Einschränkung der Kündigungsfreiheit

Sind Arbeitnehmer wegen Krankheiten oder Unfällen an der Arbeit verhindert, so verursacht dies nicht nur körperliches Ungemach, sondern löst auch eine Kündigungssperrfrist aus und stellt den Arbeitgeber oft vor anspruchsvolle Herausforderungen, wenn es um die Auflösung des Arbeitsverhältnisses geht.

Rolf Ringger

ist Partner bei der Anwaltskanzlei BEELEGAL und publiziert Ratgeberbeiträge in der «Zürcher Wirtschaft».

Sperrfristen stehen der Kündigung eines Arbeitsverhältnisses als zeitliche Schranke entgegen. Eine durch den Arbeitgeber während einer laufenden Sperrfrist ausgesprochene Kündigung ist nichtig und entfaltet keinerlei Wirkung. Erfolgt die Kündigung hingegen noch vor dem Beginn einer Sperrfrist, wird die Kündigungsfrist während der Sperrfrist unterbrochen. Da es sich um zwingendes Recht handelt, können die Sperrfristen weder vertraglich verkürzt, noch können sie weggebunden werden. Zu beachten sind sie nur vom Arbeitgeber, nicht hingegen bei einer Kündigung durch den Arbeitnehmer.

Das Obligationenrecht sieht in Art. 336c für verschiedene Sachverhalte solche Kündigungssperrfristen vor, so bei Militärdienst und anderen Arten von Dienstleistungen, bei unverschuldeter Arbeitsverhinderung infolge einer Krankheit oder eines Unfalls sowie während einer Schwangerschaft und 16 Wochen nach der Geburt des Kindes.

Für jeden auslösenden Sachverhalt beginnt grundsätzlich eine neue, eigenständige Sperrfrist zu laufen, selbst wenn diese in eine bereits laufende Sperrfrist fällt. Folglich beginnt auch mit jeder auf unterschiedlicher Ursache beruhenden krankheits- oder unfallbedingten Arbeitsverhinderung eine neue, je nach Dienstjahr jedoch zeitlich begrenzte Sperrfrist, so von 30 Tagen im ersten, von 90 Tagen ab dem zweiten und von 180 Tagen ab dem sechsten Dienstjahr. Diese hält so lange an, wie die Arbeitsverhinderung andauert oder bis zum Ablauf der vorgenannten Anzahl Tage. Danach kann dem Arbeitnehmer gekündigt werden.

So einfach die Mechanik der Sperrfristen auf den ersten Blick erscheint, so kompliziert kann sie jedoch im Einzelfall sein, wie der nachfolgende Fall zeigt.

Der Sachverhalt

Der seit Anfang Oktober 2010 beim Arbeitgeber angestellte Arbeitnehmer war – überwiegend infolge einer Herzkrankheit – ab dem 11. Juni 2013 vollkommen arbeitsunfähig. Eine weitere Arbeitsunfähigkeit folgte aufgrund eines Nierentumors, der am 16. Januar 2014 operativ entfernt werden musste.

Die mit der Operation zusammenhängende Arbeitsunfähigkeit dauerte vom 16. Januar bis 5. Mai 2014 an. Da sich der psychische Zustand des Arbeitnehmers verschlechterte, wurde er in eine psychiatrische Klinik eingewiesen und war daher vom 6. Mai 2014 bis 31. Oktober 2014 erneut zu 100% arbeitsunfähig.

Der Arbeitgeber kündigte dem im vierten Dienstjahr stehenden Arbeitnehmer am 26. Juni 2014 auf den 31. August 2014. Aufgrund der im Mai 2014 als Folge der Klinikeinweisung wiederum eingetretenen Arbeitsunfähigkeit erachtete der Arbeitnehmer die Kündigung als nichtig, da er der Ansicht war, diese beruhe auf anderen Ursachen als die vorhergehenden Arbeitsunfähigkeiten. Der Arbeitgeber bestritt diese Ansicht und zog den Fall bis vor Bundesgericht, das entscheiden musste, ob tatsächlich eine neue Sperrfrist ausgelöst worden war.

