Berufslehren im Wandel

Digitalisierung und Energiewende treiben den Wandel in der Berufswelt voran. Bestehende Berufsbilder werden revidiert oder verschwinden. Dass neue Ausbildungsberufe geschaffen werden, bleibt allerdings eher die Ausnahme.

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Die neue Solarlehre: Mittel gegen den Fachkräftemangel und für die Professionalisierung der Branche.

Viele Berufslehren sind derzeit in einem Wandel – bestehende werden revidiert oder verschwinden, neue entstehen. Während früher Lehrberufe wie Schreiner, Zimmermann oder Bäcker auf der Rangliste ganz oben standen, wurden diese abgelöst durch neue «Trends» wie Mediamatiker/in, Entwickler/in digitales Business oder Solarinstallateur/in. Dabei zeigt sich allerdings auch: Es werden nur wenige Berufe ganz neu geschaffen, vielmehr werden alte weiterentwickelt. «Vor ein paar Jahren ist man davon ausgegangen, dass viele Berufe verschwinden und ganz neue Berufsbilder kommen werden», sagt Rolf Fel-ser, Bereichsleiter am Zentrum für Berufsentwicklung an der Eidgenössischen Hochschule für Berufsbildung (EHB). Diese Prognosen hätten sich jedoch nicht bewahrheitet: «Vielmehr haben sich bestehende Beruf so weiterentwickelt, dass sie teilweise etwas ganz anderes machen als noch vor zehn Jahren», so Felser.

Digital- und energiegetrieben

Es sei daher verblüffend, wie wenig neue Berufe es gäbe und wie sich alte Ausbildungsberufe jeweils den Begebenheiten anpassen würden. Zahlen bestätigen dies: Seit Juli 2022 hat das Staatssekretariat für Bildung, Forschung und Innovation (SBFI) 44 Berufe genehmigt oder revidiert. Davon sind 38 in der höheren Berufsbildung angesiedelt. Insgesamt sind nur drei Ausbildungen neu entstanden und 41 wurden angepasst. Neben «Entwickler/in digitales Business» (S. 23), einer beruflichen Grundbildung mit eidgenössischem Fähigkeitszeugnis, entstanden zwei neue Berufe im tertiären Bereich: «Diätkoch/Diätköchin mit eidgenössischem Fachausweis» und «dipl. Gebäudeautomatiker/in HF». Laut Rolf Felser hätten vor allem die Digitalisierung und Energiewende den Wandel vorangetrieben. Durch sie wurden die Inhalte vieler Berufslehren angepasst. «Neue Technologien wie Wärmepumpen haben etwa die Arbeit von Heizungsinstallateuren stark verändert. So sehr, dass die Berufslehre heute vier statt drei Jahre dauert», sagt Felser.

Neues Berufsbild: Ein langer Weg

Ideen für komplett neue Berufe seien in den einzelnen Branchen viele vorhanden, die wenigsten würden jedoch in einer Ausgestaltung einer neuen Berufslehre enden. Denn der Weg bis zum neuen Berufsbild ist komplex. Rolf Felser sagt dazu: «In der Schweiz entscheidet nicht, wie in vielen anderen Ländern, die Politik über die Neuschaffung eines Berufes. Vielmehr bestimmt das die Arbeitswelt mit vielen beteiligten Stellen». Damit die Idee für eine neue Berufslehre offiziell weiterverfolgt wird, braucht es etwa einen Berufsverband, und es muss belegt werden, dass genug Firmen das Bedürfnis nach diesen Lernenden haben. Dadurch soll sichergestellt werden, dass nur neue Berufsbilder geschaffen werden, die es langfristig auch wirklich braucht. «Die Schweiz ist damit einzigartig und die Jugendarbeitslosigkeit so tief wie in keinem anderen Land.»

Bestehende Beruf haben sich so weiterentwickelt, dass in ihnen teilweise etwas ganz anderes gemacht wird als noch vor 10 Jahren.

