Energiezukunft gemeinsam anpacken

Um die energie- und klimapolitischen Ziele des Bundes zu erreichen, muss sich die Gebäudebranche neu aufstellen. Der Massnahmenkatalog der Bildungsoffensive ist ein wichtiger Teil dafür.

Bild Suissetec

Die Nachfrage nach Solaranlagen ist sprunghaft gestiegen.

Für Aussenstehende hört es sich fast wie eine Posse an: Da formuliert man das ehrgeizige und hehre Ziel, dass die Schweiz bis 2050 klimaneutral sein müsse und stellt dann erschreckt fest, dass dazu allein in der Gebäudebranche ein paar tausend Fachleute fehlen, um es umzusetzen. Umso gravierender im Wissen, dass in der Schweiz der Gebäudepark rund 45 Prozent des Energiebedarfs verbraucht – das ist rund ein Drittel des inländischen CO2-Ausstosses. Um diesen abzubauen, müssten hunderttausende fossile Heizungen durch erneuerbare Heizsysteme ersetzt und unzählige Gebäude energetisch saniert werden.

Im Kanton Zürich ist zudem seit 1. September dieses Jahres das geänderte Energiegesetz in Kraft. Öl- und Gasheizungen können seither nicht mehr durch solche ersetzt werden, und auf neuen Häusern sind Solarpanels Pflicht. Das hat einen regelrechten Run auf Wärmepumpen ausgelöst – wer sich eine solche einbauen lassen will, landet allerdings auf einer schier endlosen Warteliste (siehe S. 6–7). Ebenso, wer einen Lieferanten für Solarpanels sucht.

Die Zukunftsthemen verpasst?

Es scheint, dass viele Unternehmen in der Gebäudebranche so im Tagesgeschäft involviert sind, dass sie die Zukunftsthemen verpasst und sich noch gar nicht auf die Gegebenheiten des Marktes und die Forderungen der Politik eingestellt haben. Dabei wären sie doch die Hauptplayer für die Umsetzung. «Falsch», sagt Christian Brogli, Leiter Marketing und Kommunikation vom Schweizerisch-Liechtensteinischen Gebäudetechnikverband Suissetec. «Das Gegenteil ist der Fall: Wir, die Gebäudetechniker, sind tatsächlich ein Hauptplayer bei der Transformation des Gebäudeparks. Und wir sind bereit für die Umsetzung!» Viele Hauseigentümer/-innen sowie die Politik hätten zu lange Zeit auf die vermeintlich günstigen fossilen Energien gesetzt und damit den Durchbruch der erneuerbaren Energien verhindert. Insbesondere die Politik habe es immer wieder verpasst, verlässliche Rahmenbedingungen für das Gewerbe zu schaffen. Diese Situation habe sich nun im Zuge der Klimakrise und des russischen Angriffskrieges fundamental verändert.

Offensive mit 32 Massnahmen

Die Nachfrage nach erneuerbaren Heizungen sowie nach Solaranlagen ist deshalb innert weniger Wochen sprunghaft und exponenziell gestiegen. Das stellt die Branche vor Herausforderungen. Grund dafür sind die Verzögerungen in den Lieferketten und eben auch, weil viele Fachkräfte für die Umsetzung fehlen. Abhilfe soll nun unter anderem die Bildungsoffensive schaffen. EnergieSchweiz hat gemeinsam mit Vertreterinnen und Vertretern aus der Gebäude- und Bildungsbranche mögliche zielführende Massnahmen identifiziert und priorisiert. Aus dieser umfassenden Auslegeordnung wurden Handlungsfelder und Schwerpunkte für die Bildungsoffensive abgeleitet – insgesamt sind es 32 Massnahmen.

Bedürfnisse der Wirtschaft

Im Fokus steht dabei, dass die Inhalte der Berufe in der Gebäudebranche schneller den aktuellen und sich abzeichnenden künftigen Bedürfnissen der Wirtschaft angepasst werden müssen. Damit soll unter anderem verhindert werden, dass viele Lernende die berufliche Grundausbildung abbrechen und die Branche wechseln. Zudem entscheiden sich zu wenig Auszubildende für die Berufsmaturität, die eine wichtige Voraussetzung für künftige qualifizierte Fachkräfte wäre. Und nicht zuletzt sollen Quereinsteiger beruflich besser gefördert werden.

Demografie ist nur ein Faktor

Aber ist der Fachkräftemangel nicht auch darauf zurückzuführen, dass es schlichtweg zu wenig junge Leute auf dem Markt gibt, als erste Auswirkung der Überalterung der Gesellschaft? «Die Demografie ist sicher ein Faktor, aber nicht der alleinige», sagt Christian Brogli. «Es muss unter anderem auch gelingen, die Abbruch- und Durchfallquoten der Lernenden während Lehre bzw. bei den Abschlussprüfungen zu senken. Das wäre eine wichtige Massnahme, den Fachkräftebedarf besser zu decken.»

«Wir müssen aufzeigen, wie sinnstiftend die Berufe sind.»

Christian Brogli, Leiter Marketing/Kommunikation Suissetec

Die Fachkräfte wandern in der Gebäudebranche vorwiegend im Alter ab 30 ab. Mit ihren Qualifikationen und Kenntnissen sind sie begehrte Leute, etwa bei den Lieferanten der Branche. Dort werden sie bevorzugt im Innendienst oder im Verkauf eingesetzt. Sie haben damit die Chance, von der Baustelle ins Büro zu wechseln; hier werden auch familienfreundlichere Arbeitszeitmodelle angeboten, die in der Baubranche noch nicht Fuss gefasst haben.

Attraktivität steigern

Doch wie attraktiv sind für SchulabgängerInnen Berufe wie Heizungsinstallateur, Dachdecker oder auch die neu geplanten Ausbildungen im Solarbereich tatsächlich? Die Akademisierung der Gesellschaft zeigt klar, dass für junge Menschen das Handwerk und der Arbeitsalltag auf der Baustelle nicht mehr besonders begehrenswert sind. So ist denn auch die Steigerung der Attraktivität und die Verbesserung des Images ein wichtiges Handlungsfeld der Bildungsoffensive.

«Wir müssen aufzeigen, wie sinnstiftend die Berufe sind», sagt Christian Brogli. Schliesslich kümmere man sich um die wichtigen «Lebensmittel» saubere Luft und frisches Wasser, für Komfort und Behaglichkeit und ein sicheres Dach über dem Kopf. «Unsere Branche ist systemrelevant und im Grunde sogar wichtiger als die Krankenkasse und der Arzt, denn wir sorgen präventiv für Gesundheit und Wohlbefinden. Unsere Jobs haben Zukunft!»

Gerold Brütsch-Prévôt

Redaktioneller Mitarbeiter Zürcher Wirtschaft

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