«CO₂ ist die neue Währung»
Die Stromversorgerin EKZ hat im strategischen Zielbild einen signifikanten Beitrag zur Dekarbonisierung verankert. EKZ-Nachhaltigkeitsmanagerin Cornelia Wolf erklärt, warum die Stromzählung digitalisiert wird, wieso bald Pflanzenöl in den EKZ-Autos mitfährt und weshalb man auch beim Stromunternehmen Nachhaltigkeit nicht nur in Watt, sondern in CO2-Einheiten misst.
26. Oktober 2024 Mark Gasser
Cornelia Wolf stellt die verschiedenen «Scopes» vor, welche für verschiedene Player Treibhausgasemissionen ausweisen: Energieproduzent, Energieversorger und Energiekunde.
Cornelia Wolf stellt die verschiedenen «Scopes» vor, welche für verschiedene Player Treibhausgasemissionen ausweisen: Energieproduzent, Energieversorger und Energiekunde.
Seit 2008 legt EKZ jährlich Rechenschaft über die Umsetzung ihres verantwortungsvollen Geschäftsmodells ab und folgt dabei den Vorgaben des GRI-Standards (Global Reporting Initiative). Wie definiert EKZ «verantwortungsvoll»?
Cornelia Wolf: Wir verwendeten von Anfang an anerkannte Standards. Und der GRI ist weltweit einer der meistverwendeten Standards. Aber damals waren wir fast Pioniere sowohl bei dessen Verwendung, als auch bei der Nachhaltigkeitsberichterstattung. Wir definieren Massnahmen anhand des GRI in den Bereichen Wirtschaft, Umwelt und Soziales. Wo man genau Nachhaltigkeit misst, ist jeweils Sache des Unternehmens. Das ist ähnlich wie bei der ISO-Zertifizierung. Ich selber bin erst seit 15 Monaten bei EKZ, aber meine Vorgänger haben da wichtige Vorarbeit geleistet. Und ich bin froh, in einem Unternehmen zu arbeiten, das diesen Standard schon so lange verankert hat.
Für EKZ bedeutet verantwortungsvolles Handeln, ökologisch unbedenklich, sozial akzeptiert und ökonomisch tätig zu sein. Dabei sollen die Bedürfnisse der aktuellen und kommenden Generationen berücksichtigt werden. Verantwortungsvolle Massnahmen haben einen positiven Einfluss auf gesellschaftliche und globale Lösungen und reduzieren negative Folgen aus der Tätigkeit von EKZ.
Es gibt kaum ein Grossunternehmen, das mittlerweile nicht Nachhaltigkeit zelebriert und gegen aussen auch vermarktet. Wie vermeidet es EKZ, dem Vorwurf des Greenwashings ausgesetzt zu werden?
Wolf: Wir erledigen erst die Arbeit und berichten danach möglichst neutral und unaufgeregt darüber – und wir wollen schon gar nicht vorankündigen. Das heisst im Zweifelsfall, eher höhere Emissionsfaktoren als niedrigere und freiwillig Emissionen auszuweisen. Auf unsere Initiative und auf die weiterer Energieunternehmen hin wurde dieses Jahr eine Arbeitsgruppe mit unserem Branchenverband VSE ins Leben gerufen, um einen Branchenleitfaden zu Emissionsfaktoren zu erstellen. Bevor dieser Branchenstandard gilt, legen wir die Werte relativ hoch an, um nicht angreibar zu werden.
Erklären Sie doch kurz, was ein Emissionsfaktor ist und was das mit Energie oder CO₂ zu tun hat – jetzt, wo ja Nachhaltigkeit immer in CO₂-Äquivalenten gemessen wird…
Wolf: Es handelt sich dabei um einen Umwandlungsfaktor von Werten, zum Beispiel von Energie (in kWh), Kilo- oder Quadratmetern, die dann eben mit dem Emissionsfaktor multipliziert werden, was in vergleichbaren Tonnen CO₂ resultiert. Daher ist es nicht vermessen zu sagen: CO₂ ist die neue Währung! Denn als Standard wird das internationale Greenhouse Gas (GHG) Protocol verwendet. Als Energieunternehmen würden wir lieber über Energie statt über CO₂ sprechen, um zu zeigen, wie energieeffizient wir sind. Alles unter der Prämisse von CO2-Äquivalenten anzuschauen, ist demgegenüber recht abstrakt. Bei Energie kann man sich darunter schon eher etwas vorstellen, etwa wenn man Geräte kauft…
Die CO2-Intensität gibt an, wie viel Kohlendioxid bei der Verbrennung eines Energieträgers pro erzeugter Energiemenge entsteht. Zur Bestimmung der Emissionsfaktoren (EF) in t CO₂/t wird der Kohlenstoffgehalt des Brenn- oder Treibstoffs bestimmt.
