Die Chance statt das Handicap sehen

Menschen mit gesundheitlichen Problemen eine Chance zu geben, ist fest in der Firmenkultur der Bachofner Kanalreinigungen in Fehraltorf verankert. Dass dieses Engagement auch mit Herausforderungen verbunden ist, erzählt der Inhaber Andreas Schulthess im Interview.

Bild zvg

«Wir sind ein wirtschaftlicher Betrieb, keine soziale Institution»: Andreas Schulthess integriert Menschen mit Handicap und erhält seither viele Anfragen.

Andreas Schulthess, Ihre Firma hat im April den This-Priis für ihr Engagement für Menschen mit Handicap gewonnen. Wie hat sich der Preis auf Ihr Unternehmen ausgewirkt?

Andreas Schulthess: Dass wir die Auszeichnung gewonnen haben, war überwältigend und hat uns sehr gefreut. Der Preis, der damit verbundene Auftritt und die mediale Präsenz verschaffen uns Sichtbarkeit für ein Thema, das uns am Herzen liegt. Ich hoffe, dass wir damit auch andere Unternehmen motivieren können, sich für Menschen mit einem Handicap zu engagieren. Wir haben jedenfalls sehr viel positives Feedback, viel Zuspruch und Bewunderung erhalten. Wichtig ist mir zu betonen, dass wir uns aus tiefer Überzeugung engagieren und nicht, weil wir uns dafür einen Preis erhoffen.

Den ersten Mitarbeiter mit einem Handicap haben Sie 2017 eingestellt und damit den Grundstein für den stetigen Ausbau Ihres Engagements gelegt. Wo stehen Sie heute?

Schulthess: Vor sechs Jahren wurden wir von der «Startrampe» angefragt, ob wir einen jungen Mann mit einer psychischen Beeinträchtigung aufnehmen könnten. Er absolvierte einen Arbeitsversuch bei uns und wurde anschliessend mit einem reduzierten Pensum eingestellt. Heute ist er noch immer, inzwischen mit einer 100%-Anstellung bei uns. Für uns war dieser Einstieg sehr positiv und hat uns den Mut gegeben weiterzumachen. Inzwischen haben wir sechs Mitarbeitende mit gesundheitlichen Problemen angestellt, drei von ihnen werden von einem Coach begleitet. Der Startschuss war die «Startrampe». Damit wurde das Buch geöffnet und es werden seither die Geschichten geschrieben.

Wahrscheinlich können Sie sich inzwischen vor lauter Anfragen nicht mehr retten?

Schulthess
: Wir bekommen viele Anfragen von der SVA und von der «Startrampe». Wenn immer möglich, versuchen wir zu helfen; allerdings ist unsere Kapazität auch begrenzt. Schliesslich sind wir ein wirtschaftlicher Betrieb und keine soziale Institution. Zudem müssen wir manchmal die Stellenprofile anpassen und die Mitarbeitenden in einem anderen Bereich einsetzen als ursprünglich geplant. Dazu gehört unter Umständen auch eine Umschulung.

Das erfordert einiges an Flexibilität von einem KMU. Werden Sie dabei unterstützt, auch in finanzieller Hinsicht?

Schulthess: Wir bekommen Unterstützung in Form von Beratung und finanziellen Leistungen, etwa wenn es um eine Umschulung geht. Zudem haben die Mitarbeitenden mit Handicap eine sechsmonatige Probezeit, während der die Lohnzahlung von der SVA übernommen wird. Wirtschaftlich ist es machbar.

Welchen Einfluss hat die Einstellung von Menschen mit Handicap auf Ihre Firmenkultur?

Schulthess: Inklusion ist seit jeher stark in unserer Firmenkultur verankert. Bereits meine Vorgänger hatten einen alkoholkranken Mitarbeiter über viele Jahre angestellt. Als ich die Firma übernahm, übernahm ich auch ihn und durfte erkennen, dass es funktioniert. Die Erfahrungen sind seither durchwegs positiv, die Zusammenarbeit mit den Arbeitnehmenden funktioniert gut und es kommt viel Dankbarkeit und Loyalität zurück.

Gibt es keine Konflikte zwischen den Mitarbeitenden, etwa, wenn jemand mit Handicap häufiger krank ist und fehlt?

Schulthess: Konflikte nicht. Es kommt eher vor, dass jemand mit Unverständnis reagiert. Und hier sind wir gefordert. Wir klären auf, kommunizieren transparent und sind für alle Mitarbeitenden da, wenn Unklarheiten entstehen. Es braucht die Auseinandersetzung und Diskussionen. Die Kommunikation ist zentral, damit das Miteinander konfliktfrei funktionieren kann. Sicherlich ist es aber der aufwendigste Teil meiner Arbeit, dass alle Mitarbeitenden mit an Bord sind und auch das nötige Verständnis aufbringen. Wir wachsen gemeinsam und entwickeln uns weiter. Das schweisst zusammen und verbindet.

Welches Feedback bekommen Sie von Ihren Mitarbeitenden?

Schulthess: Für mein beziehungsweise unser Engagement, das wir für sämtliche Mitarbeitende aufbringen, bekomme ich sehr viel Zuspruch und positive Rückmeldungen. Wir alle zusammen sind Teil eines grossen «Projektes» in Form eines sehr gut aufgestellten und erfolgreichen KMU. Dass unsere Mitarbeitenden stolz darauf sind, ein Teil davon zu sein, durfte ich an der Mitarbeiterfeier anlässlich unseres 100-Jahr-Jubiläums wieder einmal mehr erleben. Meine Frau und ich wurden mit einem wunderbaren Geschenk und einem tollen Beitrag, welcher von der gesamten Belegschaft vorgetragen wurde, überrascht.

Welche Tipps können Sie anderen KMU bei der Einstellung von Menschen mit Handicap geben?


Schulthess: Wichtig ist, dass man offen bleibt, auch für Veränderung. Die Einstellung eines Mitarbeitenden mit Handicap ist sicherlich keine Nullachtfünfzehn-Aktion, sie erfordert ein hohes Mass an Flexibilität. Zugleich bringen diese Menschen einen hohen Mehrwert in ein Team, ihre Lebensgeschichten sind oft sehr interessant – sie machen die Firmenkultur breiter und interessanter. Mit einer guten, diversen Firmenkultur kann man sich als Arbeitgeber abheben.

Anna Birkenmeier

Redaktion Zürcher Wirtschaft

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