Der Entscheid

Das Bundesgericht überprüfte die Ursachen der unterschiedlichen Krankheiten, welche zu den Arbeitsunfähigkeiten des Arbeitnehmers geführt hatten und in welchem Verhältnis sie zueinander standen. Es kam zum Schluss, dass sich lange und schlimme Erkrankungen nach der allgemeinen Lebenserfahrung belastend auf das soziale Umfeld des Betroffenen auswirken können und dass die Furcht, die Arbeitsstelle zu verlieren und in finanzielle Not zu geraten, zu psychischen Erkrankungen führen könne.

Gemäss dem Arztzeugnis litt der Arbeitnehmer bereits seit Juni 2013 hintergründig an psychischen Problemen, welche sich mit den Arbeitsunfähigkeiten infolge somatischer Krankheiten überschnitten. Der Arzt, welcher den Arbeitnehmer bis zu seinem Klinikeintritt betreute und deshalb seine Situation entsprechend gut kannte, stellte fest, dass sich die psychische Verfassung des Arbeitnehmers verschlechtert hatte, was schliesslich zur Einweisung in die psychiatrische Klinik führte. Seiner Ansicht nach führten mehrere Gründe zur Arbeitsunfähigkeit.

Die Verschlechterung der psychischen Verfassung wurde nicht nur durch die familiären Schwierigkeiten verursacht, sondern war auch auf die medizinische Situation des Arbeitnehmers zurückzuführen, der von einer Herzkrankheit mit Spitalaufenthalt und Rehabilitation und danach von einem Nierentumor betroffen war.

Nach Auffassung des Bundesgerichts waren die Anpassungsstörungen, die zur Einweisung in die psychiatrische Klinik führten und eine Arbeitsunfähigkeit zur Folge hatten, auf soziale Stressfaktoren und die körperlichen Gesundheitsprobleme des Arbeitnehmers zurückzuführen. Es gab keine Hinweise darauf, dass die physischen und psychischen Erkrankungen nicht miteinander verbunden gewesen wären, um eine Arbeitsunfähigkeit, die eine neue Sperrfrist zur Folge gehabt hätte, anzunehmen. Folglich war die am 26. Juni 2014, nach Ablauf der anwendbaren 90-tägigen Sperrfrist ausgesprochene Kündigung gültig und der Arbeitnehmer hatte nach En-de August 2014 keinen weiteren Lohnanspruch mehr.

Fazit

Der Entscheid zeigt exemplarisch, dass eine Folgeerscheinung oder ein Rückfall der ersten gesundheitlichen Beeinträchtigung keine neue Sperrfrist auslöst – sei es bei einer Lungenentzündung, die sich aus einer Erkältung entwickelt, oder bei psychischen Problemen, die auf Spitalaufenthalten und Rehabilitationen folgen. Jedoch kann bei einem Rückfall eine noch nicht abgelaufene Sperrfrist der ersten gesundheitlichen Beeinträchtigung in Anspruch genommen werden.

Demgegenüber werden Sperrfirsten dann kumuliert, wenn der Arbeitnehmer nach einer ersten Erkrankung eine weitere, von der ersten Krankheit unabhängige gesundheitliche Beeinträchtigung erleidet. So lösten in dem vom Bundesgericht beurteilten Fall die Arbeitsunfähigkeiten des Arbeitnehmers, die mit seiner Herzkrankheit und seinem Nierentumor in Zusammenhang standen, jeweils neue Sperrfristen aus.

Krankheiten, die in grösseren Abständen auftreten, lösen ebenfalls selbstständige Sperrfristen aus, so bei einer schubweise verlaufenden Multiple Sklerose, bei Depressionen oder Angstzuständen.

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