. Für ihn unverständlich ist auch, weshalb die Versuchszeit nicht für Sanierungsarbeiten genutzt werden soll.

«Dass es dazu überhaupt Studien braucht, ist ein Witz. Die Leidtragenden sind letztlich nicht nur die Autofahrer, sondern auch die Quartierbewohner und das Gewerbe.»
Domenik Ledergerber

Präsident SVP Kanton Zürich, Kantonsrat und Landwirt

Vortritt fürs Gewerbe?

Für Thomas Forrer, Kantonsrat der Grünen, steht fest, dass man dem Versuch eine Chance geben muss: «Wir müssen herausfinden, ob das wirklich etwas bringt oder nicht. Wir haben heute eine unbefriedigende Situation für alle Verkehrsteilnehmenden.» Sein Vorschlag: man sollte dem Gewerbe den Vortritt auf der Bellerivestrasse lassen und den Individualverkehr einschränken. Umsetzbar wäre eine solche «Triage» wohl kaum, auch wenn der Gedanke Sinn macht. Denn, die Verkehrssituation in der Stadt Zürich ist für Gewerbler heute schon prekär. Dazu Thomas Hess, Geschäftsleiter des KGV: «Gewerblern wird das Leben in der Stadt Zürich schon schwer genug gemacht, etwa indem laufend Park- und Umschlagplätze abgebaut werden. Für KMU bedeutet das konkret, dass Umsatz verloren geht.» Eine Umfrage unter verschiedenen Unternehmen im Seefeld zeigt denn auch, dass viel Unsicherheit besteht. «Der geplante Spurabbau wäre für uns sehr schwierig und wir müssten für Lieferungen mehr Zeit einrechnen. Das wiederum hätte höhere Kosten zur Folge», sagt Line Schniepp, Geschäftsführerin der BACKbAR. Zudem befürchtet sie, dass es sich die Kundschaft zweimal überlegen wird, ob sich der Weg über die Bellerivestrasse lohnt. Das Seefeld als florierendes Quartier, als Standort für Gewerbe, Gastronomie und Detailhändler werde laut Susanne Brunner, Präsidentin Gewerbeverein Seefeld, zunehmend in Frage gestellt. «Wenn das Seefeldquartier mit dem Auto nicht mehr erreichbar ist, werden wir Kundschaft und Umsatz verlieren. Dieser Versuch wird einen dauerhaften Schaden anrichten am Gewerbe im Seefeld», so Brunner. Die Hoffnung ist deshalb, dass mit der Petition «Gegen künstliche Staus auf der Bellerivestrasse» der geplante Spurabbau doch noch abgewendet werden kann.

Hoffnung auf Kapo-Entscheid

Die Forderung von SVP bis Mitte: «Nein zu unsinnigen Verkehrsversuchen und künstlichen Staus.» Dazu Ledergerber: «Wir sind der Meinung, dass es unbedingt politischen Druck braucht, um der Stadt Zürich zu signalisieren, dass dieser Versuch nicht goutiert wird.» Dass die Petition beim Stadtrat auf wenig Gehör stossen wird, ist anzunehmen. Ein Hoffnungsschimmer bleibt da der Entscheid der Kantonspolizei, die den Versuch verbieten könnte. Dann nämlich, wenn er bei den Kapazitäten auf der Bellerivestrasse eine offensichtliche Einschränkung zur Folge hätte, die sich auch aufs übergeordnete Strassennetz auswirken würde

«Dieser Versuch wird einen dauerhaften Schaden
anrichten am Gewerbe.»

Susanne Brunner
Präsidentin Gewerbeverein Seefeld

Podium zum geplanten Spurabbau

Am 15. November 2022 fand in Meilen ein Podium über den geplanten Spurabbau statt. Mit dabei waren Regierungsrätin Carmen Walker-Späh, Pia Guggenbühl (FDP), Thomas Forrer (Grüne), Domenik Ledergerber (SVP), Thomas Hess (Geschäftsleiter KGV) und Daniel Fritsche (Moderator NZZ)
Die Erkenntnisse des Abends:
Die Befürchtung ist gross, dass der Spurabbau dauerhaft beschlossen wird und damit noch mehr Stau und Schleichverkehr zur Folge hat. Bereits heute ist das rechte Zürichseeufer verkehrstechnisch benachteiligt, während die Bevölkerung weiterwächst. Visionen für die Zukunft werden derzeit im Regionalen Gesamtkonzept Pfannenstil (rGVK) erarbeitet. Der Fokus liegt hierbei auf den Mobilitätsbedürfnissen und der Siedlungsentwicklung am rechten Seeufer. Die laut Richtplan vorgesehenen See- und Stadttunnels könnten zur Entspannung der Verkehrssituation beitragen. Mit einem Ausbau der Velowege könnten Velofahrer zum Beispiel Strecken entlang See, Dufour- oder Seefeldstrasse nutzen. Last but not least dürfen die verschiedenen Verkehrsträger nicht gegeneinander ausgespielt werden, vielmehr braucht es ein Miteinander und Technologieoffenheit. Ebenso darf es beim Gleisausbau am Bahnhof Stadelhofen nicht zu Verzögerungen kommen.

Anna Birkenmeier

Redaktion Zürcher Wirtschaft

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