Bei den Personenwagen-Neuzulassungen liegt der Anteil der elektrischen EKZ-Autos aktuell bei über 60% – Tendenz steigend. Im Bereich der E-Transporter ist das Angebot der Hersteller noch knapp. Kommen für EKZ andere Antriebsarten wie Wasserstoff oder synthetische Treibstoffe nicht infrage?
Wolf: Die Strategie von EKZ ist, die Flotte zu elektrifizieren, wo es möglich ist. Gewisse Fahrzeuge gehören zur «kritischen Infrastruktur» und werden nicht elek-trifiziert. Diese, zum Beispiel Netzersatzanlagen und Spezialfahrzeuge, werden idealerweise mit alternativen Treibstoffen (synthetische Treibstoffe, hydriertes Pflanzenöl, Biodiesel) betankt. Leider steckt die Verfügbarkeit der Treibstoffe noch in den Kinderschuhen und wir sind nicht die Einzigen, die sich um diese Treibstoffe bemühen. Gerade bei den grösseren Transportfahrzeugen ist die Elektrifizierung aber noch eine grosse Herausforderung – wenn noch eine Batterie drin ist, kommt weiteres Gewicht hinzu. Anbieter wie VW haben ab Ende 2025 Fahrzeuge auf dem Markt, die genügend Platz auch für alle unsere benötigten Werkzeuge bieten.
Ein Pilot läuft aber mit hydriertem Pflanzenöl (HVO). Momentan sind drei Autos im Einsatz, die in Schlieren das HVO tanken können.
EKZ setzt sich gemäss Nachhaltigkeitsbericht dafür ein, bis zum Jahr 2030 alle direkt beeinflussbaren Treibhausgasemissionen zu reduzieren, elektrisch oder mit synthetischen Treibstoffen zu fahren und die verbleibenden Emissionen durch Kompensationsmassnahmen auszugleichen. Welches sind die direkt beeinflussbaren Treibhausgasemissionen?
Wolf: Generell sprechen wir bei den Treibhausgasen von drei «Scopes». Scope 1 umfasst alle Treibhausgase, die wir selber emittieren. Bei EKZ sind alle fossil betriebenen Fahrzeuge relevant, da sie zwei Drittel unserer Scope-1-Emissionen ausmachen: Diesel- und Benzinfahrzeuge, und darunter grosse Lastwagen und mobile Netzersatzanlagen. Zudem haben wir flüchtige Gase wie SF6 in gasisolierten Schaltanlagen, die rund einen Viertel von Scope 1 ausmachen. Dieses Treibhausgas ist rund 25 000 mal schädlicher als CO₂. Deshalb wollen wir Schritt für Schritt davon wegkommen, weshalb wir in den letzten beiden Jahren Massnahmen eingeleitet haben. Erstens werden neue und bestehende Unterwerke nur noch mit dem Isoliergas g3 (90% weniger Emissionen) ausgerüstet. Zweitens wollen wir ab 2025 Fluorgas-freie gasisolierte Mittelspannungs-Kompaktschaltanlagen in den Trafostationen einsetzen. Auch die fossilen Gebäudeheizungen – also Gas- und Ölheizungen –, welche rund 10% von Scope 1 ausmachen, werden bereits seit Jahren zu Wärmepumpen oder Fernwärmeanlagen umgerüstet.
Bei Scope 2, den indirekten Emissionen, handelt es sich vor allem um Netzverluste, da bei der Übertragung von Strom Wärme erzeugt wird. Diesen Verlust müssen wir zusätzlich einkaufen.
Megatrends wie der Klimawandel, die Energieknappheit und der demografische Wandel beeinflussen die Produkte und Dienstleistungen von EKZ. «Wir helfen unseren Kundinnen und Kunden, nachhaltiger zu werden»: Das bezieht sich ja nun auf Scope 3, die EKZ nachgelagerten Emissionen bei den Kunden. Wie geschieht diese Sensibilisierung?
