Bildung muss im Körper sitzen, sonst bleibt der Kopf hors sol

Alle reden von Bildung. Doch was ist das eigentlich? Das, was wir im Kopf haben? Werde ich als Redner auf der Bühne vorgestellt, scheint die wichtigste Frage stets zu sein: Was hat er im Kopf? Nicht: Was kann er? Sondern: Was hat er studiert? Okay, Philosophie & Physik. Bloss, was hat das mit mir zu tun? Bin ich studierte Physik? Besser charakterisiert fände ich mich so: Er gewann mit 18 diverse Grümpelturniere im Kanton Luzern. Wäre typischer für mich. Für Temperament, Charakter, Leidenschaft. Und darauf kommt es doch an, im Leben wie im Beruf, oder?

Höchste Zeit also, Bildung vom Kopf auf die Füsse zu drehen. Denn: Kommt der Körper nicht in Schwung, dümpelt auch der Intellekt vor sich hin. Überlegen Sie mal: Was war Ihre wichtigste Bildung? Bei mir ganz klar die körperliche, sogar dreifach. Erstens. Mit acht Jahren wurde ich Chef des familiären Kartoffelackers – und es erwachte das Bewusstsein: Es kommt auf mich an. Und damit: Verantwortung, Aufmerksamkeit, Interesse. Zweitens. Mit 17 kam ich zufällig nach Magglingen. Leichtathletik, Mehrkampf. Bewegung, Appetit an Leistung, Selbstvertrauen. Drittens. Mit 20 Anlauf als Gesangssolist. Mit Musik die innere Bewegtheit: Interesse am eigenen Ton, der eigenen Lebensmelodie.

So kann ein Mensch Mensch werden. Kartoffelacker, Leichtathletik, Gesang. Alles körperlich, praktisch, sinnlich: handeln, bewegen, innerlich bewegt sein. Bildung kommt von lateinisch Formatio = Formung. Wie forme ich mich? Muss ich nur den Kopf mit Wissen füttern? Später, okay. Erst stärke ich besser, was mich belebt: Bewegungslust, Leistungsfreude, Widerstandskraft. Danach kann der Kopf prima loslegen: mit Wissen, Denken, Träumen. Der Kopf gehört zum Körper, nicht umgekehrt.

In Bad Homburg spielt man das real durch. Seit Jahren gibt es in der Schule täglich eine Stunde Turnen für alle. Das Ergebnis, umwerfend: 1. Die Kinder sind körperlich fit, bewegungserpicht, taktil geschickt. 2. Das soziale Klima profitiert, null Gewalt im Schulareal, Aggressionen und Gockelkämpfe tragen sich spielerisch aus. 3. Obwohl «Kernfächern» weniger Zeit bleibt: linear bessere Leistungen, die Schüler sind aufmerksamer, ruhiger, konzentrierter, ausdauernder.

Sollte uns nicht erstaunen. Der Mensch ist kein vom Himmel gefallener Engel, eher ein Spätausläufer des Affen, die Evolutionsleiter hinanstolpernd. Was hilft ihm beim Stolpern? Kraft, Beweglichkeit, Ausdauer, Vorwärtslust. Wo gewinnt er das? Beim Tun, beim Sport. Wie weit schaffte ich es damals beim Weitsprung? Genau weiss ich es nicht mehr. Noch aber kenne ich die Freude, die ich beim Anlaufen empfand, beim Temposteigern, beim Abheben. Die Freude, Ursache zu sein, Ursache von Bewegung, meiner Bewegung. Akteur zu sein, nicht Anhängsel. Motto fürs Leben: Ich spiele – damit mir nie mehr mitgespielt werde.

Voilà. So in Form gebracht, kann es mit Wissen erst losgehen. Ich stopfe es dann nicht in mich hinein. Ich kann es bewegen, beleben, kann mit ihm etwas Schlaues anfangen.

Ludwig Hasler

Philosoph, Physiker, Autor und Menschenkenner lhasler@duebinet.ch

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