«Stabilität in der Schweiz ist nach wie vor gross»

Ein Gespräch mit dem neuen CEO der Schweizerisch-Amerikanischen Handelskammer AmCham in Zürich, Rahul Sahgal. Der ehemalige Diplomat über seine Erfahrungen mit der Trump-Administration, drohende Handelszölle, Steuern, die Bilateralen III und die Hoff-nungen und Ängste von Schweizer Firmen in den USA.

Bild Mark Gasser

Rahul Sahgal in seinem Büro im Talacker in Zürich, das er unlängst nach seinem Umzug von Genf bezogen hat.

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Rahul Sahgal in seinem Büro im Talacker in Zürich, das er unlängst nach seinem Umzug von Genf bezogen hat.

Nach der Wahl Donald Trumps am 5. November zum neuen US-Präsidenten, hatten Sie da mehr Anfragen von Schweizer Firmen oder von US-Firmen unter dem Dach der Handelskammer Swiss AmCham?

Rahul Sahgal: Mehr von Schweizer Unternehmen, sie machen auch 70 Prozent unserer Mitglieder aus. Und die amerikanischen Firmen haben ja sehr viele eigene Lobbyorganisationen in den USA, wo sie direkt informiert werden. Wir selber haben aber sechs «Regional Chapters» (Abteilungen) in den USA – unter anderem in New York, Miami und San Francisco – die Teil unserer Organisation sind.

Dann sind Sie eher Lobbyist für Schweizer Firmen in den USA.

Sahgal: Ja, aber auch für amerikanische Firmen in der Schweiz. Bei uns geht es einerseits um den Austausch zwischen den beiden Ländern – sei das punkto Handel oder Investitionen, Steuern, Freihandel, Personenfreizügigkeit – und anderseits um den Standort Schweiz. Die USA sind ja der grösste ausländische Investor in der Schweiz und unser grösster Exportpartner als Land. Damit Firmen wie Google hier investieren, muss die Schweiz attraktiv sein. Und da versuchen wir zu lobbyierent und zu informieren.

«Die USA dürften wirtschaftlich kaum ein grosses unmittelbares Interesse an einem Freihandelsabkommen haben, politisch schon eher.»

Rahul Sahgal, CEO der Schweizerisch-Amerikanischen Handelskammer AmCham

Was wurden Sie denn nach der Wahl am häufigsten gefragt von den exportorientierten Schweizer Firmen?

Sahgal: Die Hauptfrage war jene nach den Zöllen: Wann wird Trump die Importzölle, die er für alle Länder angekündigt hat, einführen, und wie hoch werden diese sein? Wird es uns auch treffen, kann er das überhaupt durchsetzen? Solche Fragen eben. Und wir werden nach einer allgemeinen Einschätzung zur Wirtschaft und zur Wahl gefragt.

Was antworten Sie denn bei den Fragen nach den Importzöllen?

Sahgal: Erstens: Er hat es immer wieder angekündigt. Zweitens: Er hat bereits in seiner letzten Amtszeit Importzölle erhöht. Drittens: Man beschwichtigt und sagt, es würden zunächst Verhandlungen geführt werden müssen. Im Zuge der Verhandlungen seiner vergangenen Amtszeit (2017 bis 2021) hat er diese Zölle zwar schon eingeführt – aber nur teilweise. Oder er hat Verträge modernisiert, siehe NAFTA (Freihandelsabkommen zwischen den USA, Kanada und Mexiko), der jetzt USMCA heisst (United States-Mexico-Canada Agreement). Und ein fünfter Punkt: In seiner ersten Amtszeit hat er Zölle relativ spezifisch und in Eigenregie eingeführt, was er teilweise mit der nationalen Sicherheit begründete. Nun betonte er im Wahlkampf immer wieder, er werde einfach auf alle Importe zwischen 10 und 20 Prozent Zölle einfahren. Aber dafür bräuchte er dann die Zustimmung des Kongresses.

Weil das über die nationale Sicherheit hinausgehen würde…

Sahgal: Zölle sind gemäss amerikanischer Verfassung Sache des Parlamentes. Da er aber beispielsweise Stahl und Aluminium als wichtig für die nationale Sicherheit einstufte, entschied Trump damals im Alleingang über die Einführung von Zöllen. Er grub ein Gesetz von 1962 aus, das sich auf nationale Sicherheit berief bei der Einfuhr von Gütern oder Rohstoffen.

Ist ein Freihandelsabkommen mit der Schweiz nun wahrscheinlicher mit Trump?

Sahgal: Ich würde sagen Ja. Aber wirtschaftlich dürften die USA kaum ein grosses unmittelbares Interesse haben, politisch schon eher. Es könnte ein Zeichen sein, den «Free Trade» hochzuhalten. Aus Schweizer Sicht wäre das sehr attraktiv. Aber: It takes two to tango. Letztes Mal kam die Schweiz ja gar nicht erst zu formellen Verhandlungen mit Trump.

An den Finanzmärkten stiegen nach Trumps Wahlsieg die Aktienkurse, der Dollar erstarkte und Bitcoin war auf Rekordhoch. Sind das Indizien dafür, dass Trump von der US-Wirtschaft und den Welt-Anlegern viel Vertrauen entgegengebracht wird?

Sahgal: Trump wird jetzt sicher die Bürokratie zurückfahren, in verschiedenen Bereichen deregulieren. Er möchte auch die Steuern senken. Börsenkurse sind einfach ein Signal, und ob er die Steuern wirklich senken wird, wird sich weisen müssen. Das würde das US-Haushaltsdefizit weiter erhöhen.

It’s the economy, stupid! Das meint sinngemäss auch mein Bruder, der in Oregon einen Laden betreibt und im Gegensatz zu vor vier Jahren Trump als pragmatischere, wirtschaftsfreundlichere Wahl betrachtet (hier das Interview). Können Sie das auch für die Schweizer Wirtschaft bestätigen? Sie mahnten ja in einem Interview, dass die US-Wahl die Schweizer Wirtschaft belasten könnte – bei beiden Kandidierenden.

Sahgal: Trump war für viele aus wirtschaftlicher Sicht die bessere Wahl – auch für KMU. Unter anderem wegen dem erwarteten Bürokratieabbau, einer Steuersenkung. Weniger gut ist seine Unberechenbarkeit. Er wird vieles ankündigen, erratisch sein, und es wird vieles im Unklaren bleiben. Bei Kamala Harris wäre die zu erwartende Steuererhöhung negativ, ihre Planbarkeit wohl eher positiv gewesen, und sie drohte nicht mit Zöllen für alle Länder.

Ich bleibe also bei meiner Aussage, dass beide – auch Harris – protektionistisch handeln würden und Vor- und Nachteile mit sich bringen aus Schweizer Sicht. Im Moment liegen die Zölle zwischen der Schweiz und den USA ja nur zwischen 2 und 3 Prozent, wenn man die Landwirtschaft ausklammert. Die Frage ist, ob es die Schweiz mit einem grossen Handelsbilanzüberschuss aus US-Sicht stärker auch trifft. Ich glaube allerdings nicht, dass er auf alle Importprodukte 10 Prozent Zoll und mehr verlangen wird.

Wird es aber attraktiver für Schweizer Unternehmen, in den USA zu investieren, statt hier für den US-Markt zu produzieren?

Sahgal: Wenn die Zölle kommen, ja. Zudem kommt es auch sehr darauf an, welche Produkte – einige lassen sich in den USA nicht produzieren, etwa Schweizer Uhren. Ausserdem kann man eine Standortverlegung nicht an einem Präsidenten festmachen. Der Markt muss spannend sein, das Umfeld ist sehr wichtig und sehr unterschiedlich – auch innerhalb der USA. Wenn eine Firma einen grossen Auftrag hat, zum Beispiel von der US-Regierung, dann baut sie selbstverständlich ihren Standort in den USA aus.

Seine Steuersenkungsprogramme von 2017 dürfte Trump zumindest zu verlängern versuchen, sagten Sie in einem Interview – falls er nicht gar die Unternehmenssteuern dauerhaft von 21 auf 15 Prozent senke. Das wäre die Untergrenze gemäss neuen OECD-Richtlinien für Grossunternehmen. Glauben Sie, die Steuern werden so stark gesenkt?

Sahgal: Trump hat es angekündigt, ich kann mir vorstellen, dass er es auch versuchen wird. Die Frage ist, ob der Kongress und vor allem aber auch das Repräsentantenhaus, da mitmachen. Aber das würde das Haushaltsdefizit weiter erhöhen. Schon bei Trumps erster Senkung der Unternehmenssteuern von 36 auf 21 Prozent – von einem sehr hohen auf einen durchschnittlichen OECD-Steuersatz – erhöhte sich das Defizit massiv, damals auch verstärkt durch Covid-19. Ich bin mir daher nicht sicher, ob sich genügend Unterstützer im Kongress finden würden, um den Staatshaushalt weiter so zu belasten.

Sehen Sie auch Chancen für kleine und mittlere Unternehmen (KMU) in der Schweiz im Handel mit den USA unter der neuen Regierung?

Sahgal: Absolut. Die USA haben ja schon unter Biden drei grosse Pakete verabschiedet: Den Inflation Reduction Act, ein Investitionsprogramm, das den Fokus auf Reindustrialisierung, Nachhaltigkeit, auf das Gesundheitswesen legt – und in diesen Bereichen gibt es viele Schweizer KMU im Markt, etwa bei Pharma, Ge-
bäudetechnik, Lüftungsanlagen. Dann gibt es den Infrastructure Act, von dem auch Schweizer Firmen profitieren können, und den Chips Act, der im IT-Bereich die inländische Forschung und Herstellung von Halbleitern fördert.

Erwarten Sie Veränderungen in der US-Immigrationspolitik, die Schweizer Unternehmen betreffen könnten, insbesondere im Bereich der hochqualifizierten Fachkräfte und der Geschäftstätigkeit in den USA?

Sahgal: Das kann ich weniger beurteilen. Die Vermutung liegt aber nahe, dass wenn viele illegale Arbeiter wie angekündigt «deportiert» werden, die Verfügbarkeit von Arbeitskräften sinkt. Bereits jetzt ist die Arbeitslosigkeit mit 4 Prozent tief, und es gibt ein Defizit an qualifizierten Fachkräften. Das wird sich dann wohl zuspitzen.

Was nehmen Sie aus dieser Zeit von der Trump-Administration mit?

Sahgal: Ich glaube, es wird herausfordernd sein mit einer Regierung Trump. Ich war ja in den Trump-Jahren in der Schweizer Botschaft in Washington diplomatisch tätig, von 2017 bis 2021. Da erwachte man am Morgen und schaute zunächst: Was hat er wieder getweetet? Und was bedeutet das für die Schweiz und ihre Handelsbeziehungen? Ich glaube, es wird einiges komplizierter.

«Schon bei Trumps erster Senkung der Unternehmenssteuern von 36 auf 21 Prozent erhöhte sich das Haushaltsdefizit der USA massiv.»

Rahul Sahgal, CEO der Schweizerisch-Amerikanischen Handelskammer AmCham

Ändert sich für Sie ab der nächsten Ära Trump 2025 etwas in Ihrer täglichen Tätigkeit als höchster Lobbyist für amerikanische Unternehmen in der Schweiz?

Sahgal: Zunächst einmal sorgt Trump für viel Arbeit, weil er viel ankündigt, was Interpretation benötigt. Seine Berater klärten uns dann auf: Schaut nicht auf die Tweets – wir sagen euch, worauf ihr achten müsst. Die Tweets sind für die Basis, nicht für euch. Positiv empfand ich wiederum, dass es eine gute, pragmatische Zusammenarbeit war: Wir diskutierten viel, suchten häufig den Kontakt mit dem Finanzministerium, und Trumps Leute gingen sehr direkt, aber interessensorientiert vor. Die Administration war ziemlich nahbar und schnell. Was natürlich nicht immer in guten Resultaten für beide Seiten mündete, aber der Austausch war gut.

Warum sind Sie von der Diplomatenkarriere abgewichen und zur Handelskammer gewechselt?

Sahgal: Weil der Job hier in der Handelskammer eine gute Zusammenführung von beidem ist: Ich war zehn Jahre in der Privatwirtschaft und elf Jahre diplomatisch tätig. Und hier geht es auch um die Interessenswahrung für die Schweiz – in diesem Fall aus Sicht der Schweizer und US-amerikanischen Firmen. Zudem ist es zum grossen Teil der diplomatischen Arbeit ähnlich, aber hier ist es näher an der Privatwirtschaft.

Die ausländischen Firmen sorgen in der Schweiz für ein hohes Steueraufkommen. Sie vertreten also einen guten Teil der Steuerzahler?

Sahgal: Wir haben 1500 Mitglieder, darunter knapp 30 Prozent amerikanische Firmen. Diese 4 Prozent an internationalen Firmen in der Schweiz sorgen für 25 Prozent der Arbeitsplätze, 36 Prozent des Bruttoinlandprodukts und fast 50 Prozent der Unternehmenssteuern des Bundes.

Sind zuletzt netto mehr US-Firmen in die Schweiz gezogen oder abgewandert?

Sahgal: Ich habe keine genauen Zahlen, aber es gibt immer wieder Schübe, während derer mehr Firmen kommen oder gehen. Im Moment passiert viel im Bereich der internationalen Besteuerung, mit der ganzen OECD-Steuerreform. Und diese wird auch einen Einfluss auf die Schweiz haben, je nachdem wie diese hier umgesetzt wird. Steuern sind aber nur ein Top-5-Faktor für Standortentscheide. In der Schweiz ist die Stabilität nach wie vor gross, das ist ein Vorteil.

«Ich erwachte am Morgen und schaute zunächst jeweils: Was hat Trump wieder getweetet?»

Rahul Sahgal, CEO der Handelskammer AmCham

Wie sehen Sie die aktuellen Verhandlungen zu den Bilateralen III? Ist die Schweizer Haltung Rosinenpickerei?

Sahgal: Amerikanische Firmen in der Schweiz wollen, dass die Schweiz ein stabiles, geregeltes Verhältnis mit der EU hat. Sie bedienen ja häufig auch den EU-Markt aus der Schweiz. Zum Inhalt will ich mich noch nicht äussern, da die Details noch nicht bekannt sind.

Oft sind gerade durch die Bürokratisierung in der EU neue Richtlinien schwierig umzusetzen für KMU in der Schweiz. Daran mitschuldig sind gemäss sgv-
Direktor Urs Furrer auch internationale Grossfirmen, die neue Compliance-Regeln einführen. Auch amerikanische Firmen.

Sahgal: Das müsste man im Detail anschauen. Was sicher ist: Mehr Regulierung und Bürokratie ist mühsam und schlecht. Ich bin einverstanden, dass das allgemein am Zunehmen ist. Dass es die Politik nicht schafft, mit der Schaffung neuer Regulierungen alte abzuschaffen, ist aber auch in der Schweiz zu beobachten.

Wie kam Ihre Familie in die Schweiz?

Sahgal: Mein Grossvater entschied einst, dass seine Söhne in internationalen Schulen ausgebildet werden sollen. Einer wurde in den USA zum Arzt ausgebildet, einer in England Anwalt – der lebt heute in Kalifornien. Ein weiterer Sohn wurde in die indische Armee geschickt und mein Vater an die ETH in Zürich. Und hier blieb er. Ich selber lebte von 2006 bis 2011 in Indien, als ich für Rieter und Autoneum arbeitete.

Mark Gasser

Chefredaktor
Zürcher Wirtschaft

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