Wolf: Wir haben ein ganzes Team, das sich darum kümmert, mit Kunden die Energietransition zu erreichen. Das beginnt beim Strombezug, umfasst aber auch Energieeffizienzberatungen, smarte, digitale Gebäudelösungen für Strom und Wärme oder die Installation von PV-Zellen auf dem Dach oder Ladestationen für E-Mobility. Oder intelligente Lösungen im Haus – dass etwa Geräte miteinander kommunizieren und den Energieverbrauch optimieren. Allgemein wird EKZ vermehrt auf Digitalisierung setzen, auch beim Netzbau.
In der Gemeinde Winkel (ZH) testen wir zudem, wie wir im Zuge der Umsetzung der Energiestrategie 2050 bei mehr PV-Last und höherem Stromverbrauch weniger Netze ausbauen können. Idee des Pilotprojekts «OrtsNetz» mit der ETH Zürich und dem Bundesamt für Energie ist es, das Netz zu entlasten, indem lokal produzierter Solarstrom direkt vor Ort verbraucht wird – etwa für den Betrieb der Wärmepumpe oder das Laden des Elektroautos.
Netzverluste (aktuell Graustrom, Scope 2) werden durch den Erwerb von Herkunftsnachweisen (Schweizer Wasserkraft), verteilt von 2024 bis 2030, ausgeglichen. Können Sie das kurz erklären?
Wolf: In diesem Jahr haben wir begonnen, dezidiert Schweizer Wasserstrom-Herkunftsnachweise (HKN) zu beschaffen, um die Netzverluste auszugleichen. Dank dem HKN ist auch garantiert, dass das jeweilige Kraftwerk in der Schweiz für uns produziert. Die HKN werden in einem nationalen Herkunftsnachweis verwaltet. Dieses wird in der Schweiz von Pronovo AG betrieben. Pronovo ist die akkreditierte Zertifizierungsstelle, die unter der Aufsicht des Bundesamtes für Energie für die Erfassung von HKN und die Abwicklung der Förderprogramme für erneuerbare Energien des Bundes zuständig ist.
Wird die EKZ auch Wasserkraftwerke übernehmen oder in bestehende investieren?
Wolf: EKZ hat das strategische Ziel, das Portolio an heimischer Wasserkraft auszubauen. Es ist sehr schwierig, aktuell an Wasserkraft zu kommen. Wir betreiben aber bereits zwei Wasserkraftwerke: eines in Dietikon, das kürzlich saniert und wo kompensatorische Massnahmen (etwa ein Naherholungsgebiet) realisiert wurden, das andere am Sihlufer (Kraftwerk Waldhalde).
Energieproduzenten, aber auch Energieversorger wie EKZ haben so gesehen eine recht grosse Verantwortung, um die drohende Stromlücke zu verhindern…
Wolf: Deshalb sind wir auch an Grossprojekten mitbeteiligt, etwa beim Windprojekt in Thundorf, wo wir bestrebt sind, erneuerbare Energien auf grosser Fläche einzusetzen. Aber das ist noch nicht überall bei der Bevölkerung angekommen – man will die Stromproduktion nicht so nah und dezentral. Das zeigt sich etwa bei rund einem Viertel der alpinen Projekte im Rahmen des Solarexpress (erleichterte Bewilligung von PV-Grossanlagen, die Red.). Die Akzeptanz von Wasserstrom und von selbst produziertem Strom ist hingegen gross.
Wie geht EKZ beim Rezyklieren vor und entstehen neu rezyklierte, umweltschonende Materialien?
Wolf: Seit Jahrzehnten haben wir ein Logistikcenter in Dietikon, wo alle Materialien gesammelt werden. Ein Logistikunternehmen holt diese dann ab und verwertet sie. So erreichen wir seit Jahren eine hohe Recyclingquote bei EKZ. Wir recyceln Kupfer, Aluminium, Metalle, Kunststoffe, Stromzähler, Elektronik, Papier/Karton und sogar Kabel und Kunststoffrohre – insgesamt über 600 Tonnen Material. Das ist ein Kreislauf. Zum Beispiel werden Kunststoffrohre recycelt und über Lieferanten wieder in neue Kabel verbaut. Auch beim Verbauen oder beim Einkauf von Materialien achten wir auf Nachhaltigkeit.
Mark Gasser
Chefredaktor
Zürcher Wirtschaft
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