«Das Rafzerfeld wird faktisch kaltgestellt»

Die Sanierung der Ortsdurchfahrt Eglisau verärgert viele Gewerblerinnen und Gewerbler in umliegenden Regionen. Sie befürchten drei Jahre lang noch mehr Stau beim Transitverkehr. Statt dass die lange geplante Umfahrung forciert wird, droht dieser, beim Kanton gar noch weniger Priorität eingeräumt zu werden.

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Gibt es durch die vom Kanton geplante Ortsdurchfahrt bald noch mehr Stau in Eglisau?

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Gibt es durch die vom Kanton geplante Ortsdurchfahrt bald noch mehr Stau in Eglisau? Über die Brücke fahren täglich 22’000 Fahrzeuge.

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Der Veloweg soll am südlichen Ende von Eglisau entlang der Hauptstrasse (im Bild rechts) geführt werden – statt wie bisher übers Land.

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Der Veloweg soll am südlichen Ende von Eglisau entlang der Hauptstrasse geführt werden – statt wie bisher übers die alte Landstrasse (wie hier der geknickte Pfeil andeutet).

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Der Umleitungsverkehr soll ab 2026 über die derzeit im Neubau befindliche Rüdlinger Brücke (links) führen).

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Der Umleitungsverkehr soll ab 2026 über die derzeit im Neubau befindliche Rüdlinger Brücke (links) führen).

Pro Tag durchqueren Eglisau im Schnitt 22 000 Fahrzeuge. Das sind mehr, als sich durch den Gotthardtunnel quälen. Während dreier Jahre soll ab 2026 die Strasse nun umgebaut werden – im Rahmen eines Sanierungsprojekts des Kantons, das auch Verkehrsinseln, Werkleitungen, Fuss- und Fahrradwege sowie die Aufhebung eines Kreisels zugunsten einer (von mehreren) Lichtsignalanlage umfasst. Mit drei Ampeln und der Sperrung einer Fahrbahn soll der Durchgangsverkehr während der Bauarbeiten dosiert werden. Wenn der Kanton die Achse durch Eglisau nämlich saniert, muss zu Stosszeiten der Nord-Süd-Verkehr einen mindestens 20 Kilometer langen Umweg über die neue Rüdlingerbrücke durchs Flaachtal fahren – während dreier Jahre. Vom Rafzerfeld her wären die Lichtsignale so getaktet, dass die Durchfahrtsphasen kürzer würden und daher eine Umfahrung praktisch alternativlos wäre.

Umliegende Gewerbevereine sowie die Gruppierung «Freie Durchfahrt Eglisau» sind not amused. Und das ist stark untertrieben. Einige beklagen sich über «Pflästerli-Politik», andere befürchten «Dauerstau wegen Lichtsignalanlagen» und gefährliche Situationen bei der nicht dafür gedachten Umfahrung – oder alles zusammen.

Urs Remund, Präsident des Bezirksgewerbeverbands Bülach, bezeichnet insbesondere fürs Rafzerfeld die lange Bauzeit als «tödlich». «Da oben gibt es neu angesiedeltes Gewerbe – zum Beispiel ein neues Verteillager eines Onlinehändlers. Und die sehr weiträumige Umfahrung ist eine Katastrophe.» Er befürchtet, dass ein Grossteil des umgeleiteten Verkehrs statt über den Kreisel Glattfelden, der nun neu gebaut wird, über Embrach Richtung Kloten fahren wird. «Dort sind die Kapazitäten dafür nicht da.»

Gewerbevereine wehren sich

Der Bezirksgewerbeverband (BGV) hat bei seinen Einwendungen drei Hauptpunkte erwähnt: die Dauer der Baustelle über drei Jahre, die Staffelung der einzelnen Baumassnahmen – gerade die Velowege wären ohnehin nach dem Bau der Umfahrung Eglisau «für die Katz». «Ortskundige meinen, es bräuchte ihn nicht», sagt Remund dazu. Der Kulturlandverlust und gefährliche Situationen im Gewerbegebiet eingangs Eglisau sind weitere Nachteile im Zusammenhang mit dem Veloweg – letzteres Argument kam insbesondere vom Gewerbeverein Eglisau. Daher fordert der BGV, den Fokus auf dringlichen kommunalen Sanierungsbedarf von Werkleitungen oder auf die Stützung der Strasse oberhalb der Brücke wegen mangelhafter Statik zu legen. «Solche Arbeiten könnten vorgezogen werden. Die Baustelle wäre 300 Meter lang, nicht 2 Kilometer», sagt Remund. Das würde auch den Rückstau verringern.

Ein weiterer Kritikpunkt des BGV Bülach: Die Planung basiere auf einem nicht mehr aktuellen kantonalen Verkehrsmodell. Er berücksichtige zu wenig den intrakommunalen Verkehr sowie jenen aus dem nördlichen Teil des Zürcher Unterlands von und nach dem Rafzerfeld. Ebenso fänden die Auswirkungen in den Gemeinden Flaach bis Rorbas sowie im Embrachertal kaum Erwähnung. Besagte Umfahrung würde auch Kiestransporte aus dem Rafzerfeld zu einer noch weiteren Umfahrung über Rüdlingen Richtung Winterthur zwingen, «weil die Strasse über Rorbas dafür nicht ausgelegt ist».

