Der Lehrvertrag aus rechtlicher Sicht

Jährlich werden im Kanton Zürich mehr als 12 000 neue Lehrverträge abgeschlossen. Es dürften sich deshalb stets über 30 000 Jugendliche in einer Berufslehre befinden. Grund genug, sich mit den rechtlichen Grundlagen des Lehrvertrages näher vertraut zu machen.

Das Obligationenrecht (OR) regelt den Lehrvertrag als Sonderform des Arbeitsvertrages in Art. 344 – 346a. Anders als in einem «normalen» Arbeitsverhältnis erbringt der Lernende die Arbeitsleistung nicht primär gegen Lohn, sondern gegen fachgemässe Ausbildung für eine bestimmte Berufstätigkeit. Der Lehrvertrag ist damit nicht zwingend entgeltlich. Zusätzlich sind die allgemeinen Vorschriften über den Einzelarbeitsvertrag (Art. 319 – 342 OR) anwendbar. Weitere Rechtsquellen sind das Berufsbildungsgesetz (BBG) und das Arbeitsgesetz, welches den Arbeitnehmerschutz beinhaltet.

Abschluss des Lehrvertrags

Der Lehrvertrag muss schriftlich abgeschlossen werden. Mündliche Übereinkunft genügt nicht. Das OR schreibt zudem die folgenden im Vertrag zu regelnden Punkte vor: Art und Dauer der beruflichen Bildung, Lohn, Probezeit, Arbeitszeit und Ferien. Unzulässig sind Vereinbarungen, welche den Lernenden in seiner beruflichen Zukunft nach der Lehre einschränken (z.B. ein Konkurrenzverbot) oder die Verpflichtung, nach dem Lehrabschluss im Betrieb weiterzuarbeiten. Ist der Lernende minderjährig, muss der Lehrvertrag auch vom gesetzlichen Vertreter (Eltern) mit unterschrieben werden. Und schliesslich verlangt das BBG, dass die Verträge von der zuständigen kantonalen Behörde genehmigt werden müssen.

Pflichten

Der Lernende hat grundsätzlich gleiche Pflichten wie der «gewöhnliche» Arbeitnehmer (Arbeits- und Treuepflicht). Zusätzlich muss er alles unternehmen, um die Ausbildung erfolgreich abzuschliessen. Dies setzt eine aktive Teilnahme am Berufsschulunterricht und ein entsprechendes Engagement am Arbeitsplatz voraus, wobei in diese Verpflichtung auch die gesetzlichen Vertreter des Lernenden (Eltern) mit eingebunden sind. Auch wenn die Eltern nicht direkt Vertragspartei sind, haben sie ihr Kind nach Kräften zu unterstützen und das gute Einvernehmen mit dem Arbeitgeber zu fördern.

Besuch der Berufsfachschule

Der Arbeitgeber hat demgegenüber dafür zu sorgen, dass die für die Ausbildung des Lernenden verantwortliche Fachkraft die hiefür erforderlichen beruflichen Fähigkeiten und persönlichen Eigenschaften besitzt. Da der Besuch der Berufsfachschule einen wichtigen Bestandteil der beruflichen Ausbildung bildet, ist der Arbeitgeber verpflichtet, dem Lernenden – ohne Lohnabzug – die erforderliche Zeit für den Schulbesuch einzuräumen. Gestützt auf das BBG trägt der Arbeitgeber zudem die Kosten für obligatorische Fachkurse wie auch für Freifächer und allenfalls erforderliche Stützkurse. Lernende haben bis zum vollendeten 20. Altersjahr Anspruch auf 5 Wochen Ferien pro Lehrjahr und sie dürfen nur zu Arbeiten herangezogen werden, die mit dem zu erlernenden Beruf in direktem Zusammenhang stehen und die Ausbildung nicht beeinträchtigen. Besonderheiten bestehen gemäss Arbeitsgesetz bezüglich Arbeitszeit und Überstunden zudem für jugendliche Arbeitnehmer bis zum vollendeten 18. Altersjahr.

«Vor einer fristlosen Kündigung sind Lernender und gesetzlicher Vertreter anzuhören.»

Rolf Ringger
Rechtsanwalt

Beendigung

Der Lehrvertrag kann nur auf bestimmte Dauer abgeschlossen werden. Er endigt somit erst mit dem Ablauf der vereinbarten Dauer (Lehrzeit). Eine ordentliche Kündigung während der Lehrzeit ist nicht möglich. Davon ausgenommen ist die Probezeit, die maximal 3 Monate dauern darf und ausnahmsweise vor deren Ablauf durch Abrede der Parteien und mit Zustimmung der kantonalen Behörde auf 6 Monate verlängert werden kann. Während der Probezeit kann das Lehrverhältnis von beiden Parteien jederzeit mit einer Frist von 7 Tagen gekündigt werden. Nach Ablauf der Probezeit kann das Lehrverhältnis nur noch in gegenseitigem Einvernehmen aufgehoben oder aus wichtigen Gründen einseitig durch fristlose Kündigung vorzeitig aufgelöst werden. Das OR nennt folgende wichtige Kündigungsgründe, wobei diese Aufzählung nicht abschliessend ist: Fehlen einer für die Ausbildung des Lernenden befähigten Fachkraft, körperliche oder geistige Überforderung oder gesundheitliche oder sittliche Gefährdung des Lernenden sowie Unmöglichkeit der Beendigung der Ausbildung oder Beendigung nur unter erschwerten Bedingungen.

Fristlose Kündigung

Vor einer fristlosen Kündigung sind Lernender und gesetzlicher Vertreter anzuhören. Wird der Lehrvertrag fristlos aufgelöst, ist sowohl das zuständige Berufsbildungsamt als auch die Berufsfachschule zu benachrichtigen. Ferner ist die fristlose Kündigung schriftlich zu begründen, wenn der Lernende dies verlangt. Indes hängt die Gültigkeit der Kündigung nicht von diesen formellen Voraussetzungen ab. Ob eine fristlose Kündigung gerechtfertigt ist oder nicht, beurteilt im Streitfall der Richter. Die Gerichtspraxis erweist sich hier für den Arbeitgeber mit Rücksicht auf die Ausbildungssituation und das in der Regel junge Alter des Lernenden noch strenger als bei «normalen» Arbeitsverhältnissen. Erfolgt die fristlose Entlassung ohne wichtigen Grund, wird der Arbeitgeber schadenersatzpflichtig. Die dem Lernenden zu leistende Entschädigung kann dabei bis zu mehreren Zehntausendfranken betragen, insbesondere dann, wenn dadurch der Eintritt ins volle Berufsleben verzögert wird.

Arbeitszeugnis

Nach Beendigung der Berufslehre besteht Anspruch auf ein Arbeitszeugnis (Art. 346a OR), und zwar nach Wahl des Lernenden entweder in Form einer Arbeitsbestätigung oder eines Vollzeugnisses. Der Anspruch auf ein Lehrzeugnis besteht unabhängig vom Fähigkeitsausweis, den der Lernende bei bestandener Lehrabschlussprüfung erhält.

Rolf Ringger

ist Partner bei der Anwaltskanzlei BEELEGAL und publiziert Ratgeberbeiträge in der «Zürcher Wirtschaft».

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