Die neue Unverbindlichkeit

Die neue Unverbindlichkeit hat im Alltag Einzug gehalten. Woher stammt diese Unart, im letzen Moment abzusagen oder gar mittels Aussitzen einer Entscheidung Konfrontationen aus dem Weg zu gehen?

Barbara Rüttimann

An Wohnungsbesichtigungen und an Meetings sowie Verabredungen nicht erscheinen. Arzttermine sausen lassen oder nach Einreichen der Job-Bewerbung nicht mehr erreichbar sein. Es wird bis zum allerletzten Moment gewartet, bis eine Absage kommt oder es folgt gar keine Antwort mehr. Die neue Unverbindlichkeit hat im Alltag Einzug gehalten.

Digitale Kontakte


Auf der anderen Seite war es noch nie so einfach, (digital) Kontakte zu knüpfen. Online kann schnell ein Cluster an Freunden aufgebaut werden. Dabei reichen diese «Beziehungen» von vollkommener Unverbindlichkeit bis zu einem gewissen Grad an Nähe und Konstanz; jedoch immer mit der Option, schnell eine Nachricht zu schreiben, «es passt mir nicht». Diese neue Beziehungsart zieht sich durch Gesellschaft und Wirtschaft hindurch. Begriffe wie Ghosting, Quiet Dumping, Speeddating, Freundschaft Plus deuten im Privatbereich den Trend an, Verpflichtungen auf Beziehungsebene aus dem Weg zu gehen. Nicht nur, dass das Gegenüber im Ungewissen gelassen und auf die Wartebank geschoben wird, es werden auch unbemerkt Kommunikationsgräben aufgetan und Vertrauensverluste in Kauf genommen.

Begriffe wie Ghosting, Quiet Dumping, Speeddating, Freundschaft Plus deuten im Privatbereich den Trend an, Verpflichtungen auf Beziehungsebene aus dem Weg zu gehen.

Barbara Rüttimann
Kommunikations­beraterin


Woher stammt diese Unart, im letzen Moment abzusagen oder gar mittels Aussitzen einer Entscheidung Konfrontationen aus dem Weg zu gehen? Genannt wird in diesem Zusammenhang immer wieder die digitale Welt, die neue Generation, die Überflutung an Reizen und Angeboten sowie die Pandemie, die weltweit zur Veränderung in Beziehungen geführt habe. Böse Zungen behaupten sogar, dass in dieser neuen Welt zu «chillen» gar eine gewisse Bequemlichkeit und Faulheit mitspiele, sich keine Mühe mehr zu machen, sich rechtzeitig zu melden oder Entscheide zu treffen. Denn dies führe zur Verpflichtung und damit einhergehender Verantwortung. Und das wiederum führe zu Stress.

So verliere ich keine Energie und Zeit


Die Frage ist: wie bewege ich mich elegant in der neuen Realität, ohne selbst rüde und unzuverlässig zu wirken? Höre ich z.B. auf eine Anfrage ein «Ich weiss noch nicht», kann ich davon ausgehen, dass sich hier jemand alle Optionen offen hält. Soll ich nun die Taktik «mit denselben Waffen schlagen» und dasselbe tun? Oder nach gewohnter Manier darauf pochen, Klarheit zu schaffen und auf eine Entscheidung zu drängen? Sicher ist es eine Überlegung wert, ganz ohne Groll den vorhandenen Spielraum für mich selbst zu nutzen und meine Optionen anderweitig auszuloten. Kommt mein Gegenüber in nützlicher Frist auf mich zu, dann fein, ansonsten nutze ich meine Option und sehe einem nächsten Mal gelassen entgegen. So verliere ich keine Energie und Zeit, schone meine Nerven und bin in der Leichtigkeit der Unverbindlichkeit angelangt.

Barbara Rüttimann

Kolumnistin und Kommunikationsberaterin

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