Auf dem Weg zu CO2-neutralen Milchprodukten

Immer mehr Unternehmen interessieren sich für einen Wechsel von fossilen auf nachhaltige Energieträger. Die Energie-Agentur der Wirtschaft (EnAW) unterstützt KMU mit einem neuen Angebot auf diesem meist langen Weg hin zur Dekarbonisierung.

EnAW

Das Dekarbonisierungsziel der natürli züri oberland ag: CO2-neutrale Milchprodukte. Michael Sturm (l.) und Michael Ates (2. v. r.) im Gespräch mit den EnAW-Beratern Stefan Eggimann (2.v.l.) und Roman Bader.

Die G7 will es, der Bund will es und auch die natürli zürioberland ag will es: die Dekarbonisierung, den Umstieg von fossilen auf nachhaltige Energieträger. Während die G7 und der Bund bis spätestens 2050 nicht mehr Treibhausgase austossen wollen als natürliche und technische Speicher aufnehmen können, will die natürli zürioberland ag bis zur Hälfte dieses Jahrhunderts eine CO2-neutrale Herstellung der eigenen Milchprodukte ihr Eigen nennen können. Dafür erarbeitet das Unternehmen aus dem Tösstal zusammen mit der Energie-Agentur der Wirtschaft (EnAW) eine «Roadmap zur Dekarbonisierung» – eine Dekarbonisierungsstrategie, um die CO2-neutrale Milchprodukteherstellung bis 2050 realisieren zu können.

Nachhaltige Nähe
«Nachhaltigkeit ist seit eh und je Bestandteil der Philosphie von natürli», sagt Marc Heller, Geschäftsleiter der natürli zürioberland ag. Als Vertrieb von Klein-käsereien aus der Umgebung mit eigener Molkerei ist das Lebensmittelunternehmen regional verankert. Kurze Transportwege von den Milchproduzenten zu den Käseproduzenten seien wichtig für die Qualität der Milch und damit auch für die Qualität der daraus entstehenden Produkte. «Die Nähe bringt den Vorteil, dass die Milch in möglichst unveränderter Qualität direkt vom Produzenten zum Verarbeiter kommt», so
Heller.
Herzstück des 1995 gegründeten Unternehmens ist eine alte Militärhalle direkt neben dem Bahnhof Saland. Dort reifen rund 200 Tonnen Käse in einem Tonsteingewölbekeller. Dieser kommt laut Marc Heller mit sehr wenig Energie aus. Dank einer innovativen Bauweise durch den Firmengründer Fredy Bieri brauche der Keller praktisch keine Lüftung und die Temperaturregelung benötige auch kaum Energie für das Kühlen und Heizen.
Bei der hauseigenen Herstellung von Milchprodukten hingegen sieht die Sache etwas anders aus. Diese ist aufgrund des hohen Wärmebedarfs energieintensiv. Gegenüber «Fokus», dem Magazin der Energie-Agentur der Wirtschaft, bezifferte der Leiter des Facility-Managements der natürli zürioberland ag, Michael Ates, den monatlichen Heizölverbrauch der eigenen Molkerei auf rund 4000 Liter.

Abwärme nutzen
Um von diesem Verbrauch auf ein CO2-Emissionsziel von Netto-Null zu kommen, nimmt die natürli zürioberland AG ein seit dem vergangenen Sommer existierendes Angebot der EnAW in Anspruch: die «Roadmap zur Dekarbonisierung».
«Wir befinden uns mit der Roadmap noch am Anfang», sagt Heller. Inzwischen sei die Bestandesaufnahme erfolgt. Diese habe viele Stellen im Betrieb aufgedeckt, bei denen die Prozesse noch nicht optimal seien, sagt der Geschäftsleiter und gibt ein Beispiel: «Die Molkerei benötigt für die Herstellung der Milchprodukte auf der einen Seite grosse Mengen an Energie. Auf der anderen Seite betreibt natürli eine 5-Grad-Logistik. Das heisst, dass viele Bereiche gekühlt werden müssen. Mit geeigneten Prozessen und entsprechenden Systemen könnten sich die beiden Anforderungen gut ergänzen, allerdings bedarf es dazu der entsprechenden Installationen und Anlagen».
Eine solche ergänzende Lösung könnte laut einer ersten Zwischenbilanz durch EnAW-Berater Stefan Eggimann beispielsweise darin bestehen, dass das bereits bestehende hohe Abwärmepotenzial in der Molkerei mit Wärmepumpen nutzbar gemacht würde, um andere Bereiche zu kühlen.

