Hitzewelle der Einfallslosigkeit
In der Sommerferienzeit sind die Zeitungen voller guter Sommergeschichten. Sie sind nicht gut, weil sie den Massstäben von Qualitätsjournalismus standhalten; sie sind auch nicht relevant. Aber sie sind gut, weil Redaktionen sie gut finden. Zumindest finden sie einige der wichtigeren Redaktoren beim Brainstorming in der Stammbeiz gut (die anderen nicken dann meist unterwürfig in der Hoffnung, die Sitzung so schneller beenden zu können).
Mit Glück werden die Leser von einer Sommerserie à la «auf ein Bier mit…» verschont. Ein Dauerbrenner, der mehr der Verzweiflung und Ideenlosigkeit als der Originalität entspringt. Mit noch mehr Glück passiert überraschend Relevantes auf der Welt – so dass nur einzelne Nebelpetarden der Belanglosigkeit im «Sommerloch», das nicht umsonst so heisst, abgefeuert werden.
Ganz oben auf der Liste der Einfallslosigkeit – und offensichtlich auch auf der Beliebtheitsskala – rangiert das Thema Hitze. So titelte der «Tages- Anzeiger» zu Ferienbeginn: «Wegen Hitze: Die Schweiz soll jetzt eine Siesta einführen.» Wer das wohl für die «Schweiz» entscheidet? Eine Arbeitsmedizinerin, die dann auch im Blick abgefeiert wird: Das Boulevardblatt schwingt sich zur Ambassadorin für Büezer hoch, allen voran solchen im Strassenbau. So gebe es gemäss Suva «fünf bis zehn Unfälle mehr» an Hitzetagen. Die Arbeit sei bei 35 Grad Celsius gänzlich einzustellen, fordern Gewerkschaften. Denn auch der Blick findet Hitze schlecht – aber gut aus Verlagssicht. «Die Schweiz im Schwitzkasten: Hier wird es heute am heissesten», oder: «Hier schlägt der Hitze-Hammer zu», titelte er und schob jeweils lebensrettende Hitze-Schutz-Tipps nach.
Schlecht fürs Narrativ und noch schlechter fürs Image waren dann zwischenzeitlich festgestellte zu hohe Temperaturangaben beim Meteo-Wetter-App des SRF. Schlecht für die Bewirtschaftung des Lieblingsthemas im Sommer, aber gut für die überhitzten Redaktionsköpfe war dann der letztlich eher kühle, nasse Juli. Die «Weltwoche» nutzte diesen, um gar (ebenfalls polemisch) vom «kältesten Hitzesommer aller Zeiten» zu faseln.
Natürlich meldete sich auch der deutsche Gesundheitsminister Karl Lauterbach zu Wort. «Siesta in der Hitze ist sicherlich kein schlechter Vorschlag», twitterte er auf die Forderung des Bundesverbands der Ärztinnen und Ärzte, in den Sommermonaten das Frühaufstehen und mittags Siesta zu institutionalisieren und «uns bei Hitze an den Arbeitsweisen südlicher Länder zu orientieren». Dumm nur, dass man ausgerechnet in Spanien immer weniger von der Siesta hält. Gemäss Umfragen machen nur noch etwa 17 Prozent der Spanier regelmässig eine Siesta. Denn fast niemand kehrt während den Siesta-Mittagsstunden nach Hause zurück.
Zum Glück rettete dann vor wenigen Tagen die zweite Hitzewelle die Ehre der vermeintlich hitzegeplagten Journalisten: «Jetzt wird die Schweiz zum Kochtopf!» so der Blick. Der sommerliche Rohrkrepierer ist abgewendet, die kühlen Wochen vergessen.
Wadenbeisser
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