Rolf Felser, Zentrum für Berufsentwicklung an der EHB

In Rekordzeit entstanden: Solarinstallateur

Manchmal ist das Bedürfnis nach neuen Berufen aber so gross, dass diese in Rekordzeit entstehen. So wie die zwei neuen Berufslehren «Solarmonteur/in EBA» und «Solarinstallateur/in EFZ», welche ab dem Schuljahr 2024/25 angeboten werden. «Bei der Planung waren sich alle Beteiligten über den Inhalt und über die Relevanz der neuen Berufe einig. In nur einem Jahr sind diese entstanden», weiss Rolf Felser. Laut dem Solarverband Swissolar soll mit den neuen Solarlehren dem Fachkräftemangel in der rasch wachsenden Schweizer Solarwirtschaft begegnet und die Professionalisierung der Branche vorangetrieben werden. Ihm zufolge umfasst die Schweizer Solarwirtschaft derzeit zirka 10 000 Vollzeitstellen. Bis 2050 soll sich diese Zahl mehr als verdoppeln. Die heutigen Solarinstallateure kommen aus verschiedensten Bereichen, sie sind z.B. Dachdecker, Elektroinstallateure oder Fachhochschulabsolventen.


«Der Beruf wurde innerhalb eines Jahres entwickelt»

Mit der neuen Berufslehre «Entwickler/in digitales Business» soll der Nachwuchs ins wachsende Digitalisierungsfeld geholt werden. Nach dessen Etablierung sollen noch mehr KMU mitziehen. Steven Walsh ist Präsident B&Q Mediamatik & digitales Business bei ICT Berufsbildung Schweiz und bei Swisscom in der Berufsbildung tätig.

Bild PD

Steven Walsh, Präsident B&Q Mediamatik & digitales Business bei ICT Berufsbildung Schweiz / Berufsbildner bei Swisscom.

Seit diesem Sommer existiert mit «Entwickler/in digitales Business» eine neue Berufslehre. Wie viele Lehrlinge haben mit der Ausbildung gestartet?

Steven Walsh: Gesamtschweizerisch konnten rund 100 Ausbildungsplätze vergeben werden. Bei Swisscom haben 20 junge Frauen und Männer mit der Lehre als «Entwickler/in digitales Business» begonnen. Die Lehrstellen bei uns waren übrigens im «Nu» weg.

Und das, obschon der Beruf noch relativ unbekannt ist?

Walsh: Die Bekanntheit nimmt konstant zu und wir haben den neuen Lehrberuf einerseits an den SwissSkills promotet, sind andererseits aber auch medial stark präsent. Wir waren positiv überrascht, wie gross die Nachfrage bereits in diesem ersten Jahr war und wie gut sich die Bewerberinnen informiert hatten. In Zukunft soll das Lehrstellenangebot weiter ausgebaut und vor allem auch junge Frauen angesprochen werden. Unser Ziel ist es, 50 Prozent der Lehrstellen an Frauen zu vergeben. Derzeit liegen wir bei 30 Prozent.

Aktuell bieten etwa 70 Firmen Lehrstellen als «Entwickler/in digitales Business» an, davon sind viele Grossunternehmen und grosse KMU. Werden kleinere KMU nachziehen?

Walsh: Vereinzelt sind bereits kleinere KMU dabei. Ich bin überzeugt, dass sich die Ausbildung rasch etablieren wird und dann viele KMU ausbilden werden. Die Digitalisierung im Sinne des Kundengeschäftens ist noch eher jung. Viele KMU haben dieses noch nicht auf dem Radar; da wird sich in Zukunft aber vieles ändern. Denn Digitalisierung durchdringt unser Leben auf allen Ebenen.

Wie ist die Idee zum neuen Ausbildungsberuf entstanden?

Walsh: Alle fünf Jahre findet eine Berufsrevision des Staatssekretariats für Bildung, Forschung und Innovation (SBFI) statt. Bei der letzten Informatikrevision wurde erkannt, dass viele Themenfelder in den heutigen Informatikberufen nicht abgedeckt werden. Wir haben das dann genauer beleuchtet und erkannt, dass Potenzial für eine neue Lehre besteht. So kam der Stein ins Rollen: Eine Arbeitsgruppe aus Vertretern von Schule, Kantonen und Firmen wurde zusammengestellt und das Berufsprofil definiert. Erst dann haben wir uns auf den Inhalt fokussiert. Da wir uns alle schnell einig waren, war der neue Beruf innerhalb von gut einem Jahr entwickelt.

Anna Birkenmeier

Redaktion Zürcher Wirtschaft

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