Du willst Leadership? Dann schau bei Dirigenten ab

Auch Leadership ist nicht mehr, was sie einmal war. Früher, als Unternehmen wie Maschinen funktionierten, wo ein Rädchen ins andere greift, da standen Leader auf der Kommandobrücke, überwachten von oben das Ineinandergreifen der Funktionen. Heute, wo Unternehmen mehr die Köpfe als die Arme ihrer Angestellten fordern, verabschieden wir das Bild der Maschine, wir reden von agilen Organisationen, flachen Hierarchien, wechselnden Konstellationen selbständiger Teams. Wo aber sitzt da die Führung?

Zwischendrin, quasi als Moderatorin? Wirkt sie gar unsichtbar von unten statt von oben, versteckt sich Leadership als Schwarmintelligenz? Darum die psychologischen «Teambuilding-Trainings», all die «Kulturworkshops», die zum «Dialog-Spaziergang» einladen, zum «Business-Speed-Dating»? Sicher lukrativ für die Trainer.

Und für Leadership? Ich sehe nicht, dass sie überflüssig wird. Im Gegenteil: Je flacher die Hierarchien, je dezentraler die agilen Teams, desto anspruchsvoller die Führung. Dann kann sie weder kommandieren noch moderieren. Dann muss sie die diversen Teams dafür gewinnen, aus eigenem Antrieb das Beste aus sich herausholen – für eine gemeinsame Sache. So hört Leadership auf, bloss Methode zu sein. Sie wird Kunst.

Wie die Kunst, ein Orchester zu dirigieren. Dem Konzertsaal verdanke ich mein Urerlebnis, genauer: dem Bamberger Dirigierwettbewerb, dem weltweit vielleicht bedeutendsten. Stellen Sie sich vor: Es spielt stets dasselbe Orchester (Bamberger Symphoniker, Weltklasse), es spielt stets dasselbe Stück (Gustav Mahler, 4. Symphonie), stets im selben Konzertsaal. Nur vorn am Pult wechseln sich die Dirigenten ab. Und mit jedem erklingt das identische Stück plötzlich komplett neu. Man traut den Ohren nicht: So viele Dirigate – so viele Klangwelten: mal luzid, mal beschwingt, mal temporeich – und dann ertönt diese eine, die alle mitreisst, die Musikanten, das Publikum, die Jury. Noch einmal: Es sind immer dieselben Musiker, es ist immer dasselbe Stück, derselbe Konzertraum, einzig der Dirigent wechselt – und der Effekt ist umwerfend: die Musiker im Flow, das Publikum begeistert.

So geht Leadership. Musik macht die Dirigentin keine. Sie ist zuständig für die Werkidee, sie ist der kreative Kopf, quasi die Unternehmerin, sie muss eine Vorstellung haben, wie die Musik frisch, unerhört zu spielen wäre. Für diese Vorstellung, die erst nur in ihrem Kopf lebt, sucht sie dann die Orchesterleute zu gewinnen. Und zwar so, dass die nicht nur folgsam ausführen, was sie ihnen vormacht. Sondern – das ist neu an Leadership – dass sie selber kreativ auf die Ideen der Dirigentin reagieren. Sie sind ja die Spezialisten am Cello, am Horn, sie wissen, was ihr Instrument hergibt, damit aus dem, was der Dirigentin vorschwebt, Musik wird. Und am Ende alle Beteiligten aus eigenem Antrieb das Beste aus sich herausholen – fürs gemeinsame Werk.

Ja, und genau so stelle ich mir Leadership im Unternehmen vor.

Ludwig Hasler

Philosoph, Physiker, Autor und Menschenkenner lhasler@duebinet.ch

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