Auf Englisch backen, hobeln und pflegen lernen
Mit bilingualem Unterricht entwickeln Lernende berufsrelevante Kompetenzen parallel in zwei Sprachen: Deutsch und Englisch. «bili» wird in der beruflichen Grundbildung an Berufsfachschulen und Berufsmaturitätsschulen angeboten. Wir sprachen mit bili-Lehrperson Gertrud Peccolo von der BBW in Winterthur.
18. Dezember 2024 Mark Gasser
Der bilinguale Fachunterricht (bili) – hier Lernende der BBW Winterthur im englischen Shrewsbury – ist die praxisnahe Fremdsprachenförderung in der Berufsschule.
Der bilinguale Fachunterricht (bili) – hier Lernende der BBW Winterthur im englischen Shrewsbury – ist die praxisnahe Fremdsprachenförderung in der Berufsschule.
Gertrud Peccolo, wie und in welchen Berufsschulen entstehen bili-Klassen?
Gertrud Peccolo: Die Schaffung von Klassen mit bili-Unterricht hängt einerseits zusammen mit den verfügbaren Lehrpersonen, anderseits mit dem Bildungsplan des jeweiligen Berufes. Also mit Berufen, in denen man das Englisch fördern will. Und es muss auch Interesse bei den Lernenden vorhanden sein, denn es ist freiwillig. Sie entscheiden sich, dass sie den Unterricht geniessen möchten.
Wie sieht der Unterricht denn aus?
Peccolo: bili fühlt sich für die Beteiligten nicht wie Sprachunterricht an. Denn das eigentliche Sachfach, wie zum Beispiel Allgemeinbildender Unterricht, steht im Vordergrund: Der Fachunterricht wird durch einen bilingualen Teil ergänzt, etwa mit Begriffen, die in den USA oder in England verwendet werden. Und das bedingt eine sehr gute didaktische Aufbereitung und Strukturierung durch die Lehrperson. Und dann profitieren die Lernenden auch, denn sie erleben Sprache ganz anders.
Ich unterrichte ja das Fach Allgemeinbildung. Wenn ich eine Sequenz Politik durchführe, ist der Wortschatz auf Deutsch schon anspruchsvoll: Exekutive, Judikative, Gewaltenteilung – solche Begriffe auf Englisch zu verstehen, bedingt, sie auf Deutsch bereits verstanden zu haben. Deshalb absolvieren die Lehrpersonen eine spezielle Ausbildung für den bili-Unterricht.
Gibt es auch Austausch mit englischsprachigen Ländern?
Peccolo: Teilweise. In der Fachrichtung Bäcker gibt es seit einigen Jahren einen Auslandaufenthalt: So reisten die Lernenden für vier Wochen nach Norwich, England, davon genossen sie zwei fachspezifische Wochen Sprachunterricht. Danach arbeiteten sie zwei Wochen in Betrieben – in Bäckereien etwa oder Hotels. Dann kam uns aber einerseits die Pandemie, anderseits der Brexit wegen der Arbeitsbewilligungen dazwischen. Danach fanden wir aber wieder einen Ort in England, Shrewsbury, um diese Aufenthalte wieder einzuführen. So kamen die Bäcker- und erstmals auch die Schreiner-Lernenden in den Genuss eines Aufenthalts in England. Dort findet die Berufsbildung an Colleges statt – mit Werkstätten, ein wenig vergleichbar mit den überbetrieblichen Kursen (ÜK). Und weil das College eine Schule ist, braucht es dafür keine Arbeitsbewilligung, es gilt als eine Art Betriebspraktikum. Da gibt es auch ein Restaurant, das von Lernenden betrieben wird. Unsere Bäcker-Lernenden im zweiten Lehrjahr wurden da integriert. Sie bereiteten mit den Köchen Essen und einen Afternoon-Tee mit Swiss Touch zu. An der BBW gibt es auch bei den Informatikberufen Mobilitätsprojekte mit Aufenthalten in Shanghai oder Stockholm.
