«Das hängt von den Einsprachen ab»

Im Kanton Zürich hat der politische Wind gedreht: Bis zu 120 Windräder wären gemäss Regierungsrat Martin Neukom denkbar. In anderen Kantonen ist man weiter: In Thundorf (TG) planen EKZ ein erstes grosses Windkraftprojekt.

Bild Mark Gasser

Alfredo Scherngell (links) und Christian Schwarz vor einer Grafik mit den Standorten fürs Windkraftprojekt Thundorf.

Bild EKZ

Visualisierung des Windkraftprojekts der EKZ in aus Sicht der Gemeinde Thundorf.

Bild EKZ

Visualisierung des Windkraftprojekts der EKZ in aus Sicht der Gemeinde Thundorf.

Bild EKZ

Visualisierung des Windkraftprojekts der EKZ in aus Sicht der Gemeinde Thundorf.

Alfredo Scherngell hat Wasserkraftprojekte projektiert und betreut nun seit zwei Jahren das Windkraftprojekt der EKZ in Thundorf. Ihn erstaune «die enorme Energieproduktion mit einer einzigen Anlage bei flächenmässig kleinem Fussabdruck». Einzig die CO2-Bilanz hinke der Wasserkraft noch etwas hinterher.
Christian Schwarz ist Mediensprecher bei EKZ.


Wie kamen Sie als Zürcher Energieversorger auf Thundorf, um eine Windanlage zu realisieren?

Alfredo Scherngell: Für solche Projekte muss erst ein Eintrag im kantonalen Richtplan bestehen. Der Kanton Thurgau begann bereits im Jahr 2014 mit der Richtplanung für Windenergie. Damals «rutschte» EKZ ins Projekt, als wir in Kontakt mit der Abteilung Energie des Kantons Thurgau kamen, die uns über die Möglichkeit von Windmessungen hier informierten. Der Kanton ersuchte EKZ, die guten Windverhältnisse durch Windmessungen zu belegen. Denn ohne Windmessung will niemand investieren.

Wie sehen verlässliche Windmessungen aus?

Scherngell: In der Regel verlangt man Windmessungen auf Nabenhöhe. Früher war das kein Problem, da die Anlagen nicht so hoch waren mit bis zu 80 Meter Nabenhöhe. Heute sind sie so hoch, dass man technisch an die Grenze kommt. So mussten wir auf Hundert Meter mit dem Windmessmast messen, konnten die Resultate dann aber auf die projektierte Nabenhöhe hochrechnen. Hinzu kam eine Lidar-Laserstrahlmessung, um die Windgeschwindigkeit in der Höhe zu bestimmen.

Vor rund 10 Jahren machte EKZ etwa im nördlichsten Zürcher Zipfel, auf dem «Kohlfirst» bei Feuerthalen, auch Lidar-Windmessungen. Danach hörte man nichts mehr, auch der Kanton sah hier kein Windpotenzial. Was ist der Grund, dass sich diese Einschätzung nun für dieses und viele weitere Zürcher Gebiete geändert hat?

Scherngell: Die Windgeschwindigkeit bei diesem Hügelzug am Kohlfirst war nicht schlecht und so, dass sich Anlagen lohnen könnten. Aber wie gesagt: Der Kanton Zürich ist noch nicht soweit mit der Richtplanung.

Christian Schwarz: Man hat da noch keine Detailmessungen vorgenommen. Der Kanton ist erst auf Stufe Windpotentialstudie. Allerdings hat sich die Technologie in den letzten Jahren weiterentwickelt. Die Anlagen sind grösser geworden, und man kann andere Erträge erwarten als damals bei den ersten Messungen.

Also waren die damaligen Messungen für die Mülltonne, weil heute das Potenzial anders eingeschätzt wird?

Scherngell: Überhaupt nicht. Aber Lidar-Messungen sind etwas ungenauer als wenn man zusätzlich einen Windmessmasten aufstellt. Erstere werden in der Regel zur Kontrollmessung verwendet.

Wie redet die Bevölkerung bei der Standortauswahl der Turbinen aktuell mit?

Schwarz: Es gibt ein definiertes Richtplangebiet, das der Kanton vorgibt. Innerhalb des Gebiets kann eine Windanlage geplant werden – es gibt da aber geeignetere und wenig geeignete Standorte. Daneben muss man in diesem engen Perimeter aber auch Flora, Fauna und Mensch – Schattenwurf, Lärm und so weiter – berücksichtigen. Im Falle von Thundorf handelt es sich mehrheitlich um bewaldetes Gebiet. Wir haben in Thundorf verschiedene Informationsveranstaltungen durchgeführt, eine Begleitgruppe berufen, die Feedback rückmeldet, das dann ins Projekt einfliesst.

