Durch psychologische Tricks Retouren vermeiden
Die «Psychologie der Retoure»: Mit Machine-Learning-Methoden wurde im weltweit grössten Retouren-Experiment in acht Ländern untersucht, wie Retouren mittels gezielter, datengetriebener und kundenspezifischer Botschaften reduziert werden können. Auch ein Spinoff der HSG St. Gallen mit Sitz in Zürich spielte dabei eine zentrale Rolle. Erkenntnis: Gezielte psychologische Interventionen vermeiden Retouren und steigern den Nettoumsatz.
21. Januar 2025 Mark Gasser
Arbeiter im Warenlager eines Onlinehändlers beim Versenden von Paketen.
Philipp Spreer ist Geschäftsführer von elaboratum mit Sitz in München und Zürich und Studienleiter.
Retouren – also das Zurückschicken von online per Lieferdienst oder Post bestellten Produkten – sind nicht per se etwas Schlechtes und Teil des Serviceangebotes von Onlinehändlern. «Aber es gibt auch Retouren, die einfach keine Servicefunktion haben», so der Verhaltenswissenschaftler Philipp Spreer. Er nennt etwa die Auswahlbestellungen: Es werden zwei, drei identische T-Shirts in verschiedenen Grössen bestellt, aber nur eines davon wird zurückbehalten. «Das sind aus meiner Sicht schlechte, weil aus Händlersicht vermeidbare Retouren. Von Anfang an ist die Absicht gar nicht, alles zu behalten.» Als «gute Retoure» bezeichnet er dann andere Bestellungen unterschiedlicher Produkte, welche die Kunden im besten Fall alle zu behalten gedenken.
Andere Beispiele für schlechte Retouren: Gerade in der Weihnachtszeit wird relativ häufig Anlassmode bestellt, etwa ein Kleid für die Silvesterparty oder der notorischen «Ugly Christmas Sweater». Nach einmaligem Tragen wird der Artikel dann zurückgeschickt. «Das ist rechtlich zulässig, keineswegs aber ein gewünschter Prozess», so Spreer.
Wer retourniert am meisten?
Man weiss schon vieles über Retouren. So wird im E-Commerce beispielsweise schon lange der Anteil von Vielretournierern erfasst. Unter ihnen ist wiederum der Anteil der Frauen rund doppelt so gross wie bei den Männern: 24 Prozent der Frauen gelten als Vielretournierer, nur 12 Prozent der Männer. Und: Junge Menschen von 18 bis 29 retournieren deutlich mehr als ältere.
Häufigste Retourengründe sind Grössen- und Passformprobleme (die bis zu 75 Prozent ausmachen). «Diese Kategorie ist Fluch und Segen zugleich: Aus Händlersicht besteht zwar eine Retourengarantie, das Gute daran ist aber auch, dass man sie relativ leicht identifizieren kann, bevor der Artikel abgeschickt wird. So besteht die Möglichkeit, vor dem Verschicken mit einer Botschaft zu intervenieren», sagt Spreer. Das könnte in Form eines Pop-up-Fensters sein, das Hilfe schafft zur Kleidergrösse, indem etwa ein Sizing Guide aufgerufen werden kann. So haben die Verhaltensforscher festgestellt, dass manche Unterbrechungen sehr gut funktionieren – weil sie reale Nutzerbedürfnisse aufgreifen. Andere tun sogar dafür das Gegenteil: Menschen retournieren noch mehr. «Daher ist es immer wichtig, die Erfolgskontrolle zu verwerten.»
Die Retourenvermeidung erhöhte mit Ausnahme von ein oder zwei Fällen immer auch den Umsatz – also geschah diametral das Gegenteil von dem, was in der Branche behauptet wurde.
Philipp Spreer, Verhaltensforscher und Geschäftsführer elaboratum
Wie lassen sich also die Rücksendungen reduzieren? Im Rahmen der 2024 gross angelegten Studie «Psychologie der Retoure» in acht Ländern konnten Händler insgesamt die Rücksendungen reduzieren und ihren Nettoumsatz um bis zu 38 Prozent erhöhen. Die Studie bestätigte unter anderem: Was nach dem Kauf – oder der Bestellung mit optionaler Rücksendung – geschieht, hat einen viel höheren Einfluss auf die Profitabilität als landläufig gedacht. Philipp Spreer ist Studienleiter und Geschäftsführer der Digitalberatungsfirma elaboratum aus München und Zürich, und er ist überzeugt: Unternehmen beschäftigen sich viel zu wenig konsequent mit den Retouren.
Weniger Retouren bedeutet je nach Hinweis sogar mehr Umsatz – dank Interventionen wie dem Hinweis auf die Zeitersparnis oder sozialer Normen, die das Verhalten steuern: Mit der Neuauflage der 2021 erstmals erhobenen «Psychologie der Retoure» zeigt elaboratum in seinem Whitepaper, wie das sogenannte Behavioral Design im E-Commerce zur Profitabilität beitragen kann.
Unter Onlinehändlern sei die Meinung verbreitet, Retourenvermeidung koste Umsatz. Das Gegenteil trat ein: «Fast alle der acht Länder haben die Retourenrate gesenkt. Die Retourenvermeidung erhöhte mit Ausnahme von ein oder zwei Fällen immer auch den Umsatz – also geschah diametral das Gegenteil von dem, was in der Branche behauptet wurde», so Spreer. Umsatz wurde mit der für den Onlinehandel wichtigen Conversion Rate (Verhältnis von Webseitenbesucher zu tatsächlichem Kauf) gemessen – und diese stieg bei den meisten untersuchten Ländern an.