«Dringende Sanierungsarbeiten könnten vorgezogen werden. Die Baustelle wäre dann 300 Meter lang, nicht zwei Kilometer.»

Urs Remund, Präsident Bezirksgewerbeverband Bülach

Aus Sicht vieler Eglisauer und Rafzerfelder gäbe es eine Lösung: Die geplante Ortsumfahrung Eglisau müsste vorgezogen werden. Dafür bräuchte es aber eine neue Brücke – und das dauert gemäss Kanton mehr als zehn Jahre. Auch der Gewerbeverein Rafzerfeld fordert in seiner Einwendung zum Vorprojekt eine Umkehr der Bauvorhaben: Anstatt die grosszügigen Sanierungsarbeiten mit der Umgestaltung der Ortsdurchfahrt für 60 Millionen Franken vorzuziehen, wäre aus Gewerbesicht der Fokus auf die dringend benötigte Umfahrung Eglisaus zu legen. Dies würde «die Sanierungsarbeiten erheblich erleichtern und die kostspielige Überlastung der Nebenstrassen verhindern. Damit wären auch die Ampelanlagen und die Tempo-30-Zone unnötig», schreibt Präsident Fritz Hauenstein. Weiter fordert der Verein, dass sich der Kanton nur «aufs Nötigste» wie die Belags- und Werkleitungssanierungen konzentriere, um die Bauzeit zu verkürzen und die Stausituation nicht noch weiter zu verschärfen. Das ganze Rafzerfeld werde für drei Jahre «faktisch kaltgestellt». Die geplante 20 Kilometer lange Baustellenumfahrung sei «schlicht und einfach unzumutbar» – für den Gewerbe- wie für den Individualverkehr. Und für die betroffenen Gemeinden rund um den Irchel sowieso.

Kaum verwunderlich, dass im Rahmen der Auflage des Vorprojekts über 1200 Privatpersonen, Gemeinden, Firmen, Parteien und Organisationen rund 150 Einwendungen auf der Gemeinde Eglisau platziert haben. Der Kanton wird nun die Einwendungen und Anregungen prüfen. Erst auf Januar 2024 ist die Ausschreibung geplant, worauf viele Einsprachen folgen dürften.

Ein Blick zurück

Seit den 1970er-Jahren diskutiert und debattiert Eglisau wegen einer Umfahrung. So kam bereits 1988 ein Projekt «Umfahrung Eglisau» zur Verkehrsentlastung von Eglisau in den kantonalen Verkehrsrichtplan. Erstmals kam dann 2010 die Sanierung der Ortsdurchfahrt aufs Tapet: Dringen-der Sanierungsbedarf von Brücke, Strasse und Werkleitungen wurde festgestellt. Kanton und Gemeinde waren sich einig: Die Sanierung sollte genutzt werden, um die Verkehrs- und Gefahrensituation in Eglisau zu verbessern. Der heutige Streitpunkt aber ist eher das Wie und Wann, nicht das Warum der Sanierung: Die Sanierung wurde damals zeitnah und unabhängig von der Umfahrung geplant, was aus heutiger Sicht und mit Blick auf die durch Lichtsignale und Umfahrung verschärfte Verkehrssituation bei der Sanierung kurzsichtig erscheint. Und sie ist für viele überladen.

Erschwerend für die Gemeinde Eglisau und das Rafzerfeld kommt hinzu, dass der Kanton nun die Schaffhauserstrasse bei Bülach im Hardwald auf vier Spuren ausbauen wird – die Hauptarbeiten sind ab Mitte August 2023 vorgesehen. Geplante Bauzeit: drei Jahre – also ungefähr bis zum Zeitpunkt der vom Kanton geplanten zweieinhalbjährigen Sanierung der Durchfahrt Eglisau.

Umfahrung vorziehen

In einem dringlichen Postulat, das eine Mehrheit aus SVP, FDP, EVP sowie Die Mitte im Kantonsrat unterstützte, fordert Romaine Rogenmoser (SVP, Bülach) eine Priorisierung der Umfahrung statt des 60-Millionen-Projekts – viele der Massnahmen würden durch die von langer Hand geplante Umfahrung Eglisau überflüssig.
Der Eglisauer Gemeinderat unterstützt grundsätzlich das Projekt, vor allem die nötigen Sanierungen, auch wenn er einige Optimierungen mit dem Kanton anstrebt. Die Leitungen und der Belag unter der Kantonsstrasse sowie die des Brückenkoffers seien «dringend sanierungsbedürftig». Erst kürzlich barst eine Wasserleitung an der Schaffhauserstrasse, so Gemeindepräsident Roland Ruckstuhl in der Facebook-Gruppe «Freie Durchfahrt Eglisau».

Das Flicken einer geborstenen Leitung ziehe allerdings keine «Megabaustelle» nach sich, konterte der Kantonsrat Matthias Hauser (SVP) – und äusserte die Befürchtung, dass das 300-Millionen-Umfahrungsprojekt inklusive neuer Brücke im Kanton keine Mehrheiten finden werde, wenn erst einmal die Durchfahrt Eg-
lisaus verkehrsberuhigt und saniert sei.

Mark Gasser

Chefredaktor
Zürcher Wirtschaft

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