Waren die Schreiner-Lernenden ihren gleichaltrigen Kollegen im College nicht weit voraus?
Peccolo: Eine Gruppe Schreiner-Lernende im 3. Lehrjahr reiste nach der grossen Teilprüfung hin. Sie waren nicht nur ausbildungs-, sondern auch ausstattungsmässig auf sehr hohem Niveau. Als die Lernenden die Werkstatt sahen, sagten sie: Da sieht es ja aus wie in den 1950er Jahren! Sie sind modernere Ausrüstung und Maschinen gewohnt. Aber sie profitierten sehr, da das Handwerk im Vordergrund stand. Auch das Material war schwieriger zu bearbeiten. Sie bauten eine Wendeltreppe und wurden am Schluss beurteilt. Sie profitierten aber nicht nur fachlich, sondern auch kulturell und sprachlich – nicht zuletzt, weil sie in den Gastfamilien die Sprache benutzten.
Das war ein Pilotprojekt. Wie geht es weiter?
Peccolo: Wir haben vor, den Austausch mit der bili-Klasse bei den Schreinern jedes Jahr durchzuführen – für die bilinguale von insgesamt vier Parallelklassen in Winterthur. Das ist auch erst möglich, seit wir die Schreiner-Lernenden von Wetzikon erhalten und nun vier Parallelklassen haben. So ist es uns aufgrund der Anzahl Klassen möglich, eine bili-Klasse zu führen – wie bei den Bäckern.
Es gibt auch andere Schulen im Kanton mit solchen Austauschprojekten, etwa die Gesundheitsberufe in Winterthur: Sie reisten mit ihren Lernenden nach Tansania. Als Vorbereitung waren sie auch im interkulturellen Workshop, den auch unsere Lernenden besuchten.
Die Lernenden sind auf einem unterschiedlich hohen Niveau, man holt sie in der Sprache da ab, wo sie stehen. Aber die stärkeren helfen jeweils den schwächeren. Das fördert auch den Zusammenhalt und die Solidarität.
Gertrud Peccolo ist bili-Lehrperson und bili-Fachgruppenleiterin an der BBW in Winterthur.
Elias Birchmeier ist Beauftragter Bilingualer Unterricht beim Mittelschul- und Berufsbildungsamt Kanton Zürich
Sicht des Gewerbes: Berufsrelevante Kompetenzen in Fremdsprachen entwickeln
Im Kanton Zürich seit 25 Jahren, in anderen Kantonen auch seit Jahren, ist bilingualer Unterricht heute wesentlicher Bestandteil an Berufsfachschulen. Das Angebot ermöglicht, die auf Volksschulebene erlangten Sprachkompetenzen zu erhalten und weiterzuentwickeln. Der zweisprachige Unterricht erhöht die Chancen der Lernenden auf dem Arbeitsmarkt. Im Kanton Zürich wird derzeit an 19 Berufsfachschulen bilingualer Unterricht angeboten. In einigen Berufsfachschulen wird der zweisprachige Unterricht mit Praktikums- und Sprachaufenthalten ergänzt.
Vor ein paar Jahren kam eine Evaluation der Universität Freiburg zum Schluss, dass Sprachen in der Berufswelt immer häufiger als Schlüsselqualifikation angesehen werden. Daran hat sich bis heute nichts geändert. «Die berufliche Handlungsfähigkeit, welche aus Fachkompetenz, Personalkompetenz, Sozialkompetenz und Methodenkompetenz zusammengesetzt ist, beinhaltet auch Sprachkompetenzen als transversale Kompetenz. Gleichzeitig werden Sprachkompetenzen auch für die Selbstverwirklichung, für kulturelle Begegnungen und soziale Kontakte als wichtig empfunden», so die Erkenntnis der Untersuchung. Sie hat weiter gezeigt, dass der zweisprachige Unterricht auch für die Lehrpersonen in Bezug auf die Schulentwicklung positiv ist. Dabei geht es nicht um klassischen Sprachunterricht. Im bilingualen Unterricht entwickeln Lernende berufsrelevante Kompetenzen parallel auf Deutsch und in der Regel auf Englisch und verbessern so ihre beruflichen Perspektiven in einer zusehends international ausgerichteten Wirtschaft.
