Kleben und kleben lassen

Klima-Kleber blockierten Mitte Oktober am Utoquai die Bellerivestrasse auf der Höhe des Sechseläutenplatzes, kurz darauf dasselbe auf einer Autobahn. Pro Person werde zirka eine Tube gebraucht, meinte eine Aktivistin gegenüber «Blick». Wer sich also als Freiwillige auf einen Job als Klebe-Aktivistin bewerben will, muss mit Leim umgehen können. «Unter dem Pflaster liegt der Strand» – aus dem Aufruf zum militanten Strassenkampf mit Pflastersteinen aus den 1970er-Jahren wird heute sinngemäss: «Über dem Pflaster klebt die Hand.» Andere Bewegungen bewerfen Bilder mit Kartoffelstock oder Ketchup.

Disruption – analog: «umstürzende Innovation» – war 2015 das Wort des Jahres unter deutschen Managern. Aber der uninspirierte Klimaaktivismus in der heutigen Form hat noch keine einzige «umstürzende Innovation» hervorgebracht. Höchstens den Verkehr zum Zusammenstürzen. Ähnlich wie mit der Disruption verhält es sich also beim Klimaaktivismus: Besetzungen, Demos und Klebeaktionen sind fast schon institutionalisierter Mainstream. Die Gruppe «Renovate Switzerland» fordert von der Landesregierung vier Milliarden Franken für Hausrenovierungen – und um unter anderem 100 000 «neue Personen in den Berufen der thermischen Renovierung» auszubilden. Bis 2040 sollen so eine Million Häuser besser isoliert werden. Mit dieser etwas sperrigen Formulierung sagen sie im Grunde, dass es im Gebäudebereich zu wenige Fachkräfte gibt. Ob sich aber der Graben zwischen der Sinnhaftigkeit eines Berufes und dessen Attraktivität für junge Menschen mit Leim, Staus und viel Geld vom Bund zuschütten lässt?

Ganz anders sieht es beim anhaltenden Interesse an Aktivismus aus. Globi und bald sicher viele andere Kinderbuchhelden ebnen mit neuen Klima-Lektionen für die nächste Generation auch schon den Weg. Etwa für solche Jobprofile: Das stadtzürcher Amt für Hochbauten entwickelt als Bauherrin «auf dem Weg zu Netto-Null» eine Fachstelle «umweltgerechtes Bauen» und sucht nun eine/n Projektleiterin. Ob die Fachstelle als Pendant das geforderte «Stipendium für thermische Renovierungen» erfüllt, kann nur vermutet werden. Stadtpolizei oder Gesundheitsdirektion müssten sich wohl auch überlegen, eine/n Dermatologin mit Spezialisierung auf Klebstoffe einzustellen. Und bald wird sich in der Privatwirtschaft auch der Versicherungsexperte im Bereich Ökoterrorismus etablieren.

Bildungsdirektorin Silvia Steiner meinte kürzlich am KGV-Kongress (S. 12–13) scherzhaft: «Es gibt noch keine Influencer-Ausbildung.» Aber um die Welt zu retten, drängt sich geradezu ein Doppel-Master auf, liebe Frau Steiner: Influencer und Strassenaktivist*in. Ausbildungsplatz: Die ab November 2023 tagsüber gesperrte Langstrasse. Und wer im Praktikum schon aktiv wird, erhält ab einer bestimmten Zahl Beteiligungen an vorderster Front nicht nur garantiert viele Likes, sondern Blockade-Bonuspunkte fürs Studium.

Wadenbeisser

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