Scherngell: Der Unterschied zum Richtplaneintrag von 2014 ist, dass die Windanlagen grösser geworden sind. Und die lokale Bevölkerung kennt das Gebiet am besten und konnte wichtige Inputs geben. Eine Gegnervereinigung «Lebensqualität Wellenberg» fordert nun aber einen Abstand von 850 Metern zu Gebäuden, in denen sich Menschen dauerhaft oder temporär aufhalten können. Darüber muss nun im Frühling erst abgestimmt werden, daher der Marschhalt und die Aufforderung des Gemeinderats, Optimierungen abzuklären.

Wie stehen Nabenhöhe, Rotordurchmesser und gewonnene Leistung miteinander in Bezug?

Scherngell: Die Kreisfläche des Rotorblatts steigert die Produktionsmenge im Quadrat – deshalb haben auch Schwachwindanlagen, die in den letzten Jahren entwickelt wurden, grössere Rotordurchmesser als früher. Mit der Windgeschwindigkeit steigt die Energie, die durch den Wind gewonnen werden kann, gar in dritter Potenz – also exponentiell. Wenn sich z.B. die Windgeschwindigkeit verdoppelt, steigt der Energiegehalt um das Achtfache. Und je höher man geht, desto mehr Wind. Wir sagten uns: Wenn wir hier schon projektieren, dann mit möglichst hohen Anlagen. Und die Technologie schreitet so schnell voran, dass kleinere Anlagen oder Ersatzteile bald gar nicht mehr verfügbar sind. So müssen wir mit dem projektieren, was dem neuesten Standard entspricht.

Werden die Anlagen also bald noch grösser?

Scherngell: Wir sind der Meinung, dass wir bei einer Länge von 80 Metern pro Rotorblatt langsam an der Grenze angelangt sind. Das Problem ist der Transport: Man muss die 80 Meter-Teile am Stück transportieren – in engen Kurven ist man da irgendwann an der Grenze. In grossen Ebenen wie es sie in Deutschland, Frankreich oder im österreichischen Burgenland gibt, sind grosse Windparks mit 10, 15 Windanlagen möglich. Die Schweiz ist einfach zu dicht besiedelt oder auch zu hügelig. Aber auch kleinere Standorte bringen die nötige Energie.

Aber ist das Windpotenzial mit bis zu 120 Windrädern im Kanton nicht ideologisches Wunschdenken und wird der mögliche Widerstand ausgeblendet?

Scherngell: Auch der Bund korrigierte diese Zahlen 2022 massiv nach oben. Das hat meiner Meinung nach zwei Gründe: Einerseits die Möglichkeit, auch im Wald Anlagen zu realisieren – wie 6 von 8 der geplanten in Thundorf. Zweitens waren bisherigen Angaben zu den Windgeschwindigkeiten im «Windatlas» recht konservativ.

Gibt es Vorgaben zu Mindestabständen und Schattenwurf?

Schwarz: Es gibt keine Mindestabstände, sondern Lärmschutzgrenzwerte – diese einzuhalten, resultiert in bestimmten Abständen.
Scherngell: Zum Schattenwurf gibt es keine Regelung, wir übernehmen die deutschen Vorgaben. Demnach gilt es, acht Stunden kumulierten Schatten pro Jahr nicht zu übersteigen.

EKZ schreibt, dass das CO2 für Herstellung und Betrieb des Windrads schon nach wenigen Monaten amortisiert ist. Aber angesichts der Diskussionen um die Entsorgung von Windanlagen scheint das beschönigend. Wie berechnen Sie das?

Scherngell: Berechnungen zur CO2-Bilanz sind in der Tat schwierig – da macht sich jeder eine eigene Bilanz. Daher haben wir eine eigene Berechnung vorgenommen zu Thundorf: Und da kamen wir statt auf 0,5 auf 1,7 Jahre bis zur Amortisierung: Da ist dann auch Transport, Bau, Betrieb und Abriss dabei. Zum Recycling: Der Grossteil der Anlagen sind rezyklierbar und aus Beton oder Stahl oder gar werthaftem Kupfer. Das einzige, wo man noch keine ideale Lösung hat, sind die Rotorblätter. Die Glasfaser-Verbundstoffe werden heute geschreddert und als Sekundärbaustoff verwendet oder verbrannt. Es gibt aber neue Verfahren, in denen eine Trennung von Glasfaserkunststoff und Bindematerial versucht wird.