Aus Sicht des Schweizerischen Gewerbeverbands sgv ist diese Entwicklung begrüssenswert. Mindestens ein Drittel der KMU ist exportorientiert. Für viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter werden Fremdsprachenkenntnisse zur Voraussetzung, um im beruflichen Alltag überhaupt bestehen zu können. Englisch dürfte in Zukunft an Bedeutung gewinnen – nicht nur, weil Englischkenntnisse in der Wirtschaft grundsätzlich notwendig sind, sondern auch weil die Motivation bei Jugendlichen für Englisch höher und die Hemmschwelle tiefer sein dürfte als im Französischen. Im Kanton Zürich sind bilinguale Klassen mit Französisch grundsätzlich möglich, kommen aber mangels Interesses oft nicht zustande.
Die Visibilität des bilingualen Unterrichts sollte verbessert werden. Wichtig ist Freiwilligkeit, was auch für das Qualifikationsverfahren gelten soll. Der Lehrbetrieb muss informiert sein und soll seine Position zum bili-Unterricht abgeben dürfen. So kann er für alle zum Gewinn werden.
Dieter Kläy, Ressortleiter Berufsbildung beim sgv
Mark Gasser
Chefredaktor
Zürcher Wirtschaft
Info
Bilingualer Unterricht in a nutshell
Zweisprachiger oder bilingualer Unterricht ermöglicht es, die auf Volksschulebene erlangten Sprachkompetenzen zu erhalten oder zu verbessern. Dies ist besonders bei denjenigen Berufen relevant, bei welchen Englisch nicht als Pflichtfremdsprache im Stundenplan beinhaltet ist. Durch bilingualen Unterricht werden somit die Chancen der Lernenden auf dem Arbeitsmarkt im In- und Ausland erhöht.
Bilingualer Unterricht ist Fremdsprachenförderung in der Berufsbildung und wird im Kanton Zürich seit 1999 angeboten. Kantonsweit werden im aktuellen Schuljahr mehr als 2800 Lernende an 19 Berufsfachschulen in rund 50 Berufen in verschiedenen Fächern zweisprachig unterrichtet. In verschiedenen Berufen werden zweisprachige Abschlussprüfungen durchgeführt und der Erfolg in den Fähigkeitszeugnissen ausgewiesen. In einigen Berufsfachschulen wird bili mit Praktikums- und Sprachaufenthalten ergänzt.
Elias Birchmeier, Beauftragter Bilingualer Unterricht beim Mittelschul- und Berufsbildungsamt Kanton Zürich
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Bilingualer Unterricht in a nutshell
Zweisprachiger oder bilingualer Unterricht ermöglicht es, die auf Volksschulebene erlangten Sprachkompetenzen zu erhalten oder zu verbessern. Dies ist besonders bei denjenigen Berufen relevant, bei welchen Englisch nicht als Pflichtfremdsprache im Stundenplan beinhaltet ist. Durch bilingualen Unterricht werden somit die Chancen der Lernenden auf dem Arbeitsmarkt im In- und Ausland erhöht.
Bilingualer Unterricht ist Fremdsprachenförderung in der Berufsbildung und wird im Kanton Zürich seit 1999 angeboten. Kantonsweit werden im aktuellen Schuljahr mehr als 2800 Lernende an 19 Berufsfachschulen in rund 50 Berufen in verschiedenen Fächern zweisprachig unterrichtet. In verschiedenen Berufen werden zweisprachige Abschlussprüfungen durchgeführt und der Erfolg in den Fähigkeitszeugnissen ausgewiesen. In einigen Berufsfachschulen wird bili mit Praktikums- und Sprachaufenthalten ergänzt.
Elias Birchmeier, Beauftragter Bilingualer Unterricht beim Mittelschul- und Berufsbildungsamt Kanton Zürich