«Einige Branchen zögern noch»

«Die Berufsbildung ist mit Abstand die grösste Zubringerin an gut qualifizierten Arbeitskräften», sagt Bildungsdirektorin Silvia Steiner. Die Lehrstellenförderung ist ein Mittel, um dem Fachkräftemangel zu begegnen.

Bildungsdirektorin Silvia Steiner (Die Mitte)

Esther Schaffner


Frau Steiner, warum ist Ihnen die Förderung der Lehrstellen so wichtig. Letztes Jahr blieben zahlreiche unbesetzt?

Silvia Steiner: Die Zürcher Bevölkerung wächst seit Jahren und damit auch die Zahl der Schülerinnen und Schüler in der Volksschule. Daraus können wir schliessen, dass die Zahl der Lernenden bis 2035 um rund einen Viertel zunehmen wird. Rund 42 000 junge Menschen machen aktuell im Kanton Zürich eine Lehre. In fünf Jahren werden jedes Jahr nochmals etwa 1000 Lernende dazu kommen. Darauf müssen wir uns jetzt vorbereiten.


Wie wollen Sie erreichen, dass in Zürich so viele neue Lehrstellen entstehen?


Steiner: 2021 – mitten während der Coronapandemie – hat die Zürcher Regierung ein Massnah-menpaket beschlossen, um die Jugendlichen in der Berufsbildung zu stärken. Darin enthalten sind zusätzliche Mittel für die Lehrstellenförderung. Damit können wir unter anderem die Berufsbildungsforen stärken, die sich bereits heute in den Regionen für die duale Berufsbildung einsetzen. Klar ist: Genug Lehrstellen können wir nur gemeinsam mit unseren Verbundpartnern schaffen. Eine besondere Herausforderung ist es, Unternehmen der jüngeren Branchen wie beispielsweise der Tech-Branche als neue Lehrbetriebe zu gewinnen. Diese zögern zum Teil noch stark, da sie nicht auf eine lange Tradition in der Ausbildung junger Lernender zu-rückblicken können. Doch genau in diesen Branchen herrscht ein grosser Fachkräftemangel. Hier stehen auch wir in der Pflicht. Wir müssen diese Unternehmen noch besser beraten und unterstützen, wenn wir sie als Lehrbetriebe dazugewinnen wollen.


In Zürich werden neue Mittelschulen gebaut und bestehende vergrössert. Steuern wir auf eine Akademisierung zu?


Steiner: Nicht nur bei den Mittelschulen wird ausgebaut, auch bei den Berufsfachschulen entsteht viel neuer Schulraum. Zum Beispiel durfte ich letzten September den Grundstein für den Neubau der Baugewerblichen Berufsschule Zürich (BBZ) legen und den Ersatzneubau des Bildungszentrums Zürichsee (BZZ) einweihen.
Es täuscht also, wenn der Eindruck entsteht, dass der Anteil der Mittelschülerinnen und Mittelschüler im Kanton Zürich zunehmen würde. Dieser ist bei knapp 20 Prozent seit Jahren stabil. 80 Prozent der Jugendlichen besuchen nach der Volksschule eine Berufslehre. Die Berufsbildung ist und bleibt mit Abstand die grösste Zubringerin an gut qualifizierten jungen Arbeitskräften. Wir können sehr stolz sein auf dieses System. Denn gerade weil die duale Berufsbildung bei uns so stark ist, bleibt die Jugendarbeitslosigkeit selbst in Krisenjahren tief. Auch während der Coronapandemie hat sich gezeigt, wie standhaft unsere Berufsbildung ist.

Nach der Coronapandemie ist die Schweiz 2022 mit dem Ukrainekrieg beinahe nahtlos in die nächste Krise gerutscht. Was war die grösste Herausforderung für die Berufsbildung?


Steiner: Es hat mich tief berührt, wie gross die Solidarität mit den Geflüchteten im Kanton Zürich war. Ich durfte miterleben, wie alle mitanpacken und in allen Bereichen pragmatisch und unkompliziert nach Lösungen suchten. In der Berufsbildung ist uns zugutegekommen, dass wir bereits über viel Expertise im Bereich von Integrations- und Brückenangeboten verfügen. Seit mehreren Jahren bestehen im Kanton Zürich die Angebote START! Berufsbildung und Integrationsvorlehre (INVOL). Diese Programme bereiten geflüchtete oder spät zugewanderte junge Erwachsene auf die Anforderungen der Berufsbildung vor.
Eine der schönsten INVOL-Erfolgsgeschichten hat sich übrigens an den letztjährigen Schweizerischen Berufsmeisterschaften (Swiss Skills) ereignet. Ein junger Einwanderer aus Afghanistan hat nach der INVOL den nahtlosen Übertritt in eine reguläre Lehre als Boden-Parkettleger geschafft. Der junge Mann ist so talentiert, dass er letzten September an den Swiss Skills die Goldmedaille holte.

Welche Wünsche haben Sie für 2023?


Steiner: Ich wünsche den jungen Menschen im Kanton Zürich, dass sie neugierig und wissensdurstig bleiben. Ich wünsche den Zürcher Unternehmen, dass sie sich erfolgreich für die duale Berufsbildung einsetzen. Und uns allen wünsche ich, dass wir auch dieses Jahr die Kraft und den Mut haben, die richtigen Entscheidungen zu treffen.

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