Schweizer KI-Tool im Einsatz
Die Studie mit verhaltensökonomischem Fokus hat elaboratum im vergangenen Jahr zum zweiten Mal mit seinen Partnern durchgeführt – diesmal detaillierter und in grösserem Rahmen. Unter anderem mit Schweizer Beteiligung: Die Firma behamics ist ein Spinoff der Universität St. Gallen. Sie lässt mit einem selbstlernenden System in Onlineshops aus Hunderten Verhaltensmustern die für den Einzelfall passenden Interventionen in Echtzeit generieren. Mithilfe von Machine-Learning-Methoden wird aus dem Pool die am besten geeignete Intervention vorausgesagt und im Onlineshop ausgespielt, um das Kaufverhalten individuell zu beeinflussen.
Die Studie hat unter anderem auch länder- und kundenspezifische Unterschiede bei den Retouren offenbart. «Die Ergebnisse unserer Studie zeigen, dass verhaltensökonomische Interventionen das Retourenverhalten positiv beeinflussen können. Wichtig ist es dabei aber, keine Standardlösungen anzuwenden. Stattdessen sollten stets kulturelle Unterschiede und individuelle Gegebenheiten berücksichtigt werden», sagt Dr. Thilo Pfrang, Gründer und CEO der KI-Lösung behamics. Dank der KI-basierten Technologie wurden die Botschaften personalisiert ausgewählt. Wenn also Person A ein Produkt in den Warenkorb legte, bekam sie mit hoher Wahrscheinlichkeit eine andere «Intervention» ausgespielt als Person B.
Grösste Retourenstudie
Die weltweit grösste Retourenstudie mit über 220000 Kundinnen und Kunden und mehr als 100000 Bestellungen berücksichtigte diverse Fashion-Online-shops und bewertete die Conversion Rate, den Nettoumsatz sowie die Rücksendequote. Darunter war auch ein Schweizer Shop, der aber anonym bleiben möchte. «Da das Thema trotz seiner Effektivität etwas negativ behaftet ist, scheuen sich Unternehmen, ihre Teilnahme öffentlich zu machen», sagt Philipp Spreer.
Was bei sogenannten generischen Nachhaltigkeitsbotschaften von der Art «bestellen Sie nicht doppelt, weil die Retouren die Umwelt belasten», festgestellt wurde: Sie riefen häufig das Gegenteil der angestrebten Reaktion hervor. Will heissen: Der erhobene Zeigefinger wird nicht goutiert.
Wenn die Botschaften oder Interventionen sich aber auf andere Verhaltensmuster beziehen und anders formuliert werden, ist die Erfolgsquote messbar höher. Das kann dann so aussehen: «Du bestellst gerade doppelt. Wir wollen dir nur Bescheid sagen, dass 90 Prozent der Kunden das nicht tun.» Eine solche Botschaft suggeriert, dass der Kunde etwas ausserhalb der sozialen Norm tut. Im Ländervergleich hat diese Methode gerade in Osteuropa gut funktioniert. Kann das mit der strengeren öffentlichen Kontrolle zu tun haben? Es könne durchaus sein, dass eher individualistische Kulturen anders reagierten auf gewisse Botschaften als solche, in denen man mehr Intervention gewöhnt sei, schätzt Spreer.
Angesichts schrumpfender Margen merkten immer mehr Onlinehändler, dass eine effektive Retourenvermeidung wichtig ist. «Sinkt die Retourenquote nur um wenige Prozent, hat das bereits einen gewaltigen Hebel für die Profitabilität», meint Spreer. So gibt es aus Händlersicht die Möglichkeit, durch Belohnung und Bestrafung für ein bestimmtes Verhalten Anreize zu schaffen. Mittels dieser «Pressure Nudges» wurde etwa versucht, Druck aufzubauen und Verlustszenarien zu beschreiben. Mit Druck und Angst zu operieren, birgt allerdings ein gewisses Reputationsrisiko. Im Gegensatz dazu gibt es Interventionen, die eher gewinnorientiert sind: Mit der «Illusion of Control» wird dem Kunden suggeriert, dass er Freiheit, Zeit, Geld usw. gewinnt, wenn er die Retoursendung unterlässt. Der Grad zwischen Motivation und Manipulation ist aber schmal, der Übergang zwischen den verschiedenen «Nudges» (Anreizen) oft fliessend.
Ferner wirken gerade bestimmte Kombinationen von Einflussfaktoren stark: So hat die «Illusion of Control» (Kontrollillusion) gemeinsam mit «Loss Aversion» (Verlustangst: du verlierst 32 Minuten deiner Lebenszeit – Retoure abzuwickeln: Paketschein ausdrucken, bekleben, zur Post gehen) positiv überrascht: In fünf europäischen Märkten, wo diese Kombination getestet wurde, konnte die Conversion Rate signifikant gesteigert werden, etwa in Polen und Deutschland. Allerdings fiel die Retourenquote unterschiedlich aus, und in Grossbritannien (plus 13,9 %) und in Deutschland (plus 2,2 %) erhöhte sie sich sogar. «Offenbar sind die beiden ‹Behavior Patterns› eine explosive Kombination, die in manchen Kulturräumen sehr gut wirkt, in anderen aber das Ziel dramatisch verfehlt», heisst es in der Studie. «Das zeigt, wie feingliedrig aufgeschlüsselt und wie differenziert man bei der Kommunikation sein muss – je nach Kultur und Land», sagt Spreer.
Mark Gasser
Chefredaktor
Zürcher Wirtschaft
Ihre Meinung ist uns wichtig
Das Thema ist wichtig.
Der Artikel ist informativ.
Der Artikel ist ausgewogen.