Endlager: Gewerbe zeigt sich pragmatisch

Wirtschaftsvertreter sind sich einig: Der vorläufige Standortentscheid dürfte aufs Gewerbe und Image der Region keinen unmittelbaren negativen Einfluss haben.

Bild Nagra

Einer von mehreren Nagra-Bohrplätzen in der Standortregion Nördlich Lägern, hier in der Nähe von Bülach.

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Die Nationale Genossenschaft für die Lagerung radioaktiver Abfälle (Nagra) beabsichtigt, ein Rahmenbewilligungsgesuch für ein Kombilager für schwach- und mittelradioaktive sowie hochradioaktive Abfälle in der Standortregion Nördlich Lägern auszuarbeiten. Doch während sich die Medien überrascht zeigten, scheint die betroffene Region nicht geschockt zu sein vom Entscheid.

Noch im Januar 2015 hatte die Nagra nur zwei Standortgebiete, Jura Ost und Zürich Nordost (Zürcher Weinland), zur weiteren Untersuchung vorgeschlagen. Ebenfalls im Januar 2015 gab der Kanton Zürich bekannt, dass er diese Einengung auf nur zwei Standortgebiete für verfrüht halte. Kantonale Experten, im «Ausschuss der Kantone» vereint, forderten in einem Fachbericht 2016, in Etappe 3 zusätzlich das Standortgebiet Nördlich Lägern erdwissenschaftlich genauer zu untersuchen. Im April 2017 kam das Eidgenössische Nuklearsicherheitsinspektorat ENSI in seinem Gutachten zu Etappe 2 ebenso zum Schluss, dass die Nagra die Zurückstellung des Standortgebiets Nördlich Lägern ungenügend begründet habe und auch dieses Gebiet weiter untersucht werden sollte.

Kaum Imageverlust erwartet

Obwohl es vom vorgesehenen Oberflächenstandort in Stadel nur einige Kilometer bis zum Zentrum Bülachs sind, erachtet das lokale Gewerbe den Entscheid nicht als bedrohlich oder negativ fürs Geschäft. «Zum einen ist der Zeithorizont bis zum Bau des Endlagers sehr weit gefasst. So leite ich davon ab, dass wir keine unmittelbaren Probleme haben werden. Wir haben zum anderen Standortvorzüge, welche mehr wiegen fürs Image als der Bau des Endlagers in vielen Jahren. Die Standortattraktivität dürfte somit darunter nicht leiden», sagte etwa der Bülacher Messerschmied und KGV-Präsident Werner Scherrer gegenüber Radio SRF im Regionaljournal.

Auch Urs Remund, Präsident des Bezirksgewerbeverbands Bülach, kann den Entscheid für die Region nachvollziehen. «Irgendwo muss der radioaktive Abfall ja hin. Und der Zeithorizont ist für die Bevölkerung wohl sehr abstrakt», sagt Remund. An der Präsidentenkonferenz der Gewerbevereine im Bezirk in Höri sei das Endlager folglich kein Thema gewesen. «Ich denke, die Unterländer sind da pragmatisch.» Er erinnert ans Zwischenlager in Würenlingen (Zwilag): Dieses ist bald 40-jährig. Dennoch habe die Region in den letzten 30 Jahren einen Bauboom erlebt, inklusive Ansiedlung des Paul-Scherrer-Instituts. Auch die Wiederaufnahme des Gebiets in die nähere Überprüfung ab 2015, als zunächst zwei andere Standortgebiete vorgeschlagen wurden, habe keine Ressentiments geweckt. «Klar gibt es Gruppierungen, die Polemik machen. Aber auch die Behörden betroffener Anstössergemeinden stellen sich auf den Standpunkt, dass aufgrund wissenschaftlicher Erkenntnisse der beste Standort ausgewählt wird», so Remund.

Einen Imageverlust für die Produkte aus der Region ums geplante Tiefenlager befürchtet Urs Remund nicht. Ein Firmenexodus sei also kaum zu erwarten (siehe Kasten rechts). Was ihn aber stört, ist der Stillstand bei der Technologie zur Weiterverwendung von Brennstäben. «De facto herrscht in der Schweiz und im deutschsprachigen Raum ein Denkverbot für die Technologieentwicklung bezüglich Atomkraft», so Remund. «Für den Fall eines Durchbruchs bei der Nukleartechnologie sind wir dann froh, wenn der Atommüll allenfalls wieder herausgeholt werden kann.» Die Rückholbarkeit bleibe trotz Versiegelung der Behälter gewährleistet, auch nachdem die Zugänge zu den Stollen definitiv verschlossen werden.

Volk hat wohl das letzte Wort

Wie geht es nun weiter? Das von der Nagra angekündigte Rahmenbewilligungsgesuch wird voraussichtlich Ende 2024 eingereicht. Die dritte und letzte Etappe soll im Jahr 2029 mit dem Bundesratsentscheid zur Standortwahl abgeschlossen werden. Nach der Genehmigung des Parlaments und dem fakultativen Referendum trägt die Bevölkerung wohl in rund 7 Jahren den letzten Entscheid über den Standort.

«Die Suche nach einem Standort für ein Endlager unserer radioaktiven Abfälle erfolgt nach dem Prinzip der höchstmöglichen Sicherheit. Die Tatsache, dass Nördlich Lägern nun als bevorzugter Standort eines Tiefenlagers in Frage kommt, müssen wir wohl oder übel zur Kenntnis nehmen.», meint Hanspeter Lienhart, Präsident der Regionalkonferenz Nördlich Lägern – das regionale Sprachrohr, das zur lokalen Meinungsbildung beiträgt und sich mit Fragen zur Oberflächenanlage, dem Planungsperimeter sowie den sozioökonomischen Auswirkungen auseinandersetzte. Das Sicherheitsrisiko für die Region werde minimiert durch den Vorschlag der Nagra, die Verpackungsanlage für radioaktive Abfälle, also die «heisse Zelle», beim Zwilag in Würenlingen und nicht beim Endlager selber zu erstellen.

Mark Gasser

Chefredaktor
Zürcher Wirtschaft

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