Es lebe der (Rad-)Sport

Bild Mark Gasser

Kaum Zuschauer: Für den vermeintlichen Mega-Event Rad-Weltmeisterschaft wird die Stadt rund ums Bellevue und umliegende Quartiere neun Tage lang gesperrt.

Es gibt wohl kaum etwas, was Zürich dringender braucht, als eine neun Tage dauernde Rad-Weltmeisterschaft. Ist ja sonst nie was los hier! Für neun Tage voller sportlicher Höchstleistungen, sediert man gerne die Stadtbevölkerung und Pendler. Es ist ja nicht so, dass wir in Zürich etwas Wichtigeres zu tun hätten – wie arbeiten zum Beispiel. Vor allem die kleinen und mittleren Unternehmen, liebevoll KMU genannt, die ja sonst nichts zu tun haben ausser, nun ja, die Wirtschaft am Laufen zu halten.

Man stelle sich das mal vor: Ein Bäcker im Zürcher Seefeld, der seine Brote bäckt, während draussen die Rad-Profis an seiner Bäckerei vorbeirauschen. Sein Laden ist vielleicht für neun Tage praktisch unzugänglich, aber hey, wer braucht schon Kunden? Die könnten ja theoretisch zu Fuss oder mit dem Rad kommen. Vielleicht sogar im Windschatten des Pelotons!

Aber so ein Lockdown ist natürlich nicht wirklich tragisch. Die KMU, diese unermüdlichen Arbeitstiere, die immer so tun, als sei Umsatz wichtig, sollten einfach eine kurze Verschnaufpause einlegen. Neun Tage Ruhe von der täglichen Mühe – das klingt doch fast wie zusätzliche Betriebsferien! Nur dass die Miete weiterläuft. Und die Steuern. Und die Rechnungen. Aber pfft, Details, oder?

Der Rest der Stadt darf sich derweil auf eine ganz besondere Entschleunigung freuen. Wer braucht schon funktionierende Strassen, geöffnete Läden oder – Gott bewahre – pünktliche Taxis, die einen zum Hausarzt bringt? Neun Tage lang wird Zürich in einen gigantischen Outdoor-Fitnesspark verwandelt, und alle sind eingeladen, mitzuspielen. Das bedeutet: Endlich mal die Zeit finden für einen gemütlichen Spaziergang zur Arbeit, der sonst 15 Minuten mit dem Auto gedauert hätte, nun aber drei Stunden. Natürlich nur, wenn man es schafft, die endlosen Absperrungen zu überwinden, die die Stadt in eine gigantische Mittelalterfestung verwandeln.

Für die wenigen tapferen Autofahrer, die sich in den Strassenverkehr wagen, gibt es immerhin das kostenlose Spektakel der Rad-WM. Sie können bequem von ihrem Fahrzeug aus beobachten, wie durchtrainierte Sportler vorbei sausen. Und das spart Sprit! Ein echter Beitrag zum persönlichen Geldsparen und vor allem zum Klimaschutz, den man leicht übersehen könnte.

Am Ende wird Zürich stolz auf diese Veranstaltung sein. Was sind schon neun Tage ohne Einnahmen, wenn man stattdessen die Weltklasse des Radsports vor der Tür hat? Schliesslich wird Umsatz in der Wirtschaft gemäss Kinderbuchautor und deutschem Wirtschaftsminister Robert Habeck völlig überschätzt, erst recht, wenn man sich auf solcherlei sportliche Glanzleistungen konzentrieren kann. Also, liebe Patrons und Geschäftsinhaber, lehnt euch zurück und geniesst das Rennen. Haltet es wie Rainhard Fendrich: «Es lebe der Sport. Er ist gesund und macht uns hort.»

Wadenbeisser

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