Hohe Investitionskosten
Als Nächstes sieht die Roadmap zur Dekarbonisierung für die natürli zürioberland ag eine Prüfung der durch die EnAW-Berater vorgeschlagenen Lösungen vor. «Diese müssen aufgrund unseres beschränkten Investitionsbudgets genau analysiert und dann priorisiert werden», sagt dazu Marc Heller. Ein weiterer Vorschlag, der derzeit genau angeschaut werde, sei die Möglichkeit einer PV Anlage auf dem Dach der Militärhalle. «Da wir vor allem tagsüber produzieren, könnte der produzierte Strom auch gleich für den Betrieb verwendet werden», erklärt Heller. «Allerdings müssten wir auch bei diesem Beispiel zuerst sicherstellen, ob die Rahmenbedingungen – etwa die Statik des Gebäudes – diese Möglichkeit überhaupt zulässt.» Eine Herausforderung auf dem Weg zur Dekarbonisierung sieht Heller bei den damit verbundenen Investitionskosten. «Wir würden die Realisierung noch nachhaltigerer Produkte eigentlich gerne beschleunigen. Leider ist dies aufgrund der hohen Investitionskosten nicht möglich», sagt Heller. So würde sein Unternehmen zum Beispiel gerne LKW mit elektrischem Antrieb beschaffen. «Die Anschaffungskosten für einen solchen E-LKW betragen jedoch ziemlich genau das Doppelte eines LKW mit konventionellem Antrieb und die durch die Nutzung eines elektrisch angetriebenen Lastwagens entstehenden Minderkosten im Betrieb kompensieren diese Mehrinvestitionen erst nach mehreren Jahren.»

«Wir würden die Realisierung noch nachhaltigerer Produkte gerne beschleunigen. Leider ist dies aufgrund der Investitionskosten nicht möglich.»

Marc Heller, Geschäftsführer natürli zürioberland ag

Hilfe für Weichenstellung
Gemäss einer im vergangenen Frühling von der UBS veröffentlichten Umfrage befürwortet eine Mehrheit der Unternehmen in der Schweiz das Emissionsziel «Netto-Null». Allerdings zweifeln auch knapp die Hälfte der 2500 befragten Unternehmen, dass dieses Ziel bei den Treibhausgasen erreicht werden kann. Dies überrascht den EnAW-Berater Stefan Eggimann nicht. «Viele Unternehmen sehen nicht, wie sie die Dekarbonisierung technisch bewerkstelligen können», sagt Eggimann. Dort will die EnAW mit der Roadmap zur Dekarbonisierung ansetzen. «Wir stellen gemeinsam mit den Unternehmen einen Fahrplan auf und zeigen, welche Weichen zu stellen sind.» Damit würden die Firmen eine Investitionsplanung sowie einen Optimierungsleitfaden erhalten. Die Vorteile für eine KMU auf dem Dekarbonisierungspfad sieht Eggimann einerseits bei den dadurch ermöglichten Kostenoptimierungen. Andererseits nehme auch der externe Druck auf die Unternehmen, in Sachen Dekarbonisierung etwas zu tun, stetig zu – zum Beispiel durch Kunden, die nachhaltige Konsumgüter nachfragten, durch Glieder der Lieferketten und nicht zuletzt auch durch Investoren.

Nicht ob, sondern wann
Jürg Rohrer ist Dozent für erneuerbare Energien und Energieeffizienz an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften. Was sagt er zum Thema KMU und Dekarbonisierung? «Die Klimaerwärmung ist ein Problem, das zwingend gelöst werden muss», sagt Rohrer. «Niemand und keine Firma wird sich dem entziehen können. Es ist deshalb nicht eine Frage, ob ein KMU seinen Betrieb dekarbonisiert, sondern nur bis wann.» Der Druck von verschiedenen Seiten auf die Unternehmen werde dabei vermutlich nicht kontinuierlich wachsen, sondern bald schlagartig sehr hoch werden. «Es wird plötzlich verpönt sein, CO2 auszustossen oder Teilprodukte einzukaufen, die bei der Produktion Treibhausgase emittiert haben», so Rohrer.
Schlussendlich gehe es bei der Dekarbonisierung aber auch um Risikomanagement: Durch den Umstieg auf erneuerbare Energien reduziere ein KMU seine Abhängigkeit von schwankenden Energiepreisen sowie von steigenden Abgaben für den Ausstoss von CO2. Gleichzeitig bereite sich das Unternehmen so auf die zunehmende Nachfrage nach CO2-freien Produkten und Dienstleistungen vor. Und für KMU sieht Rohrer bei der Dekarbonisierung einen speziellen Vorteil: «Kleine und mittlere Firmen sind wesentlich agiler als Grossfirmen und können sich deshalb rascher an diese neuen Anforderungen anpassen.»

Marcel Hegetschweiler

Fachjournalist Wirtschaft und Gesellschaft

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