Alte mit Zukunft? Sergio Ermotti, nur zum Beispiel

Der alte UBS-Chef wird der neue. Man traut dem Alten mehr zu als den Neuen. Weil er – aus Erfahrung – weiss, wie man es macht. Er begann mit einer Banklehre, nicht mit Studium. Er hat weder Bachelor noch Master in Bankwissenschaften, aber Berufspraxis auf sämtlichen Stufen. Er weiss, wie man Investmentbanker zähmt, er hat es nämlich schon mal erfolgreich getan, nicht am Modell, sondern mit real existierenden Egomanen.

Er ist 62. Schreckt sonst eher ab. Unflexibel, sagt man, nicht mehr auf der Höhe der Zeit, Typ Besserwisser, okay Boomer. Die Jungen drängen nach mit frischem Wissen, mehr Elan, schliesslich sind sie die aktuellste Ausgabe der Menschheit, ihnen gehört die Zukunft. Dazu brauchen sie überdies Illusionen, Träume, Sehnsüchte, alles unverzichtbar, wenn es vorwärts gehen soll.

Wir Alten dagegen? Illusionen, Träume? Schrumpfen. Frisches Wissen? Nach Gutdünken. Was dann? Erfahrung, DER Altersbonus. Unser biografischer Standortvorteil – und manchenorts in Misskredit geraten. Erfahrung, sagte mir kürzlich ein Unternehmer, ist bei uns der Innovationskiller Nummer eins. Also – was bringt Erfahrung?

Dazu eine Episode. Beim Weintrinken mit Beat Zoderer, dem Künstler. Auf dem Tisch farbige Klarsichtmäppchen, er spielte mit ihnen, so nebenher, doch siehe da: Sie gerieten wie von selbst zu fabelhaften Kompositionen, Kunst à la Max Bill. An der Vernissage sprach eine Frau den Künstler an, die Werke fand sie grandios, den Preis erklärungsbedürftig. Wie lange er denn daran gearbeitet habe? Er: Vierzig Jahre.

So läuft Erfahrung. Augen, die vierzig Jahre auf Entdeckung waren – wach, listig, leidenschaftlich – , solche Augen sehen mehr, sehen genauer, erblicken schneller, worauf es ankommt. Lässt sich in keiner Schule lernen. Erfahrung kommt vom Leben, nicht vom Wissen. Wissen kann jeder erwerben, Erfahrung müssen wir machen. Das braucht Zeit und Interesse, darum: Wer länger (interessiert!) lebt, hat mehr erfahren. Heute verschulen wir alles, darum überschätzen wir das Wissen – und unterschätzen Erfahrung. Für sie gibt es keinen Bachelor, null Credit Points. Doch hoffentlich bald wieder mehr Kredit in der Wirtschaft. Nicht nur für Sergio Ermotti.

Beispiel Medizin. Eine Enkelin hat grad das Staatsexamen gemacht, das kompakte jüngste Studienwissen intus. Ist sie nun eine tolle Ärztin? Sie ist approbierte Medizinerin. Dagegen die 62-jährige Ärztin, nicht mehr wild auf jede neue Studie, hat Tausende Patienten gesehen, untersucht, therapiert. Ihr Wissen ist lebens-, praxisgesättigt. Praxis heisst nicht: Studienwissen auf Einzelfälle herunterbrechen. Jede Patientin ist einzigartig, reagiert auf ihre besondere Weise auf Therapie. Darum ist ärztliches Handeln kreativ – so wie jedes Handeln, auf dem Bau, im Hotel, in der Schule.

Ergo: Am sichersten verlässt sich Berufspraxis auf Erfahrung. Weshalb jede Branche klugerweise Junge mit Alten mischt: frisches Wissen, Elan, Illusion mit Erfahrung.

Ludwig Hasler

Philosoph, Physiker, Autor und Menschenkenner lhasler@duebinet.ch

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