Diverse Schwingungen oder: Wenn die Sprachpolizei Minuten zählt

Zürich, Rathaus im Sommer 2029. Eine Gemeinderätin zieht kurz vor dem Pausengong Bilanz: «Endlich verbale Gleichberechtigung: Das, liebe Mitgliederinnen und Mitglieder, ist die Art Linguistic Leadership, die wir brauchen.» Der Hintergrund: Seit Einführung des Redezeit-Zertifikats im Jahr 2025, als indirekte Folge des 2022 beschlossenen «Genderwatch-Protokolls», hat die Professionalisierung der Voten durch Kommunikationsberater:innen der Debatte sichtlich gut getan. Die Voten sind kürzer, die Sitzungen effizienter und diverser gewordenZürich, Rathaus im Sommer 2029. Eine Gemeinderätin zieht kurz vor dem Pausengong Bilanz: «Endlich verbale Gleichberechtigung: Das, liebe Mitgliederinnen und Mitglieder, ist die Art Linguistic Leadership, die wir brauchen.» Der Hintergrund: Seit Einführung des Redezeit-Zertifikats im Jahr 2025 und als indirekte Folge des 2022 beschlossenen «Genderwatch-Protokolls», hat die Professionalisierung der Voten durch Kommunikationsberater:innen der Debatte sichtlich gut getan. Die Voten sind kürzer, die Sitzungen effizienter und diverser geworden.

Die Zahl der Voten und die Redezeit wurden zunächst nur, wie gefordert, nach Geschlecht analysiert. Resultat: Die Frauen traten massiv weniger häufig ans Redepult. Sie sprachen zwar mit neuem Selbstvertrauen im Schnitt länger als die Männer, aber weil sie auch noch mit 39 Prozent im Rat untervertreten waren, auferlegte der Rat in der Folge den Männern einen maximalen Anteil an der Redezeit von 50 Prozent. Das wiederum führte zu etlichen wütigen Abgängen und Geschlechtsänderungen einzelner redefreudiger Herren der Schöpfung, wodurch sich dann aber ab 2024 wiederum die Frauen plötzlich in der Mehrheit fanden. Und so kamen dann die ersatzgeschwächten Männer unverhofft zu mehr Redezeit als die Frauen pro Kopf, was aber nicht dem ursprünglichen Sinn der Gesetzesänderung entsprach und gemäss Letzteren wieder alte Hierarchien zementierte.

Das individuelle Redezeit-Zertifikat löste dann all die Probleme auf einen Schlag. Die gläserne Rededecke war durchbrochen. So schien es zumindest. Doch an den Scherbenhaufen dachten noch die wenigsten: Denn erst jetzt begann das wirkliche Chaos. Der mittlerweile mehrheitlich woke Rat erkannte nämlich, dass die Redezeit nicht nur nach (fluidem) Geschlecht, sondern auch nach Parteigrösse, sexueller Orientierung, Alterskohorte und ökologischem Fussabdruck aufgeschlüsselt werden sollte. Die Lösung: Jedes einzelne Votum wird dank einer komplizierten arithmetischen Berechnungsgrundlage, dem doppelten Rede-Pukelsheim, bemessen. Mittlerweile sind auch die LGBTQ-Redezeit-Benchmarks fast erreicht. Dank weiteren Redezeit-Verkürzungen für Sprecher mit tieferen Stimmen, welche dominanter, kompetenter und vertrauenswürdiger wirken, wurden auch diese so ihres ungerechten Vorteils beraubt.

Die Vegrüner, 2027 als Splitterpartei aus den Grünen hervorgegangen, zählen derweil immer noch fleissig die nicht-veganen verbalen Entgleisungen mit Tiermetaphern von Ratskolleg:innen. So wurde einem SVP-Vertreter die «Affenhitze», durch die man «schwitze wie eine Sau» (vorgeblich wegen mangelnder Klimaanlage) zum Verhängnis, und er wurde für drei Sitzungen gesperrt. Die anschliessende – wieder tierische – Beleidigung des Bestraften an die linksgrüne Ratsmehrheit («Ideen, die nur im müssigen Drohnendasein entstehen können!») bedeutete dann die rote Karte. Dass er das vegane Popup-Mensa-Menü auch noch als «Saufrass» bezeichnet haben soll, hätte ihm wohl ohnehin den Posten gekostet.

Mit der Verordnung «Klang der Seele» wurde letztendlich auch die Stimme zum Filter für Redezeit. Mit einem am Kehlkopf angebrachten Gerät wird seither nicht nur aufgezeichnet, was eine Person sagt, sondern auch, wie sie es sagt. Dank der computergestützten Stimmanalyse von Klangfarbe, Rhythmus, Melodie und Lautstärkegestaltung wird etwa auch die Emotion und die Lüge gnadenlos entlarvt. Und anhand der Stimmprofile wird die politische Richtung der Aussage berechnet – mit überraschender Präzision. Und weil die Computersoftware, die Deep Speech Pattern Analysis, dann die akustische Information gleich als farbige Grafik auf die Bildschirme im Ratssaal projiziert, hören seither viele gar nicht mehr den Inhalten zu – sondern stimmen anhand der Farben ab.

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