Schwarz: Es ist noch eine junge Technologie. Und erst jetzt, wo die ersten aus dem Verkehr gezogen werden, wird es zum Thema, da es bestimmte Mengen braucht, um neuartige und lohnende Recyclingformen zu entwickeln.

Windenergieanlagen haben aber mit 29 Prozent nur gerade 5 Prozent mehr Zustimmung als Atomkraftanlagen. Ist das nicht ein schlechtes Omen für zukünftige Projekte im Kanton Zürich?

Schwarz: Das Interesse an Energie ist stark angestiegen. Der nächste Winter kommt. Zudem wird die Dekarbonisierung über Elektrizität stattfinden, kurzum: Wir werden mehr Strom benötigen. Hinzu kommt das fehlende Stromabkommen mit der EU. Da tun wir gut daran, in Zukunft auch selber mehr Strom zuzubauen.
Windanlagen machen genau dann einen Unterschied, wenn man den Strom am meisten braucht und wenig Strom aus Solarenergie produziert wird. Windenergie ist ja zu zwei Dritteln Winterenergie. Das Projekt in Thundorf mit 80 Gwh würde 14 Prozent des gesamten privaten Thurgauer Energieverbrauchs produzieren.

Scherngell: Beim Projekt Thundorf spürten wir, dass das Thema Energiemangellage schon viele Menschen zum Nachdenken brachte. Es ist bewusst geworden, dass Strom nicht einfach da ist, dass er produziert werden muss, dass im Winter wenig Energie da ist – und dass man auch auf inländische Produktion angewiesen ist. Das sind alles Faktoren, die sicher zur Verbesserung des Images der Windenergie beitragen werden – auch im Kanton Zürich. Wichtig ist aber immer, die lokale Bevölkerung in den Prozess einzubinden, und auch die Standortgemeinde finanziell abzugelten.

Wird diese entschädigt?

Schwarz: Die Standortgemeinde Thundorf und die Grundeigentümer werden mit je 2,5 % des Umsatzes entschädigt. Für die umliegenden Gemeinden wird ein Fonds eingerichtet, welcher ebenfalls mit 2,5 % geäufnet wird. Die 2,5 % dürften einem jährlichen Betrag von 100 000 bis 130 000 Franken entsprechen.
Im Kanton Zürich erkannte Regierungsrat Ernst Stocker als EKZ-Verwaltungsratsmitglied, dass mehr innerkantonale Stromproduktion wichtig wäre. EKZ investierte jüngst in Windanlagen in Portugal – aber in Krisen herrscht Isolationismus…

Schwarz: Beides ist wichtig. Die Schweiz ist ja an über 40 Punkten mit ausländischen Stromnetzen verbunden. Wenn Europa genügend Strom hat, ist die Chance grösser, dass wir im Winter Strom importieren können. Daher ist es auch sinnvoll, im Ausland zu investieren.

Scherngell: Natürlich müssen die politischen Rahmenbedingungen stimmen. Deutschland hat kürzlich beschlossen, dass ein erneuerbares Energieprojekt maximal zwei Jahre bis zur Bewilligung dauern darf. Bei uns dauert das 15, 20 Jahre. Da haben wenige Investoren Interesse.

Bei uns wird Windenergie auch weniger subventioniert …

Scherngell: Bei uns werden alle Technologien subventioniert. Es gibt jetzt einen Investitionsbeitrag für Windprojekte – 60 Prozent der anrechenbaren Investitionen übernimmt der Bund als Anschubfinanzierung.

Wann wird denn nun das Projekt in Thundorf gebaut?

Scherngell: Das hängt unter anderem von Einsprachen ab. Frühestens in fünf Jahren könnte sie in Betrieb gehen: Für die Baubewilligung mit allen Planungsschritten brauchen wir wohl noch drei Jahre, gebaut ist die Anlage innert zwei Jahren.

Mark Gasser

Chefredaktor
Zürcher Wirtschaft

Ihre Meinung ist uns wichtig

Das Thema ist wichtig.

icon_thumbs_up
icon_thumbs_down

Der Artikel ist informativ.

icon_thumbs_up
icon_thumbs_down

Der Artikel ist ausgewogen.

icon_thumbs_up
icon_thumbs_down

Anzeige