Die Perfektion der Illusion

Das Leben wird vermehrt digitalisiert, das Wohnen immer lebensechter visualisiert. Marcel Lienhard von der Winterthurer 3D-Agentur DesignRaum spricht über die neuen virtuellen Möglichkeiten, Wohnraum zu verkaufen oder zu vermieten.

Bild GLO Group

Der «GLO Tower» der GLO Group, zu der auch DesignRaum gehört: Von aussen wie von innen eine täuschend echte Illusion eines Wolkenkratzers im Zürichsee. Virtuelle Wohnungen oder Büros sind zwar (noch) nicht auf dem Markt, lassen sich aber über den GLO-Wohnungsfinder anklicken.

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Der «GLO Tower» der GLO Group, zu der auch DesignRaum gehört: Von aussen wie von innen eine täuschend echte Illusion eines Wolkenkratzers im Zürichsee. Virtuelle Wohnungen oder Büros sind zwar (noch) nicht auf dem Markt, lassen sich aber über den GLO-Wohnungsfinder anklicken.

Bild zvg/DesignRaum

Mit dem Room-Konfigurator lassen sich alle möglichen Küchenvarianten simulieren – und die Offerte dazu generieren.

Ein Unternehmen, das sich auf immersive 3D-Wohnwelten spezialisiert hat, ist das Winterthurer KMU DesignRaum. Die 3D-Agentur wurde 2007 gegründet und erarbeitet Konzepte und Lösungen, um Design und Architektur visuell nahbar zu machen – oft mit 3D-Visualisierungen sowie räumlichen Annäherungen dank Virtual Reality. «Wir versuchen immer, eine Geschichte zu erzählen – Storytelling», sagt Marcel Lienhard, Mitinhaber und Mitgründer von DesignRaum. Um die richtigen Visionen im virtuellen Raum entstehen zu lassen, müsse man sich immer fragen: Welche Zielgruppe wird in den Räumen wohnen? Welche Möbel, Materialien und Farben könnten diese bevorzugen? Diese Arbeit entsteht zuerst sehr konzeptionell, dank des grossen Know-hows der Mitarbeiter:innen, die sich als Innenarchitekten:innen intensiv mit dem Projekt befassen. Als Grundlage werden Moodboards (eine Art Collage zur Visualisierung)
erstellt, bevor überhaupt das 3D-Programm gestartet wird.

Konfigurierbare 3D-Wohnwelt

Die visuelle Darstellung ist aber nur ein Teil. DesignRaum geht noch einen Schritt weiter. Mit Hilfe von Wohnungs-, Produkt- oder Materialkonfiguratoren können Neubauwohnungen mit unterschiedlichsten Farben und Materialien ausgestattet werden, um dann automatisiert eine erste Richtofferte zu generieren. Dar-über hinaus können Bodenbeläge, Wandfarben oder Ausstattungsdetails individuell angepasst und in der 360°-Ansicht erlebt werden. Ebenso können mit dem Produktkonfigurator Leuchten, Armaturen oder Bodenbeläge verändert oder angepasst werden. Für den Generalunternehmer oder Lieferanten sind das wertvolle Daten: Er sieht, wie oft zum Beispiel welche Böden oder Bäder in einem grösseren Gebäude konfiguriert werden. «So kann man zu ganz anderen Konditionen einkaufen. Der grosse Vorteil von virtuellen Showrooms liegt in der enormen Flexibilität der ständigen Produkterweiterung. So können Küchen oder Bodenbeläge in verschiedensten Ausführungen und Varianten sehr einfach, schnell und kostengünstig aktualisiert werden. Viele haben noch physische Showrooms, die bei einem Umbau einige Kosten verursachen», sagt Lienhard. Werden Verkaufsgespräche also bald überflüssig? «Nein, auf keinen Fall, Beratung ist absolut notwendig. Aber wir sind überzeugt, dass der Interessent, der sich vorher in einem virtuellen Showroom intensiv über die Produkte informiert hat, der viel hochwertigere Lead ist und genau weiss, was er will, wenn es zum Erstkontakt kommt.»

Bild Mark Gasser

Digitale Zwillinge, virtuelle Showrooms: Die Wohnungssuche in 3D wird immer beliebter, sagt Marcel Lienhard.

Immer mehr Hersteller digitalisieren ihre Produkte. Diese Daten können über definierte Schnittstellen direkt in die 3D-Programme eingelesen werden. Im Laufe der Jahre habe sich hier ein sehr grosser Sinneswandel vollzogen. Hüteten sich Hersteller mit 3D-Modellen ihrer Produkte vor einigen Jahren noch vor einer Herausgabe ihrer 3D-Daten zur Einbettung in digitalen Umgebungen, so ist es heute umgekehrt. «Sie kommen auf uns zu mit ihren Produkten. Die Wirkung von Product Placement in der digitalen Welt wird heute als Mehrwert im Marketing gesehen», sagt Marcel Lienhard. Zudem mache Gamification als Einkaufserlebnis viel mehr Spass als das Blättern in einer plumpen Broschüre voller Preislisten. «Ein Haus kauft man oft nur einmal im Leben. Umso wichtiger ist es, diesen Prozess dem Interessenten emotional zu vermitteln.»

Clever die Abkürzung nehmen

Ein weiteres Digitalisierungsbeispiel aus der Bürowelt konnte Designraum beim Gewerbebau ONYX in Baar bei Zug umsetzen. «Wir produzierten vor dem Umbau verschiedene virtuelle Rundgänge, um potenzielle neue Mieter zu finden. Dabei haben wir zuerst mit Moodboards ein innenarchitektonisches Konzept entwickelt, um dann an die virtuelle Umsetzung zu gehen. Dies als reine Vision, um die Räume zu emotionalisieren. Umso erstaunter waren wir, als sich nach einiger Zeit ein Interessent bei uns meldete und fragte, wo er diese visualisierten Trennwände bestellen könne», so Lienhard. Die gab es noch gar nicht – sie waren erst virtuell entworfen. «Tatsächlich haben wir aber einen Hersteller gefunden, der sie realisieren konnte.»
Auch der Bar-/Restaurantbereich entspricht heute weitgehend dem virtuellen Konzept. «Um eine Vision zu transportieren, hilft der virtuelle Raum sehr», erklärt Lienhard, «es sind grosse Abkürzungen möglich. Man überlegt schon bei der Visualisierung: Kann man das überhaupt so bauen?»

Künstliche Intelligenz nutzen

Lienhard präzisiert: «Wenn Architektur, Innenarchitektur und Immobilienmarketing im virtuellen Raum erlebbar gemacht werden, nutzen wir auch die Hilfe von künstlicher Intelligenz. Wir glauben, dass diese Technologie ein enormes Potenzial hat.»

Ein kleines Beispiel: In der Bildbearbeitung lassen sich mit Hilfe von KI Arbeitsabläufe deutlich beschleunigen. «Wir sprechen in der Bearbeitung von drei Sekunden gegenüber früher einer Stunde.» Wenn Architektur, Innenarchitektur und Immobilienmarketing im virtuellen Raum erlebbar gemacht werden, verschwinden einige klassische Tätigkeiten. Ähnlich wie bei anderen KI-Tools, die ein Beschleuniger sind, glaubt er nicht, dass der Mensch durch künstliche Intelligenz ersetzt wird – von wenigen Ausnahmen abgesehen. «Es kommt lediglich zu einer Umverteilung von Arbeitsplätzen.»

DesignRaum ist auch im Ingenieurbau tätig und digitalisiert verschiedene Bahnhöfe der SBB. Die Erstellung von digitalen Zwillingen, zum Beispiel des Bahnhofs Basel, bringt enorme Erleichterungen in der Entwicklung. Unterschiedlichste Stakeholder können sich gleichzeitig in das virtuelle Modell einloggen und Entscheidungen in Echtzeit und im 3D-Raum treffen. «Im virtuellen Raum verstehen alle sofort allfällige Anpassungen im Vergleich zu komplexen und unübersichtlichen 2D-Plänen», erklärt Lienhard.

«Im virtuellen Raum verstehen alle sofort allfällige Anpassungen im Vergleich zu komplexen und unübersichtlichen 2D-Plänen».

Marcel Lienhard, DesignRaum, Winterthur

Mark Gasser

Chefredaktor
Zürcher